Festival Cannes 2019

Sex & Techno & Palaver

24.05.2019
von  Peter Beddies, Gunther Baumann
„Mektoub: My Love – Intermezzo“: Der neue Film von Abdellatif Kechiche fiel in Cannes durch © Festival Cannes
Das Festival Cannes hatte zum Abschluss fast noch so etwas wie einen kleinen Skandal. Der französische Filmemacher Abdellatif Kechiche, vor sechs Jahren gepriesen für seine grandiose Liebesgeschichte „Blau ist eine warme Farbe“, langweilte und verärgerte das Publikum mit dem längsten Film des Wettbewerbs. „Mektoub: My Love – Intermezzo“ zieht sich gut dreieinhalb Stunden dahin, hat aber nur belanglose Dialoge, dröhnende Techno-Sounds und explizite Sexszenen zu bieten.
Mektoub: My Love - Intermezzo
Genre: Jugenddrama 
Regie: Abdellatif Kechiche (Frankreich)
Stars: Shain Boumedine, Ophélie Bau, Hafsia Herzi, Marie Bernard
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
 
„Mektoub: My Love“: Es ist ein Mammut-Projekt, das sich Abdellatif Kechiche vorgenommen hat. Nach dem weltweiten Erfolg von „Blau ist eine warme Farbe“ (Goldene Palme von Cannes 2013) wollte sich der 1960 in Tunis geborene Filmemacher in einer Zehn-Stunden-Trilogie der Jugend im Süden Frankreichs in den 1990er Jahren widmen.
„Canto Uno“, der erste Teil, wurde 2017 beim Festival Venedig uraufgeführt. Dafür gab es damals schon Kritik. Der Film, der ohne erkennbare Höhepunkte knapp drei Stunden durch einen Sommer mäandert, sei viel zu lang. Andere Rezensenten  meinten, selten hätten sie sich in einem Film so wohl gefühlt, hätten ohne Stress und Hektik diesen Jugendlichen auf der Leinwand folgen können.
„Intermezzo“, der zweite Teil von „Mektoub: My Love“, hatte jetzt im Wettbewerb von Cannes Premiere. Diesmal dürfte es kaum jemanden geben, der ein positives Wort über das Werk verliert. Denn Kechiche macht in drei Stunden und 32 Minuten (angekündigt waren ursprünglich vier Stunden) seinen behutsam erzählten Auftakt „Canto Uno“ kaputt.
Zuerst erinnert in „Intermezzo“ noch alles an Teil Eins. Im Zentrum steht wieder die Familie von Amin (Shain Boumedine). Im ersten Teil ging es noch hauptsächlich um ihn und wie er die Liebe im Leben findet. Nun ist man einige Monate weiter. Der Sommer nähert sich dem Ende. Im September verbringt man die Freizeit immer noch gern am Strand.
Dort taucht Marie (Marie Bernard) aus Paris auf. Sie wird sofort in die Gruppe aufgenommen. 45 Minuten lang wird ereignislos palavert, sodass man im Kino langsam Gefahr läuft, wegzunicken. Dann schaltet der Film auf Club-Modus.
„Mektoub: My Love - Intermezzo“ wird die folgenden gut zwei Stunden lang der lauteste Film dieses Kinojahres. Denn Kechiche will die Zuschauer spüren lassen, wie es damals in einem Club zuging.
Also muss man ständig Techno – immer mal wieder von Abba-Klassikern unterbrochen – in einer Lautstärke wie in einem Club ertragen. Zwischendurch wird die Lautstärke hin und wieder gedimmt. Wenn es um – zumeist belanglose – Gespräche über die Liebe und das Leben geht.
Lediglich über einen Konflikt wird verhandelt: Ob Ophélie (Ophélie Bau), die bei einem Seitensprung schwanger wurde, sich das Kind wegmachen lassen soll. Und ob sie ihren Freund, der demnächst aus dem Irak zurückkehrt, heiraten soll oder nicht. 
Richtig ärgerlich wird der Film, wenn er nur beobachtet. Da ist die wahrscheinlich längste Zungen-Sex-Szene, die es jemals außerhalb von Pornofilmen gegeben hat. Ophélie lässt sich zwölf Minuten lang auf dem Club-Klo in allen möglichen Stellungen oral befriedigen, stöhnt endlos und den Arsch möchte sie sich bei der Gelegenheit auch gleich noch mit versohlen lassen. Die Kamera bleibt so dicht dran wie möglich. Das kann man dokumentarisch nennen oder einfach einen Schritt zu weit in Richtung Porno.
Überhaupt beobachten die Kameras die Frauen in diesem Club auf eine Art und Weise, die nach einer Weile nur noch langweilt und abstößt. Kechiche findet es offenbar spannend, Frauen auf extrem knapp bekleidete Hinterteile zu starren. Wie sie sich an den Pool-Stangen räkeln und den Unterleib schütteln. Insgesamt schauen die Zuschauer mehr als 45 Minuten lang auf zuckende Damen-Hintern. Die Kamera immer dicht dran, stets leicht von unten gefilmt. Voyeurismus verkleidet als Filmkunst – willkommen im Land der Arschwackler! 
Mektoub heißt übersetzt so viel wie Schicksal. Vielleicht soll es das Schicksal von Abdellatif Kechiche sein, die Trilogie schon jetzt nach Teil zwei zu beenden. Oder er überdenkt sein Projekt noch einmal gehörig.
Wie es mit dem Filmemacher und seiner Karriere überhaupt weitergeht, ist derzeit völlig unklar. Schon seine Hauptdarstellerinnen aus „Blau ist eine warme Farbe“ hatten nach den Dreharbeiten Übergrifflichkeiten des Filmemachers beklagt. Nun hat sich eine weitere Schauspielerin - dieses Mal aus Hollywood - gemeldet, dass sie von ihm sexuell missbraucht wurde. Gegen Kechiche wird derzeit ermittelt.   bed
 
Kinostart: Noch kein Termin
Publikums-Chancen: tendieren gegen Null
Gesamteindruck: „ Mektoub: My Love - Intermezzo “ ist eine überlange und unangenehm anzuschauende, sexistische Altmänner-Phantasie