Filmfest Venedig 2018

Die Eröffnungsgala: Ryan Gosling auf dem Weg zum Mond

29.08.2018
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Venedig-Eröffnungsfilm „Aufbruch zum Mond“: Ragisseur Damien Chazelle schildert erste Mondlandung © Universal
Da muss man, der Kalauer sei erlaubt, von einem Raketenstart sprechen. Das Filmfest Venedig begann am 29. August mit „First Man“ (deutscher Titel: „Aufbruch zum Mond“), dem neuen Film von Damien Chazelle. Der sonst so musikalische „La La Land“-Regisseur hat diesmal komplett das Thema gewechselt  und begleitet den Astronauten Neil Armstrong (Ryan Gosling) auf dem Weg vom Testpilot bis zum ersten Mondspaziergang. „First Man“ ist der erste von 21 Filmen im Wettbewerb um den Goldenen Löwen, der von einer prominenten Jury verliehen wird. Vorjahrs-Sieger Guillermo del Toro führt die Preisrichter an, zu denen auch die Stars Naomi Watts und Christoph Waltz gehören.
Auftakt. „Ich bin der Präsident dieser Jury – nicht ihr Diktator“, sagte Guillermo del Toro. Bevor die Stars am Abend des 29. August über den roten Teppich zur Eröffnungs-Gala schritten, gab’s beim Festival schon die ersten Wortmeldungen. Der Jury-Chef del Toro machte in einem launigen Pressegespräch klar, dass er keinesfalls allein darüber zu entscheiden gedenke,  wer am 8. September den Goldenen Löwen nach Hause tragen darf.

2017 gewann er den Goldenen Löwen - 2018 ist er Jury-Präsident: Guillermo del Toro © Katharina Sartena

Frauenfrage. Die Jury-Pressekonferenz hatte aber auch einen ernsten Aspekt, nämlich jenen des geringen Anteils der Frauen unter den eingeladenen Filmemachern. Die Australierin Jennifer Kent, die mit der Horror-Fabel „Der Babadook“ bekannt wurde, ist mit ihrem neuen Film „The Nightingale“ die einzige Regisseurin im Wettbewerb.
 
Zwar nannte Biennale-Präsident Paolo Baratta zwecks Rechtfertigung ein paar Zahlen („nur 21 Prozent der eingereichten Filme stammten  von Frauen“), aber das half ihm nicht weiter. Eine Frau und 20 Männer im Wettbewerb: Das entspricht halt nur einem Anteil von nicht einmal 4,8 Prozent.  
 
„Es ist ein Problem, dass so viele Stimmen nicht gehört werden“, kommentierte Jury-Chef del Toro. „Unser Ziel muss es sein, auf einen Frauenanteil von 50 Prozent zu kommen.“ In seiner eigenen Filmfirma hat der Mexikaner diese Forderung sogar übererfüllt: „Ich produziere derzeit fünf Filme. Drei werden von Frauen inszeniert und zwei von männlichen Newcomern.“
 
„Aufbruch zum Mond“: Ryan Gosling porträtiert den Astronauten Neil Armstrong © Universal

Aufbruch zum Mond. Der Venedig-Eröffnungsfilm „First Man“ alias „Aufbruch zum Mond“ (Kinostart: 8. November) ist jedenfalls eindeutig eine Männersache. Auch wenn Claire Foy als Janet Armstrong, die Ehefrau des Astronauten Neil Armstrong, eine große und wichtige Rolle spielt. Das Drama konzentriert sich auf zwei Aspekte der Mondmission: Auf den wissenschaftlich fundierten Irrwitz des Nasa-Teams, dieses Himmelfahrtskommando überhaupt in Angriff zu nehmen. Und auf das Privatleben von Neil Armstrong, der, so Regisseur Damien Chazelle, „ja nicht nur zum Mond aufbrach, sondern auch eine Familie auf der Erde zurückließ.“
 
Der Film beginnt mit der atemraubend gefilmten Sequenz eines Testflugs des jungen Neil Armstrong, der 1961 mit seiner X-15 an den Grenzen zum Weltraum kratzt. Dann werden zwei Handlungsstränge parallel ausgelegt. Einerseits die Fortschritte, Rückschläge und auch Todesfälle im Raumfahrtprogramm der USA. Und andererseits die Biografie von Neil Armstrong. Er wird privat als stiller, verschlossener Familienmensch geschildert, der noch schweigsamer wird, als seine kleine Tochter Karen an einem Gehirntumor stirbt. In  Gedanken ist Karen fortan stets bei ihm – auch bei der Mondlandung der Mission Apollo 11 am 21. Juli 1969, die auf der Leinwand glänzend geschildert wird.  
 
„Aufbruch zum Mond“ ist ein Film, der kaum eine unstimmige Szene hat und der dennoch an einem Problem leidet, für das er nichts kann: Das Abenteuer der Mondlandung gehört nun einmal zu den am häufigsten erzählten Geschichten des 20. Jahrhunderts. Es ist also nicht leicht, diesem Thema neue Facetten abzugewinnen. Und so schleicht sich, das war in Venedig schon bei der internationalen Pressevorführung zu spüren, gelegentlich eine Spur von Langeweile im Kinosaal ein.
 
Meisterlicher Fabrikant spektakulärer Bilder: Regisseur Damien Chazelle © Katharina Sartena

Damien Chazelle hat somit keinen Film zum Mitzittern gedreht, dafür jedoch einen zum Staunen. Man staunt über den Mut der Raumfahrt-Pioniere, die mit den Mitteln der 1960er Jahre das Wagnis unternahmen, ins All aufzubrechen (heute besitzt vermutlich jedes bessere Smartphone mehr Rechenleistung als das Kontrollzentrum in Houston). Und man staunt über die Filmtechnik, die diesen Aufbruch in  wahrhaft aufrüttelnde Bilder umsetzt.
 
Wenn sich die Astronauten in ihre winzig kleinen Raumkapseln zwängen, bekommt man schon beim Zuschauen Klaustrophobie. Und wenn sich eine Saturn-5-Rakete (im Grunde ja nichts anderes als eine mit Sprengstoff gefüllte, zielgerichtete Bombe) in Bewegung setzt, dann ächzt und stöhnt und brüllt und vibriert das Vehikel so furchteinflößend schaurig, dass man froh ist, in einem Kinosessel zu sitzen und nicht in einem Raumschiff.
  
Dem Lärm der Expeditionen steht die Stille gegenüber, die Neil Armstrong ausstrahlt. Ryan Gosling porträtiert den mutigen Mann mit imponierender Intensität als großen Schweiger, der sich mühsam jedes Wort abringt. Claire Foy als Janet ist  Neil eine ernste und solidarische, aber auch kritische Partnerin. Sie gestaltet das facettenreiche Bild einer Frau, die nur einmal im Leben völlig danebenlag: „Als ich Neil heiratete“, sagt Janet Armstrong sinngemäß im Film, „dachte ich, er sei ein Mann, der mir viel Sicherheit bieten würde.“