Hans Hurch über die Viennale


„Der Spaß ist bis heute geblieben“

23.10.2015
Interview:  Gunther Baumann

Hans Hurch: Der Viennale-Direktor leitet das Wiener Filmfest heuer zum neunzehnten Mal © Katharina Sartena

„Die Spannung ist noch immer da“, sagt Hans Hurch. Der Langzeit-Direktor der Viennale leitet das Wiener Festival in diesem Jahr schon zum neunzehnten Mal. Im großen FilmClicks-Interview erklärt er, warum er für die Eröffnung und das Finale der Viennale (bis 5. November) „Konsensfilme“ ausgesucht hat. Er spricht über den „Internationalfeiertag“ des Festivals am 26. Oktober, schwärmt über den Stargast Tippi Hedren, verneigt sich vor Viennale-Präsident Eric Pleskow und macht sich auch schon Gedanken über die Zeit nach seiner Ära, die 2018 endet: „Wenn ich aufhöre, wird sich sicher viel verändern.“


FilmClicks: Die Viennale 2015 beginnt mit „Carol“ von Todd Haynes und endet mit „Anomalisa“ von Charlie Kaufman. Das sind zwei sehr schöne, kunstvolle und unpolitische Filme, in denen es vorrangig um Liebe und Erotik geht. Warum diese Wahl?
Hans Hurch: Der Eröffnungs- und der Abschlussfilm haben – auch - die Funktion, ein großes Tor aufzumachen zur Viennale. Speziell bei der Eröffnung kommt ja ein sehr durchmischtes Publikum, mit Politikern, mit Sponsoren, mit der Branche. Man muss also etwas finden, das für diesen Anlass stimmig ist. Ich halte „Carol“ und „Anomalisa“ beide für Konsensfilme, auf sehr unterschiedliche Art und Weise.  „Anomalisa“ ist gewiss ein unpolitischer, privatistischer Film. Die lesbische Romanze „Carol“ mit Cate Blanchett und Rooney Mara ist aber, finde ich, nicht ganz unpolitisch. Als interessante gesellschaftliche Parabel über Klassenunterschiede und Zwänge.

Ein „Konsensfilm“: Rooney Mara und Cate Blanchett in „Carol“ © Filmladen

Im Hauptprogramm der Viennale laufen an die 180 Filme. Gibt es da eine thematische Klammer?
Zu Beginn der Arbeit nie. Es kann sich aber bei jeder Viennale eine thematische Klammer aus der Filmauswahl ergeben. Filme fangen mit einer leeren Leinwand an, und dann erst entfaltet sich dort das Leben. Ich möchte auch die Vorbereitung für das Festival sozusagen mit einer leeren Leinwand beginnen und nicht mit vorgefassten Ideen. Im Lauf der Auswahl kommt es dann zu Verdichtungen und Linien, die im Nachhinein zu Themen des Festivals werden. In diesem Jahr zeigen wir zum Beispiel sehr unterschiedliche Filme über Israel. Dann taucht viel Kultur und Geschichte aus Schwarzafrika in unseren Filmen auf. Und es gibt sicher noch drei oder vier andere Linien in unserem Programm. Aber wir haben nie ein großes Leitthema für die Viennale, das möchte ich nicht. Wir laden unsere Besucher lieber dazu ein, selbst ihre Themen zu finden.
 
Die Viennale 2015 ist die neunzehnte unter Ihrer Leitung. Macht die Arbeit noch genau so viel Spaß wie beim ersten Mal?
Beim ersten Mal hat es mir noch nicht viel Spaß gemacht, da hatte ich sehr viel Stress (lacht). Ich erinnere mich zum Beispiel mit Grauen an meine ersten Eröffnungsreden. Natürlich gab es von Beginn an Freude an der Arbeit, aber in meiner Unerfahrenheit war der Druck viel größer als später. Im Lauf der Zeit wurde ich dann entspannter. Und ja, der Spaß ist bis heute geblieben. In den letzten Wochen vor dem Festival muss ich extrem viel arbeiten, auch ganze Nächte lang. Wenn man da nicht ein hohes Maß an Identifikation und Lust hätte, dann würde das  nicht gehen. Die Spannung ist noch immer da.
 
Ihr Vertrag wurde kürzlich noch einmal um zwei Jahre bis 2018 verlängert, Sie werden dann insgesamt 22 Jahre lang die Viennale geleitet haben. Das hat in der Szene nicht nur Applaus ausgelöst.
Ich finde, dass die Einsprüche durchaus berechtigt sind. 22 Jahre sind ein sehr langer Zeitraum, in dem man natürlich den Charakter des Festivals prägt. Die Argumentation, so etwas sollte sich immer wieder mal erneuern, ist für mich nachvollziehbar. Ich bin nicht so selbstherrlich, dass ich sagen würde, seid froh, dass ich diesen Job mache. Es gibt aber auch Momente, in denen ich merke, dass das Netzwerk, das durch diese Kontinuität entstand, wahnsinnig hilfreich ist für das Festival. Ein weiterer Vorteil ist es, mit einem perfekt eingespielten Team zu arbeiten. Und der Nachteil ist, dass sich vielleicht weniger verändert als sich verändern sollte. Wenn ich hier aufhöre, wird sich sicher viel verändern.
 
Haben Sie eine Vorstellung, in welche Richtung die Viennale dann gehen könnte?
Nein. Das wird von der Person abhängen, die mir nachfolgt. Ich finde, dass ein Festival eine Handschrift braucht; ich bin kein Freund von Film-Auswahlkommissionen. Natürlich hätte der oder die NachfolgerIn auch die Möglichkeit, sich von mir abzusetzen. Wenn ich aufhöre, werde ich praktisch im Pensionsalter sein, also nehme ich an, dass jemand die Viennale-Leitung übernimmt, der oder die deutlich jünger ist. Jugendlichkeit allein ist allerdings keine Kategorie. Mit dem Jungsein muss auch etwas Neues kommen. Die Entscheidung treffen natürlich das Viennale-Kuratorium und die Stadt Wien. Am besten wäre eine starke Persönlichkeit, die dem Festival auch gegenüber den Sponsoren und der Politik eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt. Ich kann mir auch vorstellen, dass jemand kommt, der nicht aus Österreich ist, denn die Viennale ist ein internationales Festival mit internationalem Status.  Man müsste dieser Person nur die Wiener Schlangengrube ein bissl erklären (lacht).
 
Wie stark ist das Filmland Österreich bei der Viennale 2015 vertreten?
Ich versuche während des Jahres, möglichst viele österreichische Filme zu sehen, dazu fühle ich mich auch verpflichtet. Wir haben insgesamt sieben Langfilme aus Österreich im Programm, interessanterweise sind es dieses Jahr mehrheitlich Dokumentationen. Es ist kein Jahr der großen Namen, der Hanekes oder der Seidls. Aber wir haben eine schöne Mischung mit sehr guten Filmen wie, um nur zwei Beispiele zu nennen, dem Spielfilm „Einer von uns“ von Stephan Richter oder der Doku „Lampedusa im Winter“ von Jakob Brossmann. Außerdem gibt es viele sehr schöne und interessante Kurzfilme.
 
Wird am „Internationalfeiertag“ gezeigt: „Moonlighting“ von Jerzy Skolimowski © Viennale

Am 26. Oktober feiert die Viennale statt des österreichischen Nationalfeiertags einen Internationalfeiertag. Was ist denn das?

Manche Ideen entstehen bei uns zu später Stunde, und der Internationalfeiertag kam aus der Überlegung, etwas zur Flüchtlings-Thematik zu machen. Wir beschlossen, an diesem Tag im Gartenbau-Kino Filme unterschiedlicher Art und unterschiedlicher Genres zu zeigen, die grundsätzlich etwas mit Emigration und Fremde zu tun haben. Der Tag beginnt mit Charlie Chaplins „The Immigrant“, bei dem man merkt, dass Chaplin ein ganz großer realistischer Filmemacher war. Seine Bilder gleichen total jenen aus den Flüchtlingslagern von heute. Dann sind unter anderem die neuen österreichischen Dokus „Last Shelter“ und „Lampedusa im Winter“ dabei, und einer meiner absoluten Lieblingsfilme, „Moonlighting“ von Jerzy Skolimowski. Endlich habe ich einen Grund gefunden, den Film bei der Viennale unterzubringen. Das ist der witzigste und intelligenteste Film darüber, was es bedeutet, illegal und in einem fremden Land zu sein. Die Einnahmen dieses Tages wollen wir zwei Institutionen der Zivilgesellschaft, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, geben – der Caritas und der Volkshilfe.
 
Ein anderes Thema: Wie entstand die Idee, die Hitchcock-Schauspielerin Tippi Hedren als Stargast nach Wien einzuladen?
Tippi Hedren ist die ideale Hitchcock-Projektionsfläche. Mein Bild am Anfang war, „Marnie“ im Gartenbau-Kino zu zeigen – und nachher kommt Tippi Hedren auf die Bühne. Sie ist vor allem für „The Birds“ berühmt, aber ich finde, „Marnie“ ist ein noch viel wichtigerer und tieferer Film, ein großer Gruselfilm, der tief in die menschliche Seele hineinreicht. Und „Marnie“, das ist Tippi Hedren, so großartig auch die anderen spielen, von Sean Connery angefangen. Was mir an ihr so gut gefällt, ist die kühle Oberfläche, die aber ganz dünn ist, während darunter schon das glühende Magma fließt. Andere Hitchcock-Frauen sind einfach schön und kühl und ikonisch, aber Tippi Hedren war die wirkliche Hitchcock-Darstellerin. Das muss etwas zu tun gehabt haben mit der komischen Beziehung der beiden. Hitchcock war ja arg mit ihr, er hat sie jahrelang blockiert. Sie wollte mit ihm nicht mehr weiterarbeiten, weil er so obsessiv geworden ist. Er hat sie richtig gestalkt.

„Die ideale Hitchcock-Projektionsfläche“: Tippi Hedren in „Marnie“ © Viennale

Hat sich Tippi Hedren über die Einladung gefreut?
Wir haben sie kontaktiert, was gar nicht so einfach war, weil sie ja nicht mehr im Filmgeschäft ist. Sie ist da völlig uneitel und pflegt ihre große Vergangenheit überhaupt nicht. Sie hat sich gefreut und hat auch gleich zugesagt – vor allem, weil sie noch nie in Wien war. Das lief alles völlig unkompliziert.  Sie kommt am 29. Oktober zur „Marnie“-Gala, und dann wird in der „Animals“-Retrospektive im Filmmuseum auch noch „The Birds“ gezeigt. Ich bin sehr stolz darauf, dass Tippi Hedren kommt und freue mich auf sie. Bei anderen Stargästen hatte ich auch schon mal Angst. Bei Lauren Bacall zum Beispiel, der der Ruf vorausging, besonders schwierig zu sein.

Wieder in Wien: Viennale-Präsident Eric Pleskow (mit Enkelin Olivia Abt) © Katharina Sartena

Viennale-Präsident Eric Pleskow, der legendäre Hollywood-Studioboss, der während der Nazi-Diktatur aus Wien flüchten musste, ist dieses Jahr nach drei Jahren Pause wieder beim Festival. Wie wichtig ist das für Sie?
Das ist sehr wichtig. Einen besseren Präsidenten als ihn kann man sich gar nicht wünschen. Er ist ein unglaublich loyaler, sich nie einmischender, zugleich aber das Festival beschützender Präsident. Obendrein ist er unglaublich humorvoll. Ich freue mich wahnsinnig über sein Kommen, das gar nicht selbstverständlich ist, denn er hat mit seinen 91 Jahren gesundheitliche Probleme und sitzt im Rollstuhl.  Auf die Frage, wer der Stargast der Viennale 2015 ist, müsste ich eigentlich antworten: Es ist Eric Pleskow.



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