Neubeginn. „Im Zweifel für den Zweifel – und für die Pubertät.“ Mit diesem Zitat aus einem Tocotronic-Liedtext schickten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ihre erste Diagonale auf den Weg. Lag’s an der jugendlichen Aura und den flotten Sprüchen der neuen Chefs? Die Stimmung in der ausverkauften Grazer List-Halle erinnerte jedenfalls oft an die Euphorie eines Pop-Konzerts. Auch wenn neben Pointen auch sehr ernste Themen auf der Tagesordnung waren.
Höglinger & Schernhuber begannen ihre Eröffnungsansprache in schneller Wechselrede mit einem „Willkommen“ – und wiesen gleich darauf hin, dass sich die Bedeutung des Wortes verändert hat.Stichwort Flüchtlings-Krise. „Ein Willkommen ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr.“ Mit der Programmierung des Festivals des österreichischen Films wollen die beiden den verbalen Brandstiftern etwas entgegensetzen. „Die Filme der Diagonale sprechen eine Vielzahl von Sprachen. Der österreichische Film findet nicht nur zwischen Boden- und Neusiedler See statt. Unser Festival ist ein Aufruf für ein Europa, das mehr sein muss als eine Gruppe von Nationalstaaten, und das nicht an seinen Außengrenzen endet.“ Rauschender Beifall.
„Von dieser Rede kann sich Viennale-Chef Hans Hurch fünf Scheiben abschneiden“, kommentierte Moderator Grissemann. Um gleich anschließend den Bundespräsidenten mit dem Satz „Fischer Heinz – die Nummer eins“ anzukündigen. Wieder rauschender Beifall. Und ein grinsendes Staatsoberhaupt, das anmerkte: „Ich muss sagen, dieser Grissemann ist ein ziemlicher Lauser.“
Bundespräsident. Fischer würdigte die Diagonale, die „1977 in Kärnten, ja wirklich, in Kärnten“ ihren Ausgang nahm. Und die dann via Salzburg und Wels wieder südwärts wanderte: „Es war ein langer Weg bis zur weichen Landung in Graz.“
Fischer würdigte auch Christine Nöstlinger, die Autorin des Romans „Maikäfer flieg“, der die Vorlage zum Eröffnungsfilm lieferte: „Sie ist mir so vertraut, wie einem jemand nur vertraut sein kann, dessen Texte man seinen Kindern und Enkelkindern vorliest.“ Die Nöstlinger erzählt in „Maikäfer flieg“, wie sie das Kriegsende 1945 in Wien erlebte. Fischer: „Sie war damals acht und lebte in Hernals. Ich war sieben und lebte in Hietzing. Vieles, was sie schildert, habe ich ähnlich in Erinnerung. Die Detonation der Bomben, die Sirenen, die Luftschutzkeller – sie beschreibt das so lebendig, dass ich es höre, wenn ich es lese.“
Mangold. Von der Vergangenheit in die Gegenwart: Die 89-jährige Erni Mangold nahm – „um 30 oder 40 Jahre zu spät“, wie Christoph Grissemann anmerkte – den großen Schauspieler-Preis der Diagonale in Empfang: Einen Kimono mit Texten von Peter Handke, gestaltet von der Künstlerin Anna Paul.
„Ihr Humor ist extra dry, ihr Mundwerk so scharf wie eine Rasierklinge“, schwelgten die Schauspieler Hilde Dalik und Murathan Muslu in der Laudatio über ihre Kollegin. Und sie zitierten den Regisseur Houchang Allahyari: „Keine andere 89-Jährige könnte eine 18-Jährige so gut spielen wie Erni Mangold.“
Die Preisträgerin wickelte sich den Kimono um den Körper („daheim im Waldviertel wird das toll ausschauen. Vielleicht erschrecke ich die Leute ein bissl“) und sagte ein artiges Dankeschön: „Ich habe mich sehr gefreut. Es ist etwas Besonderes, so einen Preis für seine Verdienste zu bekommen.“
Kranzelbinder & Unger. Bevor der Eröffnungsfilm begann, wurden noch Produzentin Gabriele Kranzelbinder und Regisseurin Mirjam Unger auf die Bühne gebeten, die zwei starken Frauen hinter dem Filmprojekt „Maikäfer flieg“. Kranzelbinder: „Dies ist ein schöner Moment. Ein Dankeschön den Diagonale-Jungs.“ Unger: „Es ist eine Riesenfreude, dass wir hier das Festival eröffnen dürfen. Mit einem Film, in dem die entscheidenden Funktionen von Frauen besetzt werden.“
Dann wurde es dunkel im Saal. Film ab. Wien 1945. In den ersten Sekunden hört man, wie Bomben auf die Stadt hinunterfallen. „Maikäfer flieg“ ist ein großartiger Film. Ab 11. März in ganz Österreich im Kino.
Diagonale 2016. Graz, bis 13. März. Info & Tickets: www.diagonale.at