Festival Cannes 2016

Riesen, Damen und harte Jungs

16.05.2016
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Märchenhafte Fantasy im Spielberg-Stil: „The BFG – Big Friendly Giant“ © Festival Cannes
Cannes: Das Festival brummt. Das Pfingst-Wochenende brachte eine Auswahl von Filmen mit großen Namen und/oder bemerkenswerten Themen. Wir stellen drei sehr unterschiedliche Filme vor,  die im Fokus standen: Das Fantasy-Märchen „The BFG – Big Friendly Giant“ von Steven Spielberg, den rauen Thriller „The Nice Guys“ mit Russell Crowe und Ryan Gosling sowie das koreanische Erotik-Drama „Mademoiselle“.
Der Riese und seine kleine Freundin: Mark Rylance und Ruby Barnhill © Festival Cannes

The BFG – Big Friendly Giant

Genre: Fantasy-Märchen
Regie: Steven Spielberg (USA)
Star Faktor: Mittel (Oscar-Gewinner Mark Rylance, Rebecca Hall, Ruby Barnhill)
Cannes-Premiere: Außer Konkurrenz
Nach dem historischen Spionage-Drama „Bridge of Spies“ ist Meisterregisseur Steven Spielberg jetzt zu seiner zweiten Leidenschaft zurückgekehrt, dem Fantasy-Film. Und seinen Hauptdarsteller nahm er gleich mit: Mark Rylance, der im Februar als Sowjet-Spion Rudolf Abel den Oscar gewann, spielt in Spielbergs „The BFG – Big Friendly Giant“ jetzt die Titelfigur: Den großen freundlichen Riesen.
In der Verfilmung einer Geschichte von Roald Dahl huscht dieser Gigant durchs nächtliche London, wo ihm das zehnjährige Waisenmädchen Sophie (Ruby Barnhill) in die Hände fällt. Nach einem Trip, quasi mit Siebenmeilenstiefeln, ins  Land der Riesen werden der Große und die Kleine zu engen Freunden. Und Sophie tüftelt einen Plan aus, wie sich ihr Mentor der gar nicht freundlichen anderen Riesen erwehren könnte, mit denen er eine Insel teilt. Bei diesem Plan müsste freilich die britische Queen mitspielen. Also geht’s wieder zurück nach London, direkt an den königlichen Frühstückstisch in Buckingham Palace.
„The BFG – Big Friendly Giant“ hat einen starken Start und ein fesselndes Finale - die Szenen mit der Queen sind urkomisch. Doch obwohl im Land der Riesen abenteuerliche Dinge geschehen, hängt der Film im Mittelteil spannungsmäßig durch.
Von der ersten bis zur letzten Sekunde aber kann man sich an hinreißenden Bildern erfreuen. Spielberg und sein Kameramann Janusz Kaminski haben „The  BFG“ über weite Strecken in Performance-Capture-Technik gedreht.  Die Darsteller tragen dabei Overalls mit vielen Sensoren statt ihrer Kostüme, und sie spielen in einem leeren Raum. Erst bei der Arbeit am Computer entstehen dann die kompletten Szenen: Die sind so betörend schön anzuschauen, dass man (fast) jede Einstellung auch als Gemälde genießen könnte.    (bau)
Kino-Chancen: Hoch
Kino-Start: 21. Juli
Gesamteindruck: Opulentes Fantasy-Märchen im typischen Spielberg-Stil, das sich an Zuschauer wendet, die schon Filme wie „E.T.“ geliebt haben
 
Harte Jungs: Ryan Gosling & Russell Crowe in und als „The Nice Guys“ © Festival Cannes

The Nice Guys

Genre: Thriller-Komödie
Regie: Shane Black (USA)
Star-Faktor: Sehr hoch (Russell Crowe, Ryan Gosling, Kim Basinger)
Cannes-Premiere: Außer Konkurrenz
Shane Black, der Autor von Actionthriller-Hits wie „Lethal Weapon“, „Last Action Hero“ oder „Iron Man 3“, führt bei der Thriller-Farce „The Nice Guys“, die er auch selbst schrieb,  zum dritten Mal Regie.
Die Story spielt im Los Angeles der 1970er Jahre. Der raue Privatdetektiv Jackson Healy (Russell Crowe) übernimmt gemeinsam mit seinem Kollegen Holland March (Ryan Gosling), dem er bei früherer Gelegenheit mal den Arm brach, einen Auftrag. Die beiden sollen ein verschwundenes Mädchen aus gutem Hause namens Amelia finden, das aus Trotz gegen die Mutter in einem Sexfilm mitgespielt hat. Der Mama (Kim Basinger)  ist diese Aktion ihres Sprösslings gar nicht recht, ist sie als mächtige Justiz-Funktionärin doch oberste Porno-Jägerin.
Autor/Regisseur Shane Black hat diesen grellen Plot in einem Interview als „Pulp Story“ bezeichnet, als Groschenroman-Thriller also,  und genauso wurde „The Nice Guys“ auch verfilmt. Was da an mörderischen Intrigen abgeht (der Fall Amelia schlägt Wellen  in höchste Kreise), ist im Grunde egal. Die  Story scheint nur dazu da zu sein, um den Nice Guys Russell Crowe & Ryan Gosling ausgiebig Gelegenheit zu Prügeleien, Schießereien und coolen Sprüchen zu geben.
Den beiden Stars macht es sichtlich Spaß, hier mal so richtig die Sau rauszulassen. Die Actionszenen sind wild und die Dialoge reich an schrägen Pointen. Allerdings können Crowe, Gosling und die eiskalt-attraktive Kim Basinger nicht darüber hinwegtäuschen,  dass die Handlungsstränge des Films doch arg dünn geraten sind.
So ist „The Nice Guys“ unterm Strich weniger unterhaltsam als erhofft. Wer von einem Thriller mehr erwartet als schwarzen Humor und blau geschlagene Augen, verlässt das Kino trotz aller Lacher mit einem schalen Gefühl.   (bau)
Kino-Chancen: Mittel
Kino-Start: 2. Juni
Gesamteindruck: Knallig-explosives Popcorn-Kino

Erotische Spiele unter Frauen: Das koreanische Drama „Mademoiselle“ © Festival Cannes

Mademoiselle
Genre: Erotikdrama
Regie: Park Chan-Wook (Südkorea)
Starfaktor: Null
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
Die Filme des Südkoreaners Park Chan-Wook sind nie fürs große Publikum gedacht und gemacht gewesen. Ob nun „Old Boy“ oder „Thirst“ - sie baden immer in Blut und zeigen Gewalt als Problembeschaffer und -löser. Nur bei seinem Hollywood-Ausflug „Stoker“ musste sich der Regisseur an die strengen Regeln der Blockbuster-Industrie halten.
Mit „Mademoiselle“ ist Park Chan-Wook wieder in der Heimat gelandet und er langt ordentlich zu. Bis es die Explosionen der Gewalt gibt - dieses Mal in einem Folterkeller der ganz besonderen Art - wandelt der Regisseur erst einmal auf den Spuren von Kurosawa oder Tarantino. Er erzählt eine Gaunergeschichte, angesiedelt im Korea der 1930er Jahre, aus verschiedenen Perspektiven.
Im ersten Teil von „Mademoiselle“ wird die Diebin Sokee (Kim Tae-Ri) auf eine Mission geschickt. Sie soll sich als Hausmädchen das Vertrauen der reichen Erbin Hideko (Kim Min-Hee) erschleichen. Hinter dem Plan steckt Hidekos zukünftiger Bräutigam The Count (Ha Jung-Woo). Der denkt gar nicht ans Heiraten -  er will seine Braut ins Irrenhaus stecken lassen und mit ihren Ersparnissen fliehen.
Sookee und Hideko aber finden Gefallen aneinander und beginnen eine heftige Affäre. Wie die sich fortsetzt, wird im zweiten Teil erzählt - dieses Mal aus der Sicht von Hideko, bevor der dritte Teil noch einmal alle Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Apropos Licht: Park Chan-Wook muß wohl Gemälde vor dem inneren Auge gehabt haben, als er diesen Film erschuf. Sowohl die Landschaften, als auch die Gebäude und die Menschen sehen einfach prächtig aus, sie scheinen von innen zu leuchten. Mittendrin werden alle Gelüste (wer sie denn hat) bedient. Es geht um die asiatische erotische Literatur, um Bondage und SM und darum, wie man die Bilder der Bücher lebendig werden lassen kann.
„Mademoiselle“ ist sehr schick inszeniert – für manchen Kinogänger (nur für Erwachsene) dürfte das aber ein wenig zu heftig sein. Typisch Park Chan-Wook, dessen Film das eine und das andere Mal knapp an einer peinlichen Altherren-Phantasie vorbeischrammt. Und dabei ist der Kerl gerade mal Mitte 50.   (bed)
Kinochancen: gar nicht mal so schlecht, denn Arthaus und Softporno gehen nur selten eine Verbindung ein.
Gesamteindruck: groß angelegtes Gaunerstück, das sowohl nackte Frauenkörper als auch Landschaften aufs Feinste ausleuchtet. Viel lesbische Liebe und exzessive Gewalt