Helen Mirren
über Wien, reale Rollen und „Die Frau in Gold“
„Wien hat uns sehr herzlich empfangen“
08.06.2015
Interview:
Anna Wollner,
Gunther Baumann
Helen Mirren ist die aktuelle Reality-Queen auf Leinwand und Bühne. Im Kino hatte sie jetzt mit „Die Frau in Gold“ Premiere. In dem spannenden Doku-Drama spielt sie die Exil-Wienerin Maria Altmann, der es 2006 gelang, von der Republik Österreich ein von den Nazis geraubtes Erbstück zurückzubekommen: Die „Goldene Adele“ von Gustav Klimt. Und am New Yorker Broadway gewann sie gerade den Tony-Award als beste Darstellerin: In „The Audience“, einem Stück des britischen Wahl-Wieners Peter Morgan, verkörpert sie die Königin Elizabeth II. FilmClicks traf die Oscar-Preisträgerin zum Film-Interview: Helen Mirren über „Die Frau in Gold“, über Maria Altmann, den Dreh in Wien – und über die Tatsache, dass sie sich viele Jahre weigerte, reale Figuren zu spielen.
FilmClicks: Mrs. Mirren, Sie kamen zum Dreh von „Die Frau in Gold“ nach Wien. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?
Helen Mirren: Wir haben viele Szenen des Films in Wien gedreht, und ich muss sagen, Wien hat uns unglaublich herzlich empfangen. Und sehr generös. Bürgermeister Michael Häupl lud mich ins Wiener Rathaus ein und überreichte mir als Begrüßungsgeschenk die Figur des kleinen Mannes, der auf der Spitze des Rathauses sitzt, den Rathausmann. Er gab die Statue mir in die Hand, aber ich denke, in Wahrheit gab er sie Maria Altmann. Und er sagte: Maria war sehr wichtig für uns Wiener, weil ihre Bemühungen uns dazu brachten, unseren Umgang mit der Vergangenheit neu zu überdenken.
Wie würden Sie die Story des Films in einem Satz umreißen?
Nun, „Die Frau in Gold“ ist eine Geschichte über Gerechtigkeit und Restitution. Darüber hinaus ist es eine Geschichte von großer Allgemeingültigkeit, denn es gibt immer wieder Menschen, denen ihr Eigentum entrissen wird, die angegriffen oder sogar umgebracht werden. Wobei es oft genug um nichts anderes geht als finanzielle Interessen. Da ist es sehr schön, hier eine kleine Geschichte erzählen zu können, in der die Gerechtigkeit triumphiert. Denn normalerweise geht so etwas anders aus.
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, die reale Figur der Maria Altmann zu spielen, die jahrzehntelang ein stilles Leben in Los Angeles führte, bis sie durch den Klimt-Restitutionsfall Schlagzeilen machte?
Zum Glück gibt es viel Videomaterial, auf dem Maria Altmann zu sehen ist, und das habe ich mir genau angeschaut. Das war von unschätzbarem Wert. Maria war nur wenigen Menschen in der Öffentlichkeit ein Begriff, aber ich wollte ihr im Film so sehr ähneln wie nur möglich. Also habe ich zum Beispiel meine Augenfarbe verändert, auf Dunkelbraun, das war wichtig. Und dann war da diese unglaubliche aristokratische Wiener Eleganz, die sie ausstrahlte: Immer perfekt gekleidet, zum Beispiel. Nicht teuer, aber immer sehr hübsch. Nur ihre Frisur war stets ein bisschen wild, aber das fand ich sympathisch. Maria Altmann war ein wunderbarer Charakter. Witzig, smart, schlau. Sie war keine hysterische Person, aber sehr emotionell.
Hat Maria Altmanns Anwalt Randol Schoenberg, der Enkel des Komponisten Arnold Schönberg, Anekdoten über sie erzählt?
Aber natürlich. Er hat unser Filmprojekt sehr unterstützt, und er hat viel über Maria erzählt. Von ihm lernte ich zum Beispiel eine typische Geste von Maria Altmann, das war großartig.
Hätten Sie Maria Altmann, die 2011 starb, gern persönlich kennengelernt?
Oh, ich hätte es geliebt, mit ihr sprechen zu können! Ich habe mich wirklich sehr bemüht, ihr beim Spiel nahezukommen. Aber er gibt etwas an ihrer Persönlichkeit, das nur schwer auszudrücken ist. Ihre innere Geschichte, die sich kaum einfangen lässt. Wenn ich Maria Altmann in den Videos sah, wusste ich, dass sie eine bestimmte Qualität besaß, die ich niemals spielen könnte. Und das hat viel mit ihrem Leben und ihren Erinnerungen zu tun.
Sie spielen immer wieder reale Figuren. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?
Bevor ich 2006 die Titelrolle in „The Queen“ annahm, war ich überzeugt davon, dass ich nie einen realen Charakter oder eine vor kurzem verstorbene Frau spielen würde. Denn im Grunde ist das ein Match, das man nicht gewinnen kann. Man ist nie so gut wie die reale Person. Selbst wenn man brillant spielt, erreicht man nur 50 oder vielleicht 75 Prozent der Ausstrahlung des Rollenvorbilds. Auch die 50 Prozent erreicht man nur durch Imitation, durch Mimikry. Und Mimikry steht dem Schauspielen total im Weg. Man hatte mir vor „The Queen“ schon reale Rollen angeboten, doch ich sagte immer nein dazu. „The Queen“ allerdings war ein so außergewöhnliches Thema, und ein so außergewöhnliches Drehbuch (von Peter Morgan, der auch das Niki-Lauda-Drama „Rush“ schrieb, Anm.), dass ich schließlich zusagte. In Summe habe ich in meiner Laufbahn aber nur sehr wenige Rollen gespielt, die auf realen Personen basieren. Bei Maria Altmann war es die Story und ihre Persönlichkeit, die mich zusagen ließen. Es war schön, ein Teil des feinen Projekts „Die Frau in Gold“ zu sein.
Wenn Sie Mimikry nicht mögen – was macht denn das Schauspielen für Sie aus?
Das Schauspielen ist die Kunst, der ich mein Leben gewidmet habe. So wie das Malen oder das Schreiben ist das Spielen eine Kunst, die die menschliche Befindlichkeit überdenkt und überprüft. Ein Versuch, das Leben zu verstehen. Im Fall von „The Queen“ fand ich interessant, dass mich die Aufgabe, Königin Elizabeth II. zu spielen, irgendwie befreit hat. Auch wenn ich natürlich beim Versuch, so wie sie zu sein, nicht einmal ansatzweise so gut sein konnte wie sie selbst
(lacht). Kurz vor diesem Film hatte ich Königin Elizabeth I. (1533 – 1603) gespielt, von der es natürlich keine Filme gibt, sondern nur Bilder. Ich versuchte mit diesen Bildern, Elemente ihrer Persönlichkeit zu erkennen. Und bei „The Queen“ dachte ich mir dann, jetzt probiere ich das Gleiche. Ich schaute mir viele Porträts von Elizabeth II. an, und das brachte mich auf den Gedanken: fein, mein Spiel wird einfach ein weiteres Porträt von ihr. Es gibt die Porträts von Annie Leibovitz und anderen Fotografen und Malern von ihr, und es gibt jetzt auch das Porträt von mir, der Künstlerin Helen Mirren. Und da ist genauso viel von mir drin wie von der Queen.
Noch einmal zurück zu „Die Frau in Gold“: Gab es bei diesem Projekt Momente, die Sie ganz besonders berührt haben?
Es hat mich sehr berührt, als wir in Wien vor dem Haus, in dem Maria Altmann wohnte, und in den Straßen, in denen sie täglich ging, gedreht haben. Denn das waren ja auch die Orte, an denen sie und viele andere Menschen so sehr gelitten haben.