„Ich bin selbst ein Hypochonder“
09.04.2014
Interview:
Gunther Baumann,
Matthias Greuling
Mehr als 20 Millionen Zuschauer allein in Frankreich und ein rauschender Erfolg rund um die Welt: Mit dem Lustspiel „Willkommen bei den Sch’tis“ drehte Dany Boon 2008 den erfolgreichsten französischen Film aller Zeiten. Jetzt ist der Star-Komödiant gemeinsam mit seinem Partner Kad Merad wieder zurück im Kino. In „Super-Hypochonder“ spielt Boon einen eingebildeten Kranken, der seinen Arzt (Merad) zur Weißglut und in die Verzweiflung treibt. Zur Österreich-Premiere kam Dany Boon nach Wien. FilmClicks sprach mit ihm über die Kunst der Komödie, über Erfolg und über Krankheiten, die gar keine sind.
Wie kamen Sie auf die Idee, mit „Super-Hypochonder“ einen Film über einen eingebildeten Kranken zu drehen?
Filme entstehen immer aus einem Mix von Ideen, aber der Hauptgrund ist wohl, dass ich selbst ein Hypochonder bin. Ich hatte zum Beispiel erst vor zehn Tagen einen Check-Up, mit Blutbild, Röntgen und allem drum und dran. Zum Glück war alles fein. Ich bin von guter Gesundheit – bis jetzt. Ich hatte vor einiger Zeit ein Gespräch mit einem Arzt, der mir erzählte, wie schwer heutzutage der Umgang mit uns Hypochondern ist. Denn sobald wir an uns etwas Ungewöhnliches entdecken, einen Fleck auf der Haut oder eine gerötete Stelle, gehen wir auf Google, um alles über die Symptome herauszufinden. Erst wollen wir uns nur bestätigen, dass eh alles in Ordnung ist. Aber sobald wir die Büchse der Pandora öffnen, sind wir geliefert. Denn dann sehen wir, was uns alles Schreckliches widerfahren könnte. Dann gehen wir nicht mehr mit Symptomen zum Arzt, sondern mit einer fertigen Diagnose. Natürlich liegen wir falsch, denn sonst hätten wir ja sieben Jahre studieren müssen.
Gibt es Momente, in denen Sie durch andere Dinge so abgelenkt sind, dass Sie vergessen, ein Hypochonder zu sein?
Ich? Nein. Nie. Ich weiß sogar die Handynummer meines Arztes auswendig. Er traf die falsche Entscheidung, mir auch seine Privatnummer zu geben. Manchmal habe ich ihn schon mitten in der Nacht angerufen.
Ist „Super-Hypochonder“ also Ihre eigene Story?
Irgendwie schon. Ich bin aber nicht so verrückt wie meine Filmfigur. Meine eigenen Erlebnisse waren ein guter Startpunkt, um mit dem Film zu beginnen.
„Super-Hypochonder“ ist aber nicht nur die Geschichte eines Hypochonders, sondern auch eine über Migration und Politik. Wie kamen Sie auf die Idee, das alles in einem Film zu vereinen?
Dany Boon: Als ich das Drehbuch zu „Super-Hypochonder“ schrieb, dachte ich irgendwann, es sei ein Luxus, ein Hypochonder zu sein. Wenn man Zeit hat, so viel über seine Gesundheit nachzudenken, seinen Arzt zu ärgern und Angst zu haben vor Bakterien und Krankheiten, dann ist das irgendwie eine bourgeoise Sache. Also wollte ich diesen Romain Faubert, den ich spiele, auch mit seinen verborgenen heroischen Seiten konfrontieren – und mit seinem schlimmsten Albtraum: Er wird in ein schreckliches Gefängnis in Osteuropa eingeliefert.
Ihr Hypochonder muss ins Gefängnis, weil man ihn mit einem Terroristen verwechselt. Diese Verwechslung bringt ihm zuvor aber eine große Liebesgeschichte ein…
In der Love Story geht es um die Frage, warum wir uns in jemanden verlieben: Sind wir angezogen von dem Menschen, so wie er ist, oder von dem, was wir in ihn hineinprojizieren? Bei ersten Dates sind wir doch alle Lügner, weil wir nur das Beste von uns herzeigen. Der Hypochonder Romain Faubert übernimmt die Identität eines Anderen und hat, als er für den Freiheitskämpfer Anton Miroslav gehalten wird, plötzlich die Aura eines Helden. Dabei ist er doch genauso schwach und zerbrechlich wie zuvor. Doch seine neue Flamme Anna, gespielt von Alice Pol, schaut ihn ganz verliebt an. Davon ist er so überrascht, dass er gar nicht anders kann, als sich auch in Anna zu verlieben.
Mit der Nordfrankreich-Komödie „Willkommen bei den Sch’tis“ hatten Sie einen überragenden internationalen Erfolg. Spüren Sie seither einen gewissen Druck, diesen Erfolg zu wiederholen?
Nein. Ich mache Filme nicht des finanziellen Erfolgs wegen, sondern ich nehme es als Geschenk an, wenn ich ein so immenses Publikum erreiche. Natürlich ist es großartig, dass ich jetzt jedes Filmprojekt realisieren kann, das ich will. Es ist wirklich leicht für mich, eine Finanzierung zu bekommen. Wenn ich sagen würde, okay, lass‘ uns das Telefonbuch verfilmen, dann würde ich jemanden finden, der sagt, großartig, was für ein Budget brauchst Du?! Aber mir geht es nicht ums Geld, sondern ums Lachen. Ich brauche es, Menschen zum Lachen zu bringen; mit Geschichten und verrückten Ideen, die ich erfinde.
Woher wissen Sie, was die Zuschauer lustig finden? Wenn Sie eine Geschichte schreiben, sitzen Sie allen am Schreibtisch, und auch wenn Sie drehen, gibt es noch kein Publikum.
Das ist immer ein Hoffen und ein Raten. Zunächst einmal muss ich selbst über eine Pointe lachen können. Wenn ich allein im Büro sitze, versuche ich, komische Situationen zu erfinden, von denen ich glaube, dass sie gute Filmszenen ergeben. Das Harte an dem Geschäft ist, dass von dem Moment an zwei Jahre vergehen, bis auch die Zuschauer im Kino darüber lachen können. Das ist einer der Gründe, warum es so schwer ist, Komödien zu machen: Es gibt immer das Risiko, dass ein Gag überholt ist oder nicht mehr gut wirkt, wenn der Film endlich fertig ist. Irgendwann wird der Moment kommen, wenn ich das Gespür dafür verliere, was im Kino lustig wirkt. Das ist normal und ganz okay. Vielleicht gehe ich dann zurück auf die Bühne – zu dem, was ich zu Beginn meiner Laufbahn machte.
Sind Test-Vorführungen bei Komödien wichtig?
Ich mache eine Menge Test-Screenings. Ich beginne damit schon während des Schneidens, noch ohne Musik und Spezialeffekte. Bei richtigen Test-Vorführungen verstecke ich mich im Saal. Das Publikum weiß nicht, was es sehen wird, es gibt nicht einmal Titel und Credits, und ich mache mir meine Notizen. Nachher spreche ich mit den Zuschauern, um zu erfahren, was sie über den Film denken. So etwas tun in Frankreich nur wenige Filmemacher. Doch für mich ist es okay, auch wenn es einmal negativ ausfällt, weil ich die Reaktionen des Publikums brauche.
Es gibt den Spruch: Je mehr Spaß man beim Dreh hat, umso schlechter wird der Film. Bei Ihnen muss es am Set also sehr ernst zugehen…
Natürlich arbeiten wir mit vollem Ernst, aber wir haben auch viel Spaß. Beim Dreh bin ich immer der Erste am Set, das ist großer Stress. Wir proben, wir versuchen, die Szenen glaubhaft zu machen und lustig. Manchmal habe ich das Gefühl, der Rhythmus einer Szene ist nicht gut, dann verändere ich etwas, und da kann ich auf das Team auch einmal schrecklich wirken. Aber wenn ich das Gefühl habe, alles ist gut, dann wird es heiter. Dann sage ich den Leuten, vergesst, was ich gesagt habe – genießt euren Text und eure Situationen. Und meistens verwende ich den ersten oder den zweiten Take einer Szene für den Film – nicht den elften.
Wie schon in „Willkommen bei den Sch’tis“ haben Sie Kad Merad, der Ihren Arzt spielt, als Partner. Gibt es eine spezielle Chemie zwischen Ihnen beiden?
Ja. Kad ist nicht so wie mein echter Arzt – der hat übrigens, in einer Bar-Szene, einen Cameo-Auftritt im Film. Aber zwischen Kad und mir, das ist etwas Besonderes, eine Art Komplizenschaft. Er ist ein wunderbarer Schauspieler, und als wir nach sechs Jahren Pause wieder gemeinsam auf dem Set standen, war es, als hätten wir erst gestern zum letzten Mal miteinander gedreht.