Hans Hurch über die Viennale 2014


„Manchmal stößt man auch an Grenzen“

14.10.2014
Interview:  Gunther Baumann

Seit 18 Jahren leitet er das Wiener Filmfestival: Viennale-Direktor Hans Hurch © Viennale / Tuma

Am 23. Oktober beginnt die Viennale. Zum 18. Mal ist Hans Hurch für die Programmauswahl zuständig. Der Langzeit-Direktor des Wiener Filmfestivals hat einmal mehr aus 800 Filmen eine sehr persönliche Auswahl getroffen. Nach dem Start mit „Amour Fou“ von Jessica Hausner präsentiert er ein Programm, das als „most important of“ des aktuellen Filmschaffens angelegt ist. Freilich kann er nicht alle Filme zeigen, die er gern nach Wien geholt hätte: „Es kommt manchmal vor, dass man an Grenzen stößt“, sagt er im FilmClicks-Gespräch.

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Feurig: Das Viennale-Plakat 2014

Das Viennale-Plakat zeigt in diesem Jahr eine Art Flammensymbol. Heißt das, dass es ein unruhiges, ein feuriges Festival werden soll?
Hans Hurch: Die Flamme – das Plakat hat unser Grafiker Rainer Dempf entworfen - ist ein sehr lebendiges, ein ungezähmtes Bild. Das hat mir als Idee gut gefallen. Wir wollen mit dem Sujet aber auch ausdrücken, dass die Viennale zu jenen zählt, die das Feuer des Kinos bewahren und weitergeben. Es soll weder Stichflamme noch Strohfeuer sein. Unsere ganze Kultur ist doch irgendwie am Feuer entstanden, wenn die Leute einst abends zusammensaßen und einander Geschichten erzählten. Wenn ich auf das Gesamtprogramm der kommenden Viennale schaue, habe ich ein gutes Gefühl. Das ist eine Mischung mit einer gewissen Spannung, die mir gefällt.

 
Sprödes Künstlerdrama: Viennale-Eröffnungsfilm „Amour Fou“ von Jessica Hausner © Viennale

Jetzt beginnt die feurige Viennale aber mit einem der statischsten Filme des Jahres: Sie haben das spröde Künstlerdrama „Amour Fou“ von Jessica Hausner für die Eröffnung ausgesucht.
Das ist eigentlich ein total österreichischer Stoff, auch wenn es um den deutschen Dramatiker Heinrich von Kleist geht. Ein junger, genialischer Dichter hat zwei große Vaterfiguren – Goethe und Schiller – im Genick und ist von einer seltsamen romantischen Todessehnsucht, die wir gar nicht mehr kennen, befallen. Jessica Hausners Film hat etwas unmodern Modernes, das mir gut gefallen hat. Und er ist auch immer wieder sehr komisch, wenn der Mann beim Abendessen eine Frau fragt: „Haben Sie schon etwas vor am Wochenende? Was halten Sie davon, fahren wir aufs Land und bringen uns um?“  Der Film geht respektlos und zugleich mit einer sehr großen Liebe mit Kleist um. Mir hat „Amour Fou“ wirklich gut gefallen. Mir ist aber klar, dass ich mit dieser Programmierung etwas riskiere.  Dass der Film manche Leute verstört, dass er manchen Leuten nicht gefällt.
 
Sie haben gesagt, die Viennale 2014 wolle kein „Best of“ des aktuellen Filmschaffens zeigen, sondern ein „Most important of“. Wie ist das zu verstehen?
 „Best of“-Sammlungen sind meist Zusammenstellungen der größten Hits. Also die Bestätigung dessen, was man schon kennt. Für so ein Programm braucht man kein Filmfestival. Der Anspruch der Viennale sollte es sein, Filme zu zeigen, von denen man glaubt, dass sie eine ganz spezifische Qualität und Bedeutung haben. Und die passen dann vielleicht nicht in ein „Best of“ hinein. Weil die Regisseure zu wenig bekannt und die Filme zu wenig mainstreamig sind.


 
Gibt es auch Schnittstellen zwischen beiden Bereichen?
Ideal ist es natürlich, wenn man eine Mischung aus beidem findet. Nehmen wir einen Film wie das Künstler-Drama „Clouds of Sils Maria“ von Olivier Assayas, mit Juliette Binoche und Kristen Stewart. Der passt in ein „Best of“ des  Jahrgangs 2014, ist zugleich aber auch „most important“, mit seinen Ideen, in denen es um Kino, um Schauspiel und um verschiedene Generationen geht. Ein wichtiger Film, den wir zeigen werden. Ein anderes Beispiel: Auch „Mommy“ von Xavier Dolan gehört in ein „Best of“. Ich habe den Film in Cannes aus Vorurteil versäumt, man könnte auch sagen, vermieden, weil ich Dolans frühere Arbeiten nicht mochte. Später sah ich den Film zwei Mal, doch mich nervt alles daran. Die Typen, das Schauspiel, das Hysterische und Motorische. Und ich habe mich entschieden, „Mommy“ bei der Viennale nicht zu zeigen; der Film kommt dann sowieso groß ins Kino.
 
Damit verzichten Sie auf einen potenziellen Publikums-Hit.
Ja. Ich weiß, mit diesem Film würde ich das Gartenbau-Kino am ersten Vorverkaufstag füllen. Aber – und das ist jetzt die Willkür des Hans Hurch, die man kritisieren kann und soll – ich finde, dieser Film ist nicht important. Er macht auf important.
 
Bekommen Sie problemlos alle Filme, die Sie bei der Viennale zeigen wollen?
Nein. In diesem Jahr bedaure ich es zum Beispiel sehr, dass wir „She’s Funny That Way“ nicht bekommen haben, die neue Komödie von Peter Bogdanovich mit Owen Wilson, Imogen Poots und Jennifer Aniston. Den Film hätte ich wahnsinnig gern hiergehabt, und wir zeigen ja auch eine andere Bogdanovich-Komödie, „They All Laughed“, in einem Double Feature mit „One Day Since Yesterday“, der Dokumentation über den Regisseur. Die Vorstellung, wir hätten mit „She’s Funny That Way“ eröffnet und vielleicht Peter Bogdanovich nach Wien gebracht – das wäre eine runde Geschichte gewesen. Aber es kommt manchmal vor, dass man an Grenzen stößt.
 
Gibt es ähnliche Beispiele?
Ein anderer Film, den ich gern gezeigt hätte, ist Dan Gilroys „Night Crawler“ mit Jake Gyllenhaal. Eine sehr interessante Geschichte mit Parallelen zu Scorseses „Taxi Driver“. Doch im letzten Moment bekamen wir eine Absage. Und noch ein Fall: Ich wollte sehr gern „99 Homes“ präsentieren, Ramin Bahranis Drama über die US-Immobilienkrise mit Andrew Garfield. Hier gab’s das Problem, dass die Entscheidung sehr schnell fallen musste, denn „99 Homes“ hatte erst vor ein paar Wochen in Venedig Premiere. Ich bin mir sicher, mit eineinhalb Monaten mehr Zeit hätte ich „99 Homes“ irgendwie bekommen. Und den Bogdanovich-Film vielleicht auch.
 
Umgekehrt gibt es natürlich sehr viele Filmemacher, die ihre Produktionen liebend gern bei der Viennale vorstellen würden, aber nicht zum Zug kommen.
Ja. Es gibt Tausende Filme, die jedes Jahr produziert werden. Von denen sehe ich – das weiß ich, weil es in unserer Datenbank festgehalten wird -  knapp 800. Aus denen wähle ich das Viennale-Programm aus, dessen aktueller Teil rund 160 Spielfilme und Dokumentationen umfasst. Natürlich passieren mir dabei gelegentlich auch Fehler. Manche Filme hätte ich besser doch zeigen sollen – andere hätte ich besser herausgelassen.
 
Sie sind jetzt seit 18 Jahren Viennale-Chef. Was sind die gravierendsten Änderungen im Filmbereich, die Sie miterlebt haben?
Da gibt es zwei Dinge. Zum einen, dass die Technik vom Analogen ins Digitale gewechselt ist. Das hätte ich mir zu Beginn nie vorstellen können. Als die ersten DCPs, die Digital Cinema Packages, auftauchten, fragte ich noch: Was ist das denn? Und jetzt kommen auf 100 Viennale-Filme vielleicht noch zwei analoge Kopien. Die zweite Veränderung: Das Geld. Hinter allem steckt Marktorientiertheit, Kalkül und die Frage, wie man einen Film möglichst optimal einsetzen kann. Das gilt nicht nur fürs Blockbuster-Kino, sondern auch für den Arthaus-Sektor.  Als ich anfing, war diesbezüglich alles viel freier. Der Umgang mit Filmen war spielerischer, es gab eine gewisse „Warum nicht?“-Mentalität. Die Freiräume werden weniger. Auch für Filmfestivals.
 
Doch die Zahl der Festivals nimmt zu. Knapp vor der Viennale gab es in diesem Herbst drei Filmfeste in Wien: Slash, mit Schwerpunkt fantastischer Film und Horror, Let`s CEE mit Schwerpunkt Osteuropa und das Jüdische Filmfestival. Sehen Sie das als Konkurrenz oder als Bereicherung der Szene?
Aus der Sicht des Konsumenten ist das gut. Die Kinogeher profitieren davon. Ich will jetzt nicht gönnerhaft klingen, die Viennale hat als gut finanziertes internationales Festival eine sehr komfortable Position, aber: Manchmal bin ich froh, dass es die anderen Filmfeste gibt. Mir ist es zum Beispiel erspart geblieben, mich für oder gegen Ulrich Seidls „Im Keller“ zu entscheiden – der Film hatte seine Premiere bei Slash. Und ich sage ehrlich, ich wäre nicht gern offensiv für „Im Keller“ eingetreten. Generell gesprochen, glaube ich, dass wir uns nicht direkt konkurrenzieren. Denn diese Festivals haben so spezielle Programme, dass uns das in unserer Filmauswahl nicht einschränkt. Manchmal habe ich aber kleine moralische Probleme. Let’s CEE hätte zum Beispiel wahnsinnig gern den russischen Film „Leviathan“ von Andrej Zvyagyntsev gehabt, was ich gut verstehe. Aber da war ich trotzdem brutal, denn auf diesen Film wollte ich für die Viennale nicht verzichten. Ich habe es den Let’s-CEE-Machern aber erklärt, und sie haben es verstanden. Das lief total freundschaftlich.
 
Das Let’s-CEE-Festival leidet darunter, dass es nur geringe Förderungen erhält.
Das stimmt. Let’s CEE bekommt sehr wenig Geld. Ich kann es aber nicht zu meinem Problem machen, dass es in der Kultur einen Verteilungskampf gibt. Ich glaube, dass man sich von Seiten der Stadt und auch des Bundes, wenn so viele Filmfestivals entstehen, etwas Konkretes überlegen muss. Denn dazu gibt es Kulturpolitik. Die Viennale ist natürlich sehr gut finanziert. Wir haben ein Budget von 2,8 Millionen Euro, wobei 1,5 Millionen von der Stadt und 150.000 Euro vom Bund kommen. Circa 40 Prozent des Budgets bringen wir selbst auf – durch den Kartenverkauf und Sponsoren. Natürlich können wir diese Summen nur einspielen, weil die Viennale eine kleine Maschine ist, die jeder kennt. Ich versuche jedenfalls, keine aggressive Politik gegen die anderen Festivals zu machen oder ihnen gar zu schaden. Ich verstehe total, dass die anderen sich benachteiligt fühlen – im Verhältnis zur Viennale, aber auch absolut.      
 
Wie stellt sich die räumliche Situation der Viennale 2014 dar?
Wir haben ein Kino verloren – das Stadtkino am Schwarzenbergplatz wurde ja geschlossen – und bekommen mit dem neuen Eric-Pleskow-Saal im Kinokulturhaus, wo wir auch das Metro-Kino bespielen, eines dazu. Der Pleskow-Saal ist aber kleiner als das alte Stadtkino, also fehlen uns 120 Sitze. Um das zu kompensieren, haben wir das Festival um einen Tag verlängert. Unterm Strich bleibt aber immer noch ein Minus an Plätzen. Es kann also sein, dass in diesem Jahr die prozentuelle Auslastung steigt, während die Besucherzahl etwas zurückgeht.
 
Die Viennale hat Jahr für Jahr mehr als 90.000 Besucher. Wäre es Ihnen wichtig, die 100.000-Zuschauer-Marke zu knacken?
Wenn mir dieses Geschenk zufallen sollte, dann nehme ich es gern. Aber wir legen es nicht darauf an. Da müssten wir mehr potenzielle Publikums-Knüller wie Xavier Dolans „Mommy“ spielen. Natürlich wäre es sehr einfach, das Programm im Gartenbau-Kino so zu optimieren, dass dieses große Haus möglichst voll ist. Doch ich finde, es ist nicht unsere Aufgabe, auf Publikumsrekorde zu schauen. Die Viennale hat sich sehr organisch entwickelt – das muss man nicht anheizen. Aber ich weiß, dass manche Sponsoren und Politiker viel Wert auf die Zahlen legen.

Ihn hätte die Viennale gern als Stargast begrüßt: Viggo Mortensen (in „A History Of Violence“) © Viennale

Es ist zur Gewohnheit geworden, dass die Viennale jedes Jahr einen Stargast einlädt. Wer kommt denn in diesem Jahr?
Das mit den Stargästen haben wir uns selber eingebrockt. Dieses Jahr haben wir uns sehr um Viggo Mortensen bemüht, von dem wir ein Tribute zeigen. Wir waren sehr nahe dran, aber es hat nicht geklappt. Was ich aber  fast noch mehr bedaure als das Fehlen eines Stargasts, ist, dass unser Präsident Eric Pleskow nicht aus Amerika zur Viennale kommen kann.
 
Wieder gesundet, aber nicht in Wien: Viennale-Präsident Eric Pleskow © Viennale / Newald

Wie geht es ihm denn?

Eric ist im April 90 Jahre alt geworden, und nach gesundheitlichen Problemen geht es ihm jetzt wieder gut. Doch der Arzt riet ihm, er solle jetzt keine große Reise machen, denn das könnte ihn zurückwerfen: „Wenn Sie jetzt sechs Monate brav sind, dann haben Sie noch ein paar aktive Jahre“. Das hat Eric sehr gefreut, also verzichten wir diesmal auf ihn und freuen uns darauf, ihn nächstes Jahr wieder zu begrüßen. 



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