Jessica Hausner
über das Festival Cannes und ihren Film „Little Joe“
Herzklopfen vor dem roten Teppich
11.05.2019
Interview:
Gunther Baumann
Jessica Hausner hat es geschafft. Die Wiener Regisseurin wurde mit ihrem neuen Film „Little Joe“ in den Wettbewerb des Festivals Cannes (14. – 25. Mai) eingeladen. Wir haben die Filmemacherin kurz vor ihrer Abreise nach Cannes getroffen. Dass sie dort in einer Reihe mit Granden wie Quentin Tarantino oder Jim Jarmusch im Rennen um die Goldene Palme antrete, komme ihr „seltsam normal“ vor, erklärt Jessica Hausner, seit 2017 auch Mitglied der Oscar-Jury, im FilmClicks-Gespräch. Was den Gang über den roten Teppich betrifft, offenbart sie mit einem Lächeln zwiespältige Gefühle: „Wenn ich ein schönes Kleid finde, dann freu‘ ich mich drauf – wenn nicht, dann fürchte ich mich.“
FilmClicks: Frau Hausner, ist die Teilnahme am Wettbewerb von Cannes ein Höhepunkt Ihrer Karriere?
Jessica Hausner: Ja. Der Wettbewerb von Cannes war im Hintergrund schon immer ein Ziel von mir. Beim Schnitt von „Little Joe“ gab’s allerdings den Moment, wo ich mir dachte, ach egal, wo der Film gezeigt wird – ich mache einfach meinen Film und der wird sein Eigenleben haben. Ich habe also versucht, mich von diesem Festival-Druck zu lösen. Jetzt bin ich natürlich umso erfreuter, dass es für „Little Joe“ der Wettbewerb von Cannes geworden ist.
Was war Ihre erste Reaktion, als die Einladung aus Cannes kam?
Ich war gerade in der Mischung, als ich das E-Mail von Thierry Frémaux (dem Festival-Chef, Anm.) las – und ich habe laut geschrien: „Wir sind drin!“ Den Rest des Abends haben wir dann gefeiert.
Im Wettbewerb um die Goldene Palme stehen Sie jetzt in einer Reihe mit Regisseuren wie Quentin Tarantino, Jim Jarmusch oder Pedro Almodóvar. Wie fühlt sich das an?
Seltsam normal
(lacht). Ich hatte ja schon Filme in der Nebenschiene von Cannes,
Un Certain Regard, und da gab es auch tolle Namen, Kurosawa etwa oder Albert Serra – Regisseure, die ich total schätze. Das führte dazu, dass ich mich mit dieser Nebenreihe anfreundete, weil ich mir dachte, dass dort künstlerisch ungewöhnlichere Filme gezeigt werden. Da war ich in bester Gesellschaft. Jetzt befinde ich mich auch in bester Gesellschaft, aber natürlich ist es weiterhin so, dass auch außerhalb des Wettbewerbs ganz großartige Filme laufen.
Wie wichtig wäre es Ihnen, im Wettbewerb von Cannes einen Preis zu gewinnen?
Das wäre dann noch einmal ganz toll – aber ich bin jetzt schon ziemlich happy. Also schauen wir mal. Wie jedes Jahr sind natürlich viele Superstars der Regie am Start. Was ich am Wettbewerb interessant finde, ist, dass man sich jetzt auch in Cannes bemüht, mehr Frauen hereinzuholen. Dieses Jahr sind vier Frauen dabei, und das halte ich für irrsinnig viel, denn es gab in Cannes ja auch Jahre, wo nur eine oder zwei Regisseurinnen im Wettbewerb waren. Auch in der Jury gibt es Regisseurinnen: Alice Rohrwacher und Kelly Reichardt etwa. Das sind Kolleginnen von mir, in meinem Alter, deren Filme ich total schätze. All das zeigt, dass das Festival versucht, moderner zu werden und mit der Zeit zu gehen.
Sie selbst sind ja fast schon eine Cannes-Veteranin. Haben Sie das Gefühl, dass sich das Festival verändert hat?
Ich kam 2001 zum ersten Mal mit „Lovely Rita“ nach Cannes. Mein Gefühl ist, dass es seither beim Festival noch wichtiger wurde, dass ein Film kommerziell ist. Die künstlerische Qualität eines Films ist natürlich die Voraussetzung. Aber hinzugekommen ist, dass man irgendwie auch einen kommerziellen Effekt erzielen muss; vielleicht durch bekannte Schauspieler. Das ist mein persönlicher Eindruck, den man natürlich auch widerlegen kann – vielleicht stimmt das alles gar nicht.
Heißt das dann, dass Ihr Wettbewerbs-Beitrag „Little Joe“ auch ein kommerzieller Film ist?
Mehr als meine vorigen Filme. Aber wer weiß das schon: Ich mache einen Film, weil ich das das Projekt interessant und das Thema spannend finde; weil ich versuche, die besten Schauspieler dafür zu finden. Aber ich stelle mich nicht hin und sage, jetzt mache ich einen kommerziellen Film. Das kann ich gar nicht. Wenn sich dann herausstellt, dass ein Film auch kommerziell funktioniert, also ein gewisses Publikums-Potenzial besitzt, dann hat man irgendwie Glück gehabt. Das ist manchmal auch Zufall – ob der Zeitgeist in diese Richtung geht.
Ihren Film „Little Joe“ hat jetzt, vor Cannes, noch kaum jemand gesehen. Man weiß nur, dass es um eine Forscherin geht, um Pflanzen und um Gentechnik, aber auch um sehr mysteriöse Ereignisse. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Meine ursprüngliche Idee war eine Geschichte über einen weiblichen Frankenstein – über eine Wissenschaftlerin, die ein Monster erfindet, das sich dann ihrer Kontrolle entzieht. Wobei mir bald klar war, dass es ein Film mit einem Happy End werden sollte. Also nicht die klassische Geschichte, in der der Wissenschaftler seine Kreatur eigentlich umbringen muss, um selbst zu überleben. Oder umgekehrt. In meiner Geschichte überleben beide, und zwar in schönster Harmonie. Mir geht es um einen Blick in die Zukunft. In unserer Zeit wird mit Gentechnik gearbeitet. Ich sehe das nicht rein negativ, doch was ich spannend finde, das ist die Ambivalenz: Dass etwas, das in die Welt gesetzt wird, gute und schlechte Effekte haben wird.
Warum haben Sie „Little Joe“ in englischer Sprache gedreht?
„Little Joe“ hat etwas von einem Genrefilm – einerseits Science Fiction, andererseits Psychothriller. Genrefilme sind eine amerikanische Erfindung, und ich finde, dass die englische Sprache sich dafür sehr gut eignet: Sehr knapp, sehr klar, sehr trocken. Das hat mich dazu angeregt, auf Englisch zu drehen. Abgesehen davon finde ich es immer spannend, ein Abenteuer einzugehen und einen Schritt nach draußen zu machen. Noch einmal zu den Genrefilmen: Wie im Märchen folgen sie klaren Regeln und der Zuschauer weiß, was ihn erwartet. Das gibt dem Publikum Sicherheit – es kann sich auf den Grusel einlassen. Auch mein Film folgt den klaren Regeln. Doch trotzdem nimmt die Geschichte eine Wendung, die nicht zu einem Genrefilm gehört. Die Erwartungshaltung wird nicht erfüllt. Man bekommt ein Ende mit einem Augenzwinkern, das ironisch ist und durchaus ambivalent bleibt.
Wie haben Sie Ihr englisches Ensemble gefunden?
Ich arbeitete mit der Casting-Direktorin Jina Jay, die in England sehr bekannt ist und zum Beispiel das Casting von Yorgos Lanthimos‘ „The Lobster“ machte. Sie hat dann gemeinsam mit mir versucht, Schauspieler anzusprechen und für den Film zu gewinnen.
Das war offenbar erfolgreich – mit Ben Whishaw haben Sie einen sehr prominenten Mann im Cast, der zum festen Ensemble der James-Bond-Thriller gehört.
(Lacht) Als wir in Krems drehten, wurde Ben Whishaw von jemandem auf der Straße angesprochen: „Ah, it’s Mister Q, it’s Mister Q!“ Ben Whishaw hat großes Interesse an künstlerischen Projekten. Er spielt jetzt Theater in New York und hat auch in London gerade ein Theaterstück gemacht. Er war sofort begeistert von meinem Projekt. Ben kannte auch meine Filme und hat gleich gesagt, da bin ich dabei.
Ist es Ihnen wichtig, mit Ihren Filmen ein großes Publikum zu erreichen?
Ja und nein. Es wird mir wichtig, weil es für alle anderen so wichtig ist. Die Menschen, die Geld in meinen Film investiert haben, wollen natürlich, dass er erfolgreich ist. Ich will das auch – aber ich bin nicht bereit, dafür Kompromisse einzugehen. Ich mache meine Filme so, wie ich es gut finde. Und im besten Fall interessiert das dann nicht nur mich, sondern auch viele andere Leute.
Es gibt viele Arten, Filme einzuteilen – eine ist die Unterscheidung in Festivalfilme und Publikumsfilme. Kommen Sie mit diesen Kategorien gut zurecht?
Nein, nicht so gut. Wenn man es so formuliert, dann will ich lieber kommerzielle Filme machen. Denn ich finde es fad, Filme zu drehen, die nur für ein sehr speziell interessiertes Publikum konzipiert sind. Das ist mir zu abgehoben.
Sie erzählen manchmal, dass Sie schon als Teenager den Plan fassten, Filmregisseurin zu werden. Wie ist das entstanden?
Nun, ursprünglich wollte ich Schriftstellerin werden. Als ich 16 oder 17 war, habe ich dann mit einem Freund, dessen Vater beim ORF arbeitete und der eine Videokamera hatte, aus einer Kurzgeschichte von mir einen Kurzfilm gemacht. Mich hat damals extrem begeistert, dass Filmbilder anders wirken als Worte. Ich fühlte mich sofort zuhause im Medium Film. Weil es das Unausgesprochene ist, was mich eigentlich interessiert. Und ich glaube, dass ich das mit Bildern besser ausdrücken kann als mit Worten. Seit diesem Moment war ich jedenfalls total begeistert vom Filmemachen – und ich bin es immer noch. Mit 18 Jahren habe ich begonnen, an der Wiener Filmakademie Regie zu studieren. 1999 gründete ich dann mit Barbara Albert, Antonin Svoboda und Kameramann Martin Gschlacht unsere Produktionsfirma coop99. Das ist eine Art sicherer Boden für mich geworden, auf dem ich auch heute noch agiere. Diese Gruppe von Leuten zu haben, mit denen ich gemeinsam arbeite, ist mir extrem wichtig.
Eine Frage noch zur Premiere von „Little Joe“ in Cannes: Freuen Sie sich schon auf den Gang über den roten Teppich?
Wenn ich ein schönes Kleid finde, dann freu‘ ich mich drauf – wenn nicht, dann fürchte ich mich
(lacht). Man muss in 1000 Kameras hineinlächeln und gleichzeitig ist es sehr aufregend, weil der Film gleich gezeigt wird. Das ist ein crazy Moment. Vor meiner Abreise nach Cannes habe ich noch am Wochenende Zeit, das schöne Kleid zu finden.