Léa Seydoux


„Zehn Stunden für zehn Sekunden"

19.12.2013
Interview:  Peter Beddies

Goldene Palme: Regisseur Abdellatif Kechiche mit Léa Seydoux (li.) und Adèle Exarchopoulos © A. Tuma/Starpix

„Blau ist eine warme Farbe“, jetzt endlich bei uns im Kino, war mit seiner lesbischen Liebesgeschichte und den langen Sex-Szenen der Aufregerfilm von Cannes 2013. Und deshalb war es sicher auch mutig von der Jury um Steven Spielberg und Christoph Waltz, das offenherzige und zugleich sensible Werk mit der Goldenen Palme auszuzeichnen. Genauer gesagt: Mit drei Goldenen Palmen. Neben Regisseur Abdellatif Kechiche wurden auch seine Stars Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux prämiert. FilmClicks traf Léa Seydoux zum Interview: Über den schwierigen Dreh mit dem perfektionistischen Regisseur Kechiche. Über die Sex-Szenen, bei denen die Darstellerinnen „Fake Pussys“ trugen. Und über die Liebe.


FilmClicks: Es heißt, wenn sich ein Film wunderbar locker anschaut, waren die Dreharbeiten besonders schwer.
LÉA SEYDOUX: Ha, stimmt hier genau. Unser Regisseur Abdellatif Kechiche ist jemand, der ständig auf der Suche nach dem perfekten Moment oder dem genau richtigen Licht ist. Wenn man mit so einem Mann dreht, ist das Ergebnis sensationell. Aber die Arbeit am Produkt ist zeit- und nervenraubend.
 
Sie wurden in Cannes mit dem Worten zitiert, der Regisseur hätte Sie ausgebeutet.
Da bin ich wohl falsch verstanden worden. Es ging mir darum, dass wir alle an die Grenzen und darüber hinaus gehen mussten. Zum Beispiel: Erinnern Sie sich an die Szene zu Beginn, als sich Emma und Adèle zum ersten Mal begegnen?
 
Es ist eine kurze, aber ganz starke Szene. An einer Ampel, wenn ich mich recht erinnere.
Genau. Der Blickkontakt zwischen den beiden, der Adèles Leben komplett auf den Kopf stellt, dauert vielleicht zehn Sekunden. Aber es mussten halt zehn perfekte Sekunden sein. Deshalb hat es insgesamt zehn Stunden gedauert, diese Szene immer und immer zu wiederholen. 100 Takes für zehn Sekunden. Man sagt nicht umsonst, dass dieser Filmemacher besessen ist.
 
Von den Sexszenen  auch?
Ja, auch von denen. Solche Szenen sind einfach unangenehm zu drehen. Abdel hat es uns dabei zugleich schwer und leicht gemacht.
 
Wieso?
Schwer, weil sich die Dreharbeiten über Tage hingezogen haben. Und leicht, weil wir „Fake-Pussys“ bekommen haben.
 
Wie bitte?
Das sind Intim-Perücken. Wir wollten ja auf der einen Seite unsere Körper ganz nackt zeigen. Alles andere wäre verlogen gewesen. Aber auf der anderen Seite mussten wir auch dem Verdacht entgegentreten, dass wir einen Porno drehen. Also haben wir diese Perücken angepasst bekommen und schon haben wir uns – auch wenn es merkwürdig klingen mag – nicht mehr so nackt gefühlt.
 
Rein technisch gesehen, wie funktioniert das?
Da kommt ein Künstler, setzt sich vor Deinen Intimbereich, sucht ein passendes Stück Haar heraus und der Übergang zu Bauch und Beinen wird überpinselt. Das ganze sieht dann aus, als würde man da bemalt. Und der Prozess, wenn Sie schon fragen, dauert jedes Mal zwei Stunden. Erst dann sieht es perfekt aus.    
 
Fühlen sich Liebesszenen zwischen Frauen anders an als Szenen zwischen Mann und Frau?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe im echten Leben noch nie eine Frau geliebt. Männer aber wohl. Insofern kann ich Ihnen darauf keine Antwort geben. Ich weiß, dass Sie etwas anderes meinten. Aber durch Absprachen und die Perücken war eine Künstlichkeit hergestellt, die für diesen Film nötig war und funktioniert hat. Ohne all das hätte ich den Film nicht gemacht. Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten sollte.
 
„Dunkles Blau ist die Farbe von Sex“: Léa Seydoux in „Blau ist eine warme Farbe“ © Alamode

Wofür steht die Farbe Blau für Sie?

Hm, ich würde sagen, dass diese Farbe viel mit der Kindheit zu tun hat.
 
Jedes Blau?
Nein, nur das Babyblau. Das erinnert mich an den Anfang des Lebens. Und dunkles Blau ist eher die Farbe von Sex. So ähnlich sieht das Abdel auch. Schauen Sie sich den Film ruhig mehrmals an. Es ist faszinierend, wie viele Arten von Blau man in einen Film packen kann.
 
Die Farbe der Liebe?
Klingt langweilig. Aber das ist wohl wirklich rot.
 
Sie wirken in Ihren Filmen sehr oft ernst, als ob es um alles geht.
Ich würde mir wünschen, dass mehr Kolleginnen und Kollegen das tun. Mich sehen Sie nur in einem Film, wenn das Projekt für mich Sinn macht. Es muss um etwas gehen. Es muss etwas verhandelt werden. Das ist der Sinn von Kinokunst. Nur wenn ich etwas fühle, denke ich zumindest, kann auch der Zuschauer etwas mitnehmen, was ihn in seinem Leben weiterbringt.
 
Ist dieser Film für Sie eine lesbische Liebesgeschichte?
Nein, auf keinen Fall. Es ist die Geschichte der Liebe von zwei Frauen, betrachtet durch die Augen eines Mannes. Das macht für mich die perfekte universelle Liebesgeschichte.    
 




Kritik
Blau ist eine warme Farbe
„Blau ist eine warme Farbe“, der Gewinner-Film der Goldenen Palme von Cannes 2013, ist eine berührende Liebesgeschichte unter zwei jungen Frauen – und ein Meisterwerk des realistischen Kinos. Mehr...