Rocketman
Genre: Musik-Biografie
Regisseur: Dexter Fletcher (Großbritannien)
Stars: Taron Egerton, Jamie Bell, Bryce Dallas Howard, Richard Madden
Cannes-Premiere: Außer Konkurrenz
„Rocketman“ ist ein Muss für alle Elton-John-Fans. Eine brillant gespielte Biografie mit zahllosen Hits, die vom Aufstieg des Popstars erzählt, aber auch von den großen Krisen, durch die Elton John (Taron Egerton) trotz Ruhm und Reichtum ging.
Der Film beginnt in der Kindheit des kleinen Reggie Dwight, der unter der abweisenden Aura seiner Eltern leidet, jedoch ein großes Talent besitzt: Der Junge kann phantastisch Klavier spielen. Es dauert nicht lange, bis dieses Talent auch von einem Manager entdeckt wird, der ihn mit dem Texter Bernie Taupin (Jamie Bell) zusammenbringt. Aus der Begegnung entsteht eine tiefe Freundschaft – und eines der erfolgreichsten Autoren-Duos der Popgeschichte.
Aus dem schüchternen Reggie wird in rasantem Tempo der exaltierte Popstar Elton John. Der entdeckt bald seine Leidenschaft für Sex & Drugs & Rock’n’Roll. Doch er erkennt auch, dass ihn dieser Lebensstil nicht glücklich macht.
„Du musst den, als der du geboren wurdest, umbringen, damit du zu der Person werden kannst, die du sein willst.“ So lautet einer der Schlüsselsätze von „Rocketman“. Den schüchternen, linkischen Reggie zu verabschieden, fällt dem jungen Musiker nicht schwer - als Glamrocker Elton John wird er zum Liebling aller Modedesigner, die ihm die verwegensten Bühnenoutfits auf den Leib schneidern. Doch der innere Reggie bleibt bestehen. Auch als Star bleibt er ein Mann, der sich (oft vergeblich) nach der Zuneigung von Eltern, Freunden und Geliebten sehnt und der sich selbst nicht besonders gut leiden kann.
Der Film von Regisseur Dexter Fletcher (der schon das Freddie-Mercury-Pic „Bohemian Rhapsody“ nach dem Rausschmiss von Bryan Singer fertigdrehte) verknüpft geschickt die Erfolgsgeschichte mit den privaten Qualen des jungen Elton John. Ganz prächtig funktioniert dieses Prinzip schon in der allerersten Szene. Da sieht man Elton in voller Bühnenmontur durch einen langen Gang schreiten. Doch als er eine Türe öffnet, betritt er keine Rock-Arena, sondern ein Meeting der Anonymen Alkoholiker. Wo er gleich mal offenbart, von Rauschmitteln aller Art abhängig zu sein.
Bereits an dieser Szene wird deutlich, dass „Rocketman“ alles andere als eine unkritische Heldenverehrungs-Saga ist. Elton John gewährte dem Drehbuchautor Lee Hall (mit dem er schon den Musical-Hit „Billy Elliott“ schrieb) tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt. Und der Film gibt diese Einblicke weiter.
Diese Struktur macht „Rocketman“ zu einem viel interessanteren Film als die ähnlich gelagerte Freddie-Mercury-Biografie »Bohemian Rhapsody«. Hier wie dort wird man mit viel feiner Musik verwöhnt, wobei „Rocketman“ mit einigen durchchoreografierten Szenen manchmal wie ein Musical wirkt. Doch was die Hauptfigur betrifft, liefert der Elton-John-Film ein bedeutend detailreicheres Porträt.
„Rocketman“ widmet sich auch dem für Nicht-Celebrities so rätselhaften Thema, warum viele Stars dazu neigen, sich mit Alkohol und Drogen auf den Selbstzerstörungs-Trip zu begeben. Vermutlich einfach einmal deshalb, weil das Zeug stets verfügbar ist. Und weil man einem Star keine Grenzen setzt. Doch möglicherweise auch deshalb, weil in einem besonders kreativen Geist auch besonders kreative Dämonen wohnen. Elton John ist ein Mann, den die ganze Welt liebt - und zugleich, so erzählt es der Film, ein Mann, dem es sehr lange sehr schwer fiel, sich selbst zu akzeptieren.
Fazit: „Rocketman“ ist ein Prachtstück von einem Film, an dem natürlich auch die brillanten Darsteller (voran Taron Egerton als Elton John und Jamie Bell als Bernie Taupin) sehr großen Anteil haben. Wer „Bohemian Rhapsody“ mochte, der wird auch von „Rocketman“ begeistert sein.
bau
Kinostart: 29. Mai
Publikums-Chancen: Sehr hoch
Gesamteindruck: „Rocketman“ ist eine begeisternde und analytische Pop-Biografie mit einem Soundtrack zum Niederknien.
Les Misérables
Genre: Sozial-Polizei-Drama
Regie: Ladj Ly (Frankreich)
Stars: Damien Bonnard, Alexis Manenti, Djebril Zonga
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Wer den Titel „Les Misérables“ hört, wird zuerst an den berühmten Roman von Victor Hugo oder an das Musical denken. Mit all dem hat der Erstlingsfilm des französischen Regisseurs Ladj Ly nichts zu tun. Es geht nicht um die Zeit der napoleonischen Herrschaft und jede Menge Musik, sondern um die Gegenwart in einer Gegend, die nicht zu den nicht zu den feinsten Ecken vor den Toren von Paris zählt.
Gleich zu Beginn sieht man Menschen frenetisch den Sieg der französischen Fussball-Nationalmannschaft bei der Fußball-WM 2018 mitten in der Stadt feiern. Das werden für den gesamten Film die einzigen beschwingten und federleichten Szenen sein.
Schon am nächsten Tag tritt der Polizist Stéphane (Damien Bonnard) seine neue Dienststelle an. Gemeinsam mit seinen Kollegen Chris (Alexis Manenti) und Gwada (Djebril Zonga) fährt er mit dem Streifenwagen durch Montfernell, einen der zahlreichen Vororte von Paris. Gesichtslose Hochhäuser reihen sich hier aneinander.
Die Polizisten sollen für Ruhe und Ordnung sorgen. Schwer zu machen, wenn die Situation - meisterhaft eingefangen von Ladj Ly - immerzu und ständig dabei ist, zu eskalieren und ins Gewalttätige zu kippen. Stéphane will Probleme mit Verständnis und Ruhe lösen. Seine Kollegen lachen ihn nur aus. Sie sind seit zehn Jahren auf diesen Straßen der Hoffnungslosigkeit unterwegs.
Bald gibt es riesengroße Probleme. Die Leute von einem Zirkus rücken mit Schlagstöcken an. Ein Löwenbaby wurde ihnen gestohlen. Jemand hat gesehen, dass der Dieb ein kleiner schwarzer Junge gewesen sein soll. Sofort gerät das gesamte Viertel unter Verdacht. Die Polizisten versprechen, das Tier innerhalb von 24 Stunden wieder zu beschaffen und treten damit eine Kette von Gewalt los, die am Ende niemand mehr kontrollieren kann.
Ladj Ly hat insgesamt 15 Jahre an diesem Film gearbeitet. Und er ist in Montfernell aufgewachsen. Das ist jeder Szene anzumerken. Er erzeugt auch einen unglaublichen Sog und eine sehr tiefe Spannung. Am Ende glauben die Erwachsenen, das Problem gelöst zu haben. Aber sie haben nicht mit den Kindern und Jugendlichen gerechnet. Die nämlich sind die wahren Opfer der derzeitigen Situation in Ländern wie Frankreich. Eine Perspektive, eine Hoffnung auf die Zukunft sehen sie nicht. Und deshalb lassen sie sich auch von Autoritäten nichts mehr sagen. Sie suchen die direkte Auseinandersetzung mit der Obrigkeit, auch wenn das Kampf und Zerstörung bedeutet.
bed
Kinostart: Noch kein Termin
Publikums-Chancen: Im Arthaus-Bereich hoch
Gesamteindruck: „Les Misérables“ ist ein perfekter Kommentar zu unserer Zeit. Wer wissen möchte, warum sich viele Menschen abgehängt fühlen, sollte diesen packenden Film sehen. Ein früher Anwärter auf einen großen Preis in Cannes!