1.845 Spielfilme. „Die Liebe zum Film ist eine Form der Liebe zur Welt“, sagt Thierry Frémaux. In den letzten Monaten dürfte der Chef des Festivals Cannes die Welt vornehmlich durch Filme wahrgenommen haben: Gezählte 1.845 Spielfilme und 4.240 Kurzfilme aus 39 Ländern wurden für die Teilnahme am Festival eingereicht. 21 Spielfilme schafften den Sprung in die Königsklasse, den Wettbewerb um die Goldene Palme – darunter auch „Little Joe“, das neue Werk der Wienerin Jessica Hausner.
Jessica Hausner ist eine von vier Regisseurinnen, die ein Ticket für den Wettbewerb erhielten – ein Hinweis darauf, dass sich im früher so stark von Männern dominierten Cannes die Zeiten ändern. „Wir haben das Abkommen ,50/50 by 2020‘ unterzeichnet, sagte Festival-Chef Frémaux beim Pressegespräch vor dem Start. Soll heißen: Bis zum Jahr 2020 will man unter den Mitarbeitern einen Frauen-Anteil von 50 Prozent erreichen. In der Organisation sei dieser Wert zum Teil schon erreicht, und auch im künstlerischen Bereich sei man gut unterwegs: „In der Palmen-Jury sitzen vier Frauen und vier Männer. Von den insgesamt vier Festival-Jurys werden zwei von Männern und zwei von Frauen geleitet.“
Nur in einem Punkt hält Thierry Frémaux nichts von voller Parität: Bei der Filmauswahl. „Da geht es ausschließlich um die Qualität. Einen Film nur deshalb ins Programm zu nehmen, weil er von einer Frau inszeniert wurde, das wäre einfach falsch.“
Cannes freut sich jetzt auf ein spannendes Festival mit einem starken Programm. Der glamouröse Höhepunkt wird am 21. Mai erreicht, wenn Quentin Tarantino mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Margot Robbie zur Weltpremiere seines neuen Werks „Once Upon A Time… In Hollywood“ erwartet wird.
Österreich. Aus österreichischer Sicht ist neben der Premiere von Jessica Hausners Science-Fiction-Psycho-Thriller „Little Joe“ auch der Beitrag von Regie-Guru Terrence Malick sehr interessant. Der unnahbare Filmkünstler behandelt in „A Hidden Life“ den Fall des oberösterreichischen Bauern und Waffendienst-Verweigerers Franz Jägerstätter, der von den Nazis hingerichtet wurde. Neben August Diehl als Jägerstätter ist in „A Hidden Life“ viel Schauspieler-Prominenz aus Österreich im Einsatz: Von Valerie Pachner über Tobias Moretti bis Karl Markovics.
Mit dem Eröffnungsfilm „The Dead Don’t Die“ hat der Wettbewerb jedenfalls auf Anhieb Fahrt aufgenommen. Hier unsere ersten Eindrücke vom neuen Werk aus der Hand von Jim Jarmusch.
The Dead Don’t Die
Genre: Zombie-Komödie
Regie: Jim Jarmusch (USA)
Stars: Bill Murray, Adam Driver, Chloe Sevigny, Tom Waits, Tilda Swinton, Iggy Pop
Cannes-Premiere: Eröffnungsfilm im Wettbewerb um die Goldene Palme
Jim Jarmusch hat gerade seine Genre-Phase. Vor sechs Jahren brachte er den extrem unterhaltsamen Vampir-Film „Only Lovers Left Alive“ heraus. 2016 folgte dann die sehr entspannte Busfahrer-Lyrik-Hymne „Paterson“. Und nun – nachdem das Zombie-Fieber nach so vielen Filmen und der Serie „The Walking Dead“ langsam abgeebbt ist - kommt er mit einer Kreuzung aus Komödie und Zombie-Film. Wobei Jarmusch die Komödie aus sehr ernsten Themen destilliert.
Eigentlich ist „The Dead Don`t Die“ kein typischer Zombie-Film. Es ist ein in der für Jarmusch typischen Langsamkeit vorgelegter Bericht über das bevorstehende Ende der Welt. Aus den TV-Nachrichten erfährt man, dass sich die Erdachse – durch Schuld der Menschen – ein wenig verschoben hat. Und nun naht die Apokalypse. Die guten Tage sind vorbei. Der Mond hat einen schaurigen lila Schatten. Die Tiere werden aggressiv oder sind gleich ganz verschwunden.
Der Film spielt im kleinen Städtchen Centerville, von Jarmusch ganz liebevoll als Provinz-Kaff in Szene gesetzt. Für Recht und Ordnung sorgen dort die Polizisten Ronnie Peterson (Adam Driver), Cliff Robertson (Bill Murray) und Mindy Morrison (Chloë Sevigny). Ein ganz wunderbares Trio. Peterson und Robertson liefern sich ständig herrlich absurde Dialoge in Zeitlupe, während Morrison staunend daneben steht. Die Drei würden so gern weiter ihren gewohnten Pflichten nachgehen. Aber eines Nachts steigen die Toten aus ihren Gräbern und plötzlich muss jeder um sein eigenes Leben kämpfen.
Jim Jarmusch, der in all seinen Filmen stets mehr wollte, als nur zu unterhalten, schickt seinen amerikanischen Mitbürgern mit „The Dead Don`t Die“ einen Hallo-Wach-Ruf der besonderen Art. Tom Waits hat eine Schlüsselrolle. Als Aussteiger hockt er im Wald und beobachtet, wie die Über-Konsum-Welt mit einem Mal den Bach runtergeht.
Steve Buscemi darf einen besonders fiesen rassistischen Farmer spielen, auf dessen Mütze der Slogan „Make America White Again“ prangt. Tilda Swinton tritt als mysteriöse Bestattung-Unternehmerin auf, die das drohende Chaos zu genießen scheint. Alle schlimmen Dinge werden in einer wunderbar lakonischen Komik erzählt, die den ganzen Film durchzieht.
Wenn die Zombies dann irgendwann den Gräbern entstiegen sind – immer auf der Suche nach jenen Dingen, die sie zu Lebzeiten am meisten gemocht haben („Kaffee, Chardonnay, WLAN“) - gibt Jarmusch den Zuschauern das, was man von einem Film dieses Genres erwarten darf. Die Zombies werden reihenweise um ihre Köpfe gebracht. Denn nur so kann man sie final töten.
Aber Jarmusch macht das nicht so, wie man das bisher meist gesehen hat. Bei ihm fließt kein Blut, sondern es steigt Rauch aus den Überresten der Zombies auf, wenn sie getötet sind. Dazu gibt es immer wieder aberwitzige Dialoge. Und an einigen Stellen wird es völlig absurd. Man unterhält sich über das Drehbuch von „The Dead Don’t Die“ und den Regisseur - herrlich hirnrissig und völlig gaga. Ein George Romero wäre begeistert, wenn er diesen Arthaus-Zombie-Apokalypse-Spaß noch sehen könnte.
bed
Kinostart: 13. Juni 2019
Publikums-Chancen: Hoch
Gesamteindruck: „The Dead Don`t Die“ ist ein typischer Jarmusch. Extrem entschleunigt. Aber trotzdem saulustig und in seinen Aussagen auf den Punkt gebracht