„Sils Maria“
Genre: Drama. Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme. Regie: Olivier Assayas (Frankreich). Star-Faktor: sehr hoch (mit Kristen Stewart, Juliette Binoche, Chloe Grace Moretz, Lars Eidinger).
Verkehrte Welt. Im wirklichen Leben ist es Kristen Stewart, die eine Existenz unter Aufsicht der Öffentlichkeit führt – im Film spielt sie jetzt eine Frau im Hintergrund. Mit Woody-Allen-Brille, ein paar Tattoos und vielen Handys tritt sie in „Sils Maria“ als Assistentin (und auch Vertraute) der berühmten Diva Maria Enders (Juliette Binoche) auf. Ihre Val ist eine rundum sympathische Figur: Direkt, unprätenziös, mit beiden Beinen auf der Erde verwurzelt und nie um einen guten Rat verlegen.
Dieser gute Rat ist stark gefragt. Juliette Binoche steht als Maria Enders vor einem Angebot, von dem sie nicht weiß, ob sie es nicht besser ablehnen sollte. Als 18-Jährige wurde sie einst berühmt mit dem Part eines Lolita-haften Mädchens, das eine ältere Frau um den Finger wickelt. Jetzt soll sie in einer Neuproduktion am Theater die Rolle der Älteren übernehmen, die am Schluss Selbstmord begeht. Als frische Neuentdeckung ist das Schmollmund-Girlie Joann (Chloe Grace Moretz) am Start. Kann das gutgehen – ohne Eifersucht und ohne die Gefahr, dass der Mythos der Diva angekratzt wird?
„Es war eine witzige Erfahrung, eine Schauspielerin zu spielen“, sagte Juliette Binoche in Cannes. „Natürlich musste ich für diese Rolle nicht recherchieren, aber gleichzeitig musste ich eine Figur erfinden. Ich habe die Diva Maria Enders als ärgerliche Frau angelegt, die findet, dass die Welt nicht gut mit ihr umgeht. Über ihre Auftritte im Blitzlichtgewitter ließ ich mich von Kristen Stewart informieren – die weiß da viel mehr als ich.“
Der französische Filmemacher Olivier Assayas, der zuletzt mit dem Terror-Drama „Carlos“ hochpolitisches Spannungskino schuf, kümmert sich in „Sils Maria“ um das Wesen der Kunst. Sein Film ist eine Elegie über die Liebe zum Schauspiel und die Last des langsamen Älterwerdens. Der Blick hinter die Kulissen des Showbiz ist hochinteressant; die vielen Gespräche sind es auch. Und Kristen Stewart kann als resolute Assistentin viele feine Kontrapunkte zu den Launen ihrer stimmungslabilen Chefin setzen.
Unterm Strich ist „Sils Maria“ ein feiner, wenngleich etwas spannungsarmer Dialogfilm mit etlichen gescheiten Gedanken. Viele im Arthaus-Publikum werden wohl erstmals nähere Bekanntschaft schließen mit der hochbegabten jungen Schauspielerin namens Kristen Stewart. Ob die „Twilight“-Fans von dieser coolen Kristen begeistert sind, ist aber eher zweifelhaft.
Erfolgs-Chancen im Kino: mittel. Gesamteindruck: Arthaus-Produktion, in der niveauvoll über Kunst parliert wird.