Barbara Pichler über den österreichischen Film und die Diagonale


„Ein kleines Land – aber eine große Filmnation“

17.03.2015
Interview:  Gunther Baumann

Diagonale-Chefin Barbara Pichler: „Es gibt eine unglaubliche Professionalisierung der Szene“ © Diagonale

Barbara Pichler nimmt bei der Diagonale 2015 in Graz (17. – 22. März) nach sieben Jahren Abschied von der Leitung des Festivals des österreichischen Films. Im FilmClicks-Gespräch zieht sie Bilanz und berichtet über die Trends in der Szene, die ihr im Lauf der Jahre aufgefallen sind. Barbara Pichlers Gesamteindruck fällt in der Rückschau sehr positiv aus: „Österreich ist ein kleines Land. Aber eine große Filmnation.“


Barbara Pichler, die Diagonale 2015 ist die siebte unter Ihrer Leitung. Wie hat sich das Festival des österreichischen Films seit Ihrem Amtsantritt verändert?
Barbara Pichler: Es ist schwer, auf diese Frage eine präzise Antwort zu geben. Denn natürlich ist in der Filmlandschaft ständig alles in Bewegung. Was man über einen längeren Zeitraum, die letzten zehn bis 20 Jahre, feststellen kann, ist dieses: Es hat sich eine unglaubliche Professionalisierung und auch Konsolidierung des österreichischen Filmschaffens bemerkbar gemacht, die sehr positive Effekte hat. Das wird natürlich auch im Programm der Diagonale spürbar. In den Wettbewerben sieht man, dass da unterschiedlichste Generationen am Werk sind. Es gibt etablierte Filmschaffende, die nach wie vor großartige Filme produzieren. Es gibt aber auch eine mittlere und eine jüngere Generation, die nachdrängen. Allerdings führte diese Professionalisierung dazu, dass die Konkurrenz größer geworden ist. Die Fördertöpfe hingegen stagnieren, auch wenn sie im europäischen Vergleich immer noch gut dotiert sind. Aber die Luft wird dünner, die Bedingungen werden sehr viel härter.
 
Ist es für Filmemacher auch schwieriger geworden, ihre Werke bei der Diagonale zu zeigen?
Es gab vor einigen Jahren, noch vor meinem Antritt, einen Schnalzer nach oben, als die Zahl der Einreichungen von ungefähr 300 auf 500 stieg. Das hatte eindeutig etwas mit dem Umstieg auf digitale Produktion zu tun. Jetzt bewegt es sich immer um die 500 Einreichungen, heuer waren wir leicht darüber. Ein Fünftel davon können wir zeigen. Bei der Diagonale 2015 laufen insgesamt 103 aktuelle Arbeiten, von denen 97 in den Wettbewerben antreten. Das ist im Vergleich zu internationalen Festivals ein wahnsinnig guter Schnitt. Aber die Auswahl ist ein harter Prozess, denn trotzdem fallen viele Filme raus. Das sind keine einfachen Entscheidungen. Wenn man unbedingt beliebt sein will, ist die Leitung eines Festivals vielleicht nicht der richtige Job. Und wenn ein Film nicht gezeigt wird, heißt das auch nicht einfach, dass der Film schlecht ist.
 
Gibt es einen zeitlichen Rahmen dafür, ob ein Film bei der Diagonale gezeigt werden kann?
Das Diagonale-Programm ist bei den aktuellen Filmen immer die Darstellung eines Produktionsjahres. Für die Diagonale 2015 bedeutet das: Es geht um Filme mit einer Premiere nicht vor dem 1. Jänner 2014. Aber es kommen auch immer mehr ganz neue Filme hinzu. Mehr als zwei Drittel der Filme, die wir in den Wettbewerben zeigen, sind Uraufführungen oder österreichische Erstaufführungen.
 
Im regulären Kino-Einsatz haben es Filme aus Österreich manchmal schwer. Die Diagonale ist aber mit rund 25.000 Besuchern stets ein Publikumsmagnet.
Die eine Hälfte unserer Besucher/innen kommt aus der Filmszene, die andere Hälfte sind filminteressierte Menschen. Die Begegnung dieser zwei Gruppen finde ich sehr positiv, weil das Festival dadurch angetrieben wird. Die Filmschaffenden kommen auch deshalb gern nach Graz, weil sie ihre Arbeiten in einem sehr direkten Austausch mit dem Publikum präsentieren können. Von den 97 Produktionen, die dieses Jahr in den Wettbewerben laufen, gibt es höchstens zehn, die nicht von den Filmemacher/innen nach Graz begleitet werden. Und das liegt dann meist daran, dass die Leute schon wieder neue Filme drehen und deshalb nicht kommen können. 
 
Ein Jahresmotto gibt es bei der Diagonale aber nicht, oder?
Ich habe mir so etwas lange überlegt, bin aber davon abgekommen, weil es mir aufgepfropft vorkäme. Dann müsste man entweder Filme auswählen, die zu einem bestimmten Motto passen, oder man müsste extrem angestrengt nach Verbindungslinien suchen, die manchmal da sind und manchmal eben auch nicht. Das hielte ich für extrem konstruiert. Zumal ich die große Vielfalt für eine echte Qualität und Stärke des österreichischen Films halte. Es ist viel schöner, die Vielfalt zu feiern, als einem Motto zu folgen.
 
Woran liegt es, dass Österreich international als Filmland wichtiger wirkt als es seiner Größe entspricht?   
Es stimmt, Österreich ist ein kleines Land, aber eine große Filmnation. Das liegt zunächst einmal an den strukturellen Bedingungen. Eine Filmförderung gibt es bei uns schon sehr lange, und sie ist so aufgefächert, dass eine Vielzahl an filmischen Positionen möglich ist. Trotz aller finanziellen Hindernisse muss man sagen, dass sich mit der Gesamtsumme, die in Österreich für die Filmförderung ausgegeben wird, einiges bewerkstelligen lässt. Ich finde es ein bisschen problematisch, wie die Summen verteilt sind. Aber wir haben immer noch eine Situation, die es Leuten ermöglicht, Filme zu machen, die nicht von vornherein einer Formel oder einem Publikumsdiktat entsprechen müssen. Das wiederum führt dazu, dass wir international wahrgenommen werden.
 
Barbara Pichler im Einsatz: „Ich liebe die Festival-Arbeit“ © Diagonale

Sie haben sich nach sieben erfolgreichen Jahren dazu entschlossen, die Leitung des Festivals nach der Diagonale 2015 abzugeben. Was ist denn der Grund dafür?
Es liegt in der Natur von Filmfestivals, dass sie immer in Bewegung sein müssen. Gleichzeitig werden sie von Menschen geleitet, die eine bestimmte Perspektive haben und eine Vorstellung davon, wie ein Festival sein soll. Doch diese Perspektive muss von Zeit zu Zeit wechseln. Als mir die Verlängerung meines Vertrages angeboten wurde, erschien es mir zu lang, dieses Festival mit seinem sehr lebendigen, aber doch überschaubaren Programm zehn Jahre lang zu machen. Gerade bei einem nationalen Filmfest finde ich es richtiger, diesen Wechsel etwas häufiger anzustoßen. Deshalb habe ich mich entschlossen, jetzt, wo es am schönsten ist, zu gehen. Das war aber kein leichter Entschluss, denn ich liebe die Festivalarbeit und mache die Diagonale wahnsinnig gern. Trotzdem ist es eine gute Entscheidung.
 
Haben Sie schon Pläne für die Zeit danach?
Nein. Ich habe mich nicht entschieden, aufzuhören, weil ich ein interessanteres Angebot habe, sondern weil ich wirklich gefunden habe, dies sei jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich hätte ganz gern schon konkretere Vorstellungen über meine berufliche Zukunft, musste aber feststellen, dass es unmöglich ist, ein Festival vorzubereiten und gleichzeitig die eigene Zukunft zu planen. Das geht nicht parallel. Ich würde natürlich sehr gern weiter im Filmbereich arbeiten; das ist meine Leidenschaft. Mal sehen, was kommt.
 
Mit den Oberösterreichern Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber wird 2016 ein junges Duo die Festival-Leitung übernehmen.
Sebastian ist 31 und Peter ist 27. Ich kenne die beiden lange und schätze sie sehr. Sie haben in unterschiedlichen Funktionen bereits bei der Diagonale gearbeitet und kennen sowohl das Festival als auch den österreichischen Film gut. In den letzten Jahren haben sie gemeinsam das YOUKI geleitet, das Internationale Jugend Medien Festival in Wels. Sie machten aus diesem Festival eine inhaltlich vielschichtige und sehr spannende Veranstaltung. Sie bringen also trotz ihres jungen Alters viel Festival-Erfahrung mit. Ich finde, die Bestellung von Höglinger und Schernhuber ist eine sehr spannende Wahl – an der ich übrigens nicht beteiligt war. Das hat der Diagonale-Vorstand gemacht. Ich hielt mich sehr bewusst raus. Denn es wäre doch komisch, wenn ich gehe, um eine neue Perspektive zu ermöglichen, und dann mitbestimmen will, wie diese neue Perspektive aussieht.



News
Diagonale 2015
Es geht los mit Karl Markovics und seinem neuen Film „Superwelt“ (Bild): Die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, zeigt vom 17. bis zum 22. März in Graz insgesamt 157 Filme, von denen 97 im Wettbewerb antreten. Ein Überblick über das Programm. Mehr...