The Last Face
Genre: Romanze und Politmelodram
Regie: Sean Penn (USA)
Starfaktor: Hoch (Charlize Theron, Javier Bardem, Jean Reno)
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Sean Penn hat mit „The Last Face“ einen höchst ungewöhnlichen Film gedreht. Er lässt eine Love Story mit sehr melodramatischen Zügen vor dem Hintergrund afrikanischer Bürgerkriege ablaufen, in denen internationale Ärzte versuchen, das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern.
Die Südafrikanerin Wren Petersen (Charlize Theron) und der Spanier Miguel Leon (Javier Bardem) sind zwei dieser Ärzte. Inmitten von all dem Horror und Blut und der ewig lauernden Lebensgefahr (ständig muss mit bewaffneten Angriffen gerechnet werden) finden sie Zeit für eine leidenschaftliche Liebe. Der allerdings, das ahnt man schon im Prolog des Films, ist kein ungetrübtes Glück beschieden.
Der Hollywood-Star Penn, privat häufig in Hilfsprojekten aktiv, blickt nicht mit einem analytisch-kühlen Blick auf das kriegerische Geschehen und seine zwei humanistisch engagierten Turteltäubchen. Ganz im Gegenteil: Penn wirft die große Gefühlsmaschine an. Und so wirken alle Figuren und Situationen überlebensgroß, obwohl der Tod ständig um die Ecke schaut. Das tut dem Film nicht gut.
Die Probleme beginnen mit der Optik. „The Last Face“ hat den eleganten Look eines teuer produzierten Tourismus-Videos, was einigermaßen deplatziert wirkt, wenn der Schauplatz ein Flüchtlingslager oder ein niedergebranntes Dorf ist. Hans Zimmer unterlegt die Bilder mit einem wogenden Soundtrack, der mehr nach Hollywood als nach Afrika klingt. Charlize Theron und Javier Bardem schauen stets aus wie ein Paar aus dem Glamour-Bilderbuch; so verdreckt und verschmiert können sie im Urwald gar nicht sein.
Sean Penn drückt aber nicht nur bei den Äußerlichkeiten auf die Tube, sondern auch in der Story. Schon von der ersten Minute an merkt man, dass dies eine Liebesgeschichte ist, die zwischen höchster Ekstase und tiefster Verletzung vor keinem Extrem zurückscheut. Die Romanze könnte gewiss auch allein einen Film tragen. Doch Sean Penn mischt immer wieder, mit Bildern von furchtbarer Intensität, Kriegsereignisse in den Plot. Er zeigt aber nur die Auswirkungen der Gewalt. Über die Gründe des Unfriedens in einigen Regionen Afrikas erfährt man nichts.
Unterm Strich ist „The Last Face“ ein blut- und manchmal auch schmalztriefendes Melodram, dem man es trotz seiner Überladenheit gerne glaubt, dass Regisseur Penn und sein Ensemble voller Ernst humanistische Anliegen vertreten.
bau
Kinochancen: Mittel. Für einen Blockbuster zu ernst, fürs Arthaus-Publikum möglicherweise zu gefühlsduselig
Kinostart: Noch kein Termin
Gesamteindruck: Sean Penn inszeniert so, wie der österreichische Kunst-Star Gottfried Helnwein malt: Technisch perfekt, aber überdreht
It’s Only The End Of The World
Genre: Familiendrama
Regie: Xavier Dolan (Kanada)
Starfaktor: Hoch (Marion Cotillard, Léa Seydoux, Nathalie Baye, Gaspard Ulliel, Vincent Cassel)
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Xavier Dolan, 27, wird gern filmisches Wunderkind oder kanadischer Fassbinder genannt, da er – so wie die deutsche Filmlegende – sehr früh begonnen hat und in der Lage ist, auf der Leinwand euphorische Zustände zu erzeugen. Mit seinem letzten Film „Mommy“ ist ihm dies 2014 in Cannes herausragend gelungen. Mit „It’s Only The End Of The World“ scheitert Dolan in diesem Jahr aber grandios.
Beim „Ende der Welt“ geht es um den schwulen Künstler Louis (Gaspard Ulliel), der nach zwölf Jahren mal wieder nach Hause zur Familie kommt. Die freut sich auf ihn und möchte gern unbeschwert Zeit mit ihm verbringen. Aber Louis hat einen anderen Plan. Er ist schwerkrank und weiß, dass er demnächst sterben wird. Deshalb möchte er sich von der Familie verabschieden.
Dort, wo Louis aufgewachsen ist, irgendwo in der Provinz, erwartet ihn allerdings ein unfroher Käfig voller Narren. Die Mutter (Nathalie Baye), schrill gekleidet und geschminkt, sieht aus, als käme sie aus einem schlechten Almodóvar-Film. Die Schwester (Léa Seydoux) legt jede Menge Aggressionen an den Tag. Der Bruder (Vincent Cassel) ist eine Art Psychopath, während seine Gattin (Marion Cotillard) die Einzige zu sein scheint, die hinter Louis' Fassade blicken kann. Allerdings ist sie das Dummchen in der Familie und niemand nimmt sie ernst.
Es gibt in diesem Film so viel Konflikt, dass ein Rainer Werner Fassbinder wohl 15 Stunden gebraucht hätte, um alles anzusprechen und aufzulösen. Xavier Dolan hat aber nur den geschwätzigsten Film des Kinojahres 2016 gedreht, der schwer darunter leidet, dass hier ständig rumgebrüllt wird, und dass Wortgefechte laufen, die an Künstlichkeit nicht zu überbieten sind. Niemals wird geschaut, woher wohl all diese Probleme kommen. Immerzu reden alle aneinander vorbei.
Zwischendurch inszeniert Dolan das, was er gut kann: einige schwule Liebesszenen, unterlegt mit starker Musik. Aber dann brüllen wieder alle los, bis der kranke Louis, ohne das Wesentliche ausgesprochen zu haben, die Familie verlässt.
In der letzten Szene versucht der Kuckuck aus der Wanduhr, Selbstmord zu begehen. Wahrscheinlich, weil er all das Geschwätz nicht mehr ertragen hat. Allein dem Vogel gehört unser Mitgefühl.
bed
Kinochancen: gering
Kinostart: Noch keinTermin
Gesamteindruck: völlig verunglückte Studie einer unglücklichen Familie
Julieta
Genre: Drama
Regie: Pedro Almódovar (Spanien)
Starfaktor: niedrig (Emma Suárez, Adriana Ugarte, Daniel Grao)
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Oscar-Preisträger Pedro Almodóvar führt im Familiendrama „Julieta“ wieder einmal vor, wie wunderbar er es versteht, subtile, vielschichtige Frauenfiguren zu porträtieren, die gern am Rande des Nervenzusammenbruchs durchs Leben wandeln dürfen.
Der Titelheldin Julieta (Emma Suárez) begegnen wir als schöner und scheinbar souveräner Frau Mitte 50. Doch dann reagiert sie sehr merkwürdig auf eine Zufallsbegegnung. Als ihr eine entfernte Freundin berichtet, sie habe Julietas Tochter getroffen, wirkt die Mutter nicht erfreut. Ganz im Gegenteil. Sie scheint völlig die Fassung zu verlieren. In den folgenden 90 Minuten erzählt der Film mit zahlreichen Rückblenden, warum das so ist.
Ein Schnitt, 30 Jahre zurück. Die junge, Kraft und Lebenslust ausstrahlende Julieta (nun gespielt von Adriana Ugarte) schließt in einem Zug Bekanntschaft mit dem attraktiven Xoan (Daniel Grao). Aus dem Gespräch wird eine Affäre, aus der Affäre eine große Liebe. Es wird geheiratet. Bald kommt Tochter Antia zur Welt. Das Familienidyll bekommt nur gelegentlich kleine Kratzer.
Doch dann, mehr als zehn Jahre später, folgt die Katastrophe. Xoan, Fischer von Beruf, fährt in einer stürmischen Nacht aufs Meer hinaus. Er kommt nicht zurück. Mutter und Tochter stehen auf einmal alleine da.
Die trauernde Julieta versucht, so gut es geht, ihrer Tochter eine Stütze zu sein. Doch als Antia 18 ist, bemerkt Julieta auf die ganz harte Art, dass ihr dabei offenbar Fehler unterlaufen sind, die die Tochter zu einem drastischen Schritt verleiten. Antia kommt von ihrer ersten Alleinreise nicht mehr zurück. Sie verschwindet spurlos. 13 Jahre werden vergehen, bis Julieta wieder ein Lebenszeichen von ihr hört.
„Julieta“ ist ein ungemein berührender, sensibler Film über die Liebe und ihren Verlust, über die Hoffnung und die Sisyphos-Aufgabe, sich nach Schicksalsschlägen wieder im Leben zu verankern. Die wunderbaren Darsteller, voran die beiden Julietas Emma Suárez und Adriana Ugarte, machen das Drama zum melancholischen Vergnügen nach der Art von Pedro Almódovar.
bau
Kinochancen: Potenzieller Arthaus-Hit
Kinostart: 4. August 2016
Gesamteindruck: Einfühlsames Seelendrama voller glücklicher und trauernder Momente
Paterson
Genre: Drama
Regie: Jim Jarmusch (USA)
Starfaktor: Passabel (Adam Driver, Golshifteh Farahani)
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Die Filmlegende Jim Jarmusch („Ghost Dog“ von 1999 war sein letzter herausragender Film) scheint sich momentan in einer extrem entspannten Phase zu befinden. Schon sein jüngster Film, das Vampirdrama „Only Lovers Left Alive“ war an Gelassenheit kaum zu überbieten. Auch im neuen Werk „Paterson“ passiert so gut wie nichts. Das kann man gut finden. Man kann die Klarheit der Reglosigkeit bewundern, den wahnsinnig langsamen Rhythmus und die kontemplative Musik. Aber man kann auch schnell ungeduldig werden.
„Paterson“ erzählt von einem Mann namens Paterson, der in der Kleinstadt Paterson lebt. Dort ist er Busfahrer und genießt mit seiner Frau Laura (Golshifteh Farahani) und Hund Marvin ein Beziehungs-Idyll in einem heruntergekommenen Haus.
Jeden Tag dieselbe Routine. Um 6.15 steht Paterson auf. Kurz, bevor er in seinem Bus den Motor anlässt, arbeitet er noch an einem Gedicht, denn Paterson fasst gern Alltagsgedanken zu kleinen Lyriktexten zusammen. Dann folgt die Schicht im Bus (dass der Hauptdarsteller Adam Driver heißt und Busfahrer ist, gehört wohl zu den kleinen Gags, über die Jim Jarmusch gern schmunzelt). Der Feierabend beginnt mit einem Essen mit seiner arbeitslosen, aber sehr kreativen Gattin, und er geht weiter mit dem Gang mit dem Hund, der jeden Abend bei einem Bier in einer kleinen Bar endet.
Das sieht der Zuschauer immer und immer wieder, nur mit kleinen Abweichungen versehen. Dann jedoch bleibt Patersons Bus eines Tages stehen. Maschinenschaden. Und es geschieht etwas Unvorhergesehenes mit seinen Gedichten. Film aus. Ende!
Was lehrt uns das Ganze? Dass auch das banalste Leben verfilmbar ist. Dass endlich mal jemand Jim Jarmusch den Beruhigungstee wegnehmen sollte. Und dass der definitive Busfilm noch aussteht. Denn Busfahren kann etwas sehr Schönes sein.
bed
Kinochancen: mäßig – außer bei treuen Jim-Jarmusch-Fans
Kinostart: noch kein Termin
Gesamteindruck: Besinnliche Elegie über das leblose Leben