Filmfest Venedig

Spaß, Verbrechen und blanker Horror

30.08.2014
von  Gunther Baumann
Filmfest Venedig: Regie-Legende Peter Bogdanovich mit Owen Wilson („She’s Funny That Way“) © Katharina Sartena
Hochbetrieb beim Filmfest Venedig. Erst die lustigste Restaurant-Szene der jüngeren Filmgeschichte. Dann ein wütender Wirtschafts-Thriller, der gegen die Profiteure der US-Immobilienkrise zu Felde zieht. Und schließlich Horror made in Austria, dessen Folterszenen etliche Zuschauer aus dem Kino vertrieben: Das Festival am Lido lockt, wie es sich gehört, mit einem breiten Spektrum an Genres und Spielarten des Kinos. Ein FilmClicks-Streifzug durch bemerkenswerte Produktionen. 
„She’s Funny That Way“: Das Callgirl (Imogen Poots) und sein Gönner (Owen Wilson) © LaBiennale

„She’s Funny That Way“

Genre: Komödie. Regie: Peter Bogdanovich (USA). Star-Faktor: Hoch (Imogen Poots, Owen Wilson, Jennifer Aniston, Kathryn Hahn). Venedig-Premiere: Außer Konkurrenz.
Regie-Legende Peter Bodganovich („Die letzte Vorstellung“, „Is‘ was, Doc?“) feiert nach Jahrzehnten der Stille ein überragendes Comeback. In der Screwball Comedy „She’s Funny That Way“ folgt er der Grundregel des französischen Komödienmeisters Georges Feydeau („jene Person, die auf keinen Fall den Raum betreten darf, betritt den Raum“) und sorgt damit für einen der überschäumend lustigsten Filme des Jahres.
Der Plot: Der reiche Broadway-Regisseur Arnold Albertson (Owen Wilson) schenkt dem süßen Callgirl Isabelle (Imogen Poots) nach einer Liebesnacht 30.000 Dollar, damit sie aus dem Gewerbe aussteigen kann. Isabelle nimmt dankend an, folgt ihrem Traum, Schauspielerin zu werden und geht zu einer Audition, bei der ausgerechnet ihr Gönner Albertson als Regisseur engagiert ist. Sie spielt ihren Part (ein Callgirl!) derart bravourös, dass sie die Rolle bekommt.
Dumm nur, dass Albertsons Gemahlin (Kathryn Hahn) auch im Ensemble dabei ist. Und die kriegt bald spitz, dass da im Hintergrund merkwürdige Dinge passieren. Die Folge: Die lustigste Restaurant-Szene der jüngeren Filmgeschichte, in der nicht nur eine, sondern alle Personen den Raum betreten, dem sie besser fernbleiben sollten. Und ein One-Liner der göttlich spielenden Jennifer Aniston (als resolute Therapeutin), der möglicherweise in die Filmgeschichte eingehen wird: „So! Jetzt gehe ich meinen Tampon wechseln!“ Peter Bogdanovich hat seine New-York-Komödie zwischen Ernst Lubitsch und Woody Allen angelegt: Hier wartet ein sicherer Publikums-Hit.
Kino-Chancen: Sehr gut. Gesamteindruck: Einer der lustigsten Filme des Jahres.
 
„99 Homes“: Der Arbeiter Dennis Noah (Andrew Garfield) weiß, an wen er sein Haus verlor © LaBiennale

„99 Homes“

Genre: Drama. Regie: Ramin Bahrani (USA). Star-Faktor: Hoch (Andrew Garfield, Laura Dern, Michael Shannon). Venedig-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen.
„Amerika hilft nie den Armen aus der Patsche. Amerika hilft den Reichen.“ Diese Dialogzeile steht wie ein Fanal im Zentrum des Wirtschafts-Krimis „99 Homes“, der von den brutalen Folgen der US-Immobilienkrise für die Bürger handelt. Der Bauarbeiter Dennis Noah („Spider-Man“-Star Andrew Garfield) wird mit seiner Mutter (Laura Dern) und seinem kleinen Sohn aus dem Haus geworfen, weil er mit den Kreditraten im Rückstand ist. Als der knochenharte Immobilien-Millionär Mike Carver (Michael Shannon), begleitet von der Polizei, zur Delogierung antritt, bleiben den Dreien nur wenige Minuten, um ihre wichtigsten Habseligkeiten einzusammeln. Dann werden die Schlösser getauscht und die Möbel von einem Räumungstrupp einfach vor die Tür gestellt.
Noah und seine Leute ziehen erst mal in ein billiges Motel. Doch der Handwerker bekommt vom Immobilien-Mann Carver ein unmoralisches Angebot: Wenn er künftig selbst bei Delogierungen mitwirkt, kann er sein Haus wieder zurückkaufen. Noah lässt sich auf diesen Pakt mit dem Teufel ein, kommt rasch zu viel Geld und lernt, dass bei den Immobiliendeals viel Schmiergeld fließt und der Staat betrogen wird. Natürlich kommt es irgendwann zum großen Showdown, bei dem der Handwerker vor der Wahl steht, endgültig selbst korrupt zu werden oder seinem Gewissen zu folgen.
„Nach drei Wochen Recherche in Florida war mir ganz schwindelig vor der Korruption, die hier Hand in Hand mit der Regierung abläuft“, sagte Autor/Regisseur Ramin Bahrani in Venedig. Und: „Ich habe noch nie so viele Menschen mit Waffen gesehen wie in Florida“. Die spielen im Finale von „99 Homes“ dann eine wichtige Rolle.
Kino-Chancen: Sehr gut. Gesamteindruck: Brillant. Beinharter Wirtschafts-Krimi, bei dem man darüber staunt, dass so massive Kapitalismus-Kritik aus den USA kommt.
 
„Ich seh Ich seh“: Mama (Susanne Wuest) schaut nach den Kindern © LaBiennale

„Ich seh Ich seh“

Genre: Horror. Regie: Veronika Franz & Severin Fiala (Österreich). Star-Faktor: Null. Venedig-Premiere: In der Orrizonti-Sektion des Festivals.
Veronika Franz, Filmjournalistin beim Wiener „Kurier“ und Gefährtin sowie engste Mitarbeiterin von Ulrich Seidl, hat mit „Ich seh Ich seh“ einen astreinen Horrorfilm vorgestellt (Ko-Regie: Severin Fiala).
Schauplatz ist eine edle Villa auf dem Lande außerhalb von Wien, wo die zehnjährigen Zwillinge Elias und Lukas (Elias und Lukas Schwarz) auf die Rückkehr ihrer Mutter warten. Die Mama (Susanne Wuest) musste sich einer Operation unterziehen und kommt mit einem Kopfverband nach Hause, der ihr Gesicht komplett verhüllt. Obendrein scheint sie viel harscher und strenger zu sein als sonst. Bald beginnen die Knaben zu zweifeln, ihre echte Mutter vor sich zu sehen.
„Ich seh Ich seh“ wirkt wie eine massive Sturmfront von Albträumen. Es geht um den Albtraum von Kindern, die Mutter zu verlieren, und um den Albtraum einer Mutter, ihre Kinder könnten sich zu Monstern entwickeln. Denn Letzteres findet statt. Die Zwillinge fesseln die Frau ans Bett und versuchen mit immer wilderen Foltermethoden herauszufinden, ob die Mama wirklich ihre Mama ist.
Diese Gewaltszenen sind so schaurig explizit, dass Zuschauer bei der Venedig-Premiere scharenweise das Kino verließen (von denen, die blieben, gab es zum Schluss neben vernehmlichen Buhs auch viel Applaus).  Die Story führt zu einem extrem trivialen Finale. Aber wenn in diesem – handwerklich hervorragend produzierten - Film die Karten endlich aufgedeckt werden, hat man all die schlimmen Foltersequenzen schon über sich ergehen lassen (müssen).
Kino-Chancen: „Ich seh Ich seh“ ist ein Film für Fans beinharter Horrorfilme. Gesamteindruck: Schaurig.