Filmfest Venedig

Goldener Löwe für schwedische „Taube“

06.09.2014
von  Gunther Baumann
Goldener Löwe: Roy Andersson für „A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existence“ © ASAC
Der Film mit dem längsten Titel gewann den wertvollsten Preis. Die schwedische Groteske „En Duva Satt Pa En Gren Och Funderade Pa Tillvaron“ (zu deutsch: „Eine Taube saß auf einem Ast und reflektierte über die Existenz“) von Roy Andersson wurde am 6. September mit dem Goldenen Löwen des Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet. Der Regiepreis ging an den Russen Andrej Konchalovski für sein Provinzdrama „The Postman’s White Nights“, der große Preis der Jury an den US-Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer für „The Look of Silence“. Publikums-Favoriten wie „Birdman“ von Alejandro González Inárritu oder „Pasolini“ von Abel Ferrara gingen leer aus.
Gold. „Mein Ziel ist es, ein Spannungsfeld zwischen dem Banalen und dem Essentiellen, dem dem Komischen und dem Tragischen zu schafffen“, schreibt der 71-jährige  Regisseur Roy Andersson über seinen Film, mit dem er beim 71. Festival von Venedig den Goldenen Löwen gewann. All diese Zutaten sind in der Groteske, welche die Taube und die Existenz im Titel trägt, reichlich vorhanden.

Andersson entwirft in vielen kleinen Szenen, die wie Kurzfilme wirken, eine Welt voller versponnener Figuren, deren Weg im Regelfall nicht zum Glück, sondern eher zum Unglück (wenn nicht gar bis zum Tod) führt. In unserer Redaktions-Wertung hätte der Film (wie die freundlich-harsche FilmClicks-Kritik zeigt) eher nicht den Goldenen Löwen davongetragen.
 
Beste Regie: Andrej Konchalovski (mit Hauptdarstellerin Irina Ermelova) © Katharina Sartena

Zum besten Regisseur des Festivals hat die Jury Andrej Konchalovski gewählt. Der brillante und polyglotte Filmemacher aus Moskau, der auch viel im Westen arbeitete („Homer and Eddie“), schuf mit „The Postman’s White Nights“ eine sanfte Sommer-Elegie, die mit ihren Figuren und ihrer Atmosphäre begeistert.
 
Man begleitet einen Postboten durch eine unglaublich schöne Seen- und Meereslandschaft Nordrusslands – in einem Film, in dem fast nichts passiert. Einmal wird der Außenbordmotor des Boots gestohlen, mit dem der Postbote seine Sendungen liefert. Dann zieht die Frau, die er heimlich verehrt, an einen neuen Ort: Sie hat einen Job in Archangelsk. Und einmal sieht man in der Ferne eine Rakete in den Orbit abheben. Das ist alles. Ansonsten: Stimmungen, Beobachtungen, winzige Abenteuer. Und das ist genug für 100 Minuten pures Filmvergnügen.  

Großer Preis der Jury: Joshua Oppenheimer © ASAC

Doku. Viel Beifall gab es am Lido für die Entscheidung, dem Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer den Großen Preis der Jury zu verleihen. „The Look of Silence“ berichtet, wie schon Oppenheimers letzter Film „The Act of Killing“, von den Genozid-ähnlichen Massenmorden an Kommunisten im Indonesien der Jahre 1965 und 1966. Der neue Film schildert die Verbrechen aus der Sicht der Familien der Opfer, die bis heute Seite an Seite mit den Tätern von damals leben müssen. „The Look of Silence“ ist ein eindringliches, ein schauriges Werk.
 
Das Familiendrama „Hungry Hearts“ wurde mit den zwei Schauspielerpreisen gewürdigt. Der Amerikaner Adam Driver und die Italienierin Alba Rohrwacher spielen in dem Film von Saverio Costanzo ein junges Ehepaar in New York, dessen Liebesglück in Gefahr gerät, als sich Nachwuchs ankündigt und die werdende Mutter zunehmend neurotische Phantasien entwickelt.

Beste Darsteller: Adam Driver und Alba Rohrwacher („Hungry Hearts“) © ASAC

Der Preis der Jury für das türkische Hund-und-Kind-Drama „Sivas“ und der Drehbuch-Preis für die iranische Produktion „Ghesseha“ künden vom entschiedenen Willen der Jury, sich nicht von großen Namen beeindrucken zu lassen.
 
Keine Preise. Unbedankt blieben einige starke Filme, die demnächst in den Arthaus-Kinos und den Multiplex-Palästen Furore machen könnten. Darunter die Kunst-und-Ruhm-Groteske „Birdman“ mit Michael Keaton und Edward Norton, das Biopic „Pasolini“ von Abel Ferrara mit Willem Dafoe und das Kriegsdrama „Loin des hommes“ mit einem überragenden Viggo Mortensen. Namhafte Filmemacher wie Fatih Akin („The Cut“) oder Ramin Bahrami („99 Homes“) gingen ebenfalls leer aus.

71. Filmfestspiele Venedig 2014
Die Preisträger

Wettbewerb

Goldener Löwe: Roy Andersson (Schweden) für „A Pigeon Sat On A Branch Reflecting On Existence“
Silberner Löwe (beste Regie): Andrej Konchalovski (Russland) für „The Postman’s White Nights“
Großer Preis der Jury: Joshua Oppenheimer (USA) für „The Look of Silence“
Spezialpreis der Jury: Kaan Müjdeci (Türkei) für „Sivas“
Coppa Volpi (bester Darsteller): Adam Driver (USA) für „Hungry Hearts“
Coppa Volpi (beste Darstellerin): Alba Rohrwacher (Italien) für „Hungry Hearts“
Marcello-Mastroianni-Preis (bester Nachwuchs-Darsteller): Romain Paul (Frankreich) für „Le dernier coup de marteau“
Bestes Drehbuch: Rhakshan Banietemad, Farid Mostafavi (Iran) für „Ghesseha“
 
Sektion Orrizonti
Bester Film: Chaitanya Tamhane (Indien) für „Court“
Beste Regie: Naji Abu Nowar (Jordanien) für „Theeb“
Spezialpreis der Orrizonti-Jury: Franco Maresco (Italien) für „Belluscone. Una Storia Siciliana“