„Wir spielen nicht Good Cop & Bad Cop“
06.03.2016
Interview:
Gunther Baumann
Die Diagonale 2016 in Graz beginnt am 8. März mit einer Doppel-Premiere. Die Leinwand gehört Mirjam Unger und ihrem Drama „Maikäfer flieg“, einer Verfilmung des Bestsellers von Christine Nöstlinger. Im Auditorium stehen Sebastian Höglinger, 32, und Peter Schernhuber, 28, zum ersten Mal im Zentrum der Scheinwerfer. Die beiden Oberösterreicher haben von der langjährigen Diagonale-Chefin Barbara Pichler die Leitung des Festivals des österreichischen Films (8. - 13. März) übernommen. Im FilmClicks-Gespräch präsentieren sie sich als Team: „Wir spielen nicht Good Cop und Bad Cop. Entscheidungen treffen wir gemeinsam.“
FilmClicks: Nach langen Vorbereitungen beginnt bei der Diagonale 2016 Ihre Amtszeit als Festival-Chefs. Wie war der Einstieg?
Sebastian Höglinger: Vor der Diagonale leiteten wir schon sechs Jahre lang das Youki, das Internationale Jugend Medien Festival in Wels. Ein Filmfest wie die Diagonale bedeutet da aber eine Umstellung. Es ist eine andere Größenordnung, es gibt andere Bedürfnisse – und natürlich auch andere Eitelkeiten
(lacht), die auf einen zukommen. Wir führen aber die Art, in der wir zusammenarbeiten, bei der Diagonale fort. Es gibt keine getrennten Rollen für die künstlerische und die kaufmännische Leitung, Good Cop und Bad Cop, sondern wir sind als Doppelspitze und als Duo angetreten. Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam.
Peter Schernhuber: Wir möchten vorwegschicken, dass wir eine große Freude hatten, bei der Diagonale schon sieben Jahre im Team unserer Vorgängerin Barbara Pichler mitzuarbeiten. Dadurch haben wir den Betrieb von innen kennengelernt. Die Leitung zu übernehmen, ist natürlich eine ganz andere Dimension. Es war aber eine sanfte Übernahme, weil sie sehr freundschaftlich und in Zusammenarbeit mit Barbara Pichler stattfand.
Ist es Ihnen wichtig, dem Festival von Beginn an programmatisch den Stempel aufzudrücken – oder halten Sie sich zurück und lassen die Dinge einfach laufen?
Schernhuber: Nun, bei der Diagonale ist es sehr schwierig, sich mit großen kuratorischen Gesten hervorzutun, weil sie eine strenge DNA und einen sehr klaren Charakter hat als Festival des österreichischen Films. Die Aufgabe ist also definiert, und glücklicherweise durften wir ein funktionierendes Festival übernehmen. Da wäre es albern, alles über Bord zu werfen oder zu sagen, alles müsse anders werden. Es ist aber sehr wohl wichtig, dass die einzelnen Intendanzen unterscheidbar sind. Was zum Beispiel die Filmauswahl betrifft, haben wir von Anfang an gesagt, dass wir diese Entscheidungen nicht allein treffen, sondern drei Berater hinzuziehen wollen. Das ist keine Schattenregentschaft – wir haben den Filmschaffenden erklärt, dass der Sichtungsprozess von uns gemeinsam mit diesen Dreien durchgeführt wird, wobei wir beide dann die letzte Entscheidung treffen.
Höglinger: Das hat auch den Grund, dass es für eine Intendanz auch darum geht, auch festivalpragmatische Entscheidungen zu treffen – gerade bei einem Festival wie der Diagonale, das einen repräsentativen Querschnitt über das österreichische Filmschaffen abbilden soll.
Woran werden Kenner der Diagonale beim Festival 2016 Ihre Handschrift merken?
Schernhuber: Das wird zum Beispiel bei den Sonderprogrammen und beim historischen Programm offensichtlich sein. Die sind vielleicht induktiver und leiser, aber auch spannender. Womöglich merkt man es auch im Wettbewerb. Da bin ich gespannt, ob wir das Feedback bekommen, „dieser Film wäre in einer anderen Diagonale-Zeit nicht gelaufen“ – oder auch umgekehrt. Etwas anderes: Wir wurden gefragt, ob wir eine Nachwuchs-Filmschiene einführen wollen. Dazu sagten wir ganz klar: Nein, die Diagonale ist das Festival des österreichischen Films, und zu dem gehört der etablierte und arrivierte Film genauso wie der junge. Wir wollen diese Positionen nebeneinander im Wettbewerb zeigen.
Höglinger: Eine punktuelle Änderung wird vielleicht unser Versuch sein, im Programm Klammern zu setzen und rote Fäden zu spannen, die vom Wettbewerb in das Rahmenprogramm ausstrahlen und vice versa.
512 Filme wurden für die Diagonale eingereicht. Wie viele haben die Aufnahme ins Festival geschafft?
Höglinger: Im Wettbewerb zeigen wir 103 Filme. Interessant ist die Tatsache, dass die Zahl der Einreichungen Jahr für Jahr fast ident bleibt. Es gibt einen sehr hohen Output an dokumentarischen Arbeiten und an innovativen Formaten.
Schernhuber: Die hohe Zahl der Einreichungen erklärt sich dadurch, dass praktisch alles zu uns kommt - von der Filmakademie-Übung über den großen Kinofilm bis zum Amateurfilm. Dass einige Hoffnungen enttäuscht werden, ist naturgemäß der Fall, wenn man eine Auswahl trifft.
Blicken wir auf die abendfüllenden Filme: Die stellen sich vermutlich von alleine auf, weil hier die Jahresproduktion aus Österreich gezeigt wird.
Schernhuber: Jein. Unsere Vorgängerin Barbara Pichler hat den Automatismus abgeschafft, dass jeder Film, der in Österreich einen Kinostart bekommt, auch bei der Diagonale gezeigt wird. Das war eine umstrittene Entscheidung, die wir aber unterstützen. Aus zweierlei Gründen. Der erste ist ganz pragmatisch: Wenn wir alle diese Filme zeigen würden, hätten wir beim Festival gar keinen Handlungsspielraum mehr. Außerdem hat man bemerkt, dass das Interesse an der Diagonale – auch international – dadurch gestiegen ist, dass das Festival kuratorisch eine klarere Sprache bekommen hat. Natürlich gibt es viele Filme, die sich von selbst aufdrängen. Es gibt aber auch Filme, um die es zu kämpfen gilt. Bei denen wir die Attraktivität der Diagonale betonen, damit diese Filme in Graz ihre Uraufführung oder Premiere feiern.
Höglinger: Wir bekunden bei wichtigen Filmen schon früh unser Interesse und erkundigen uns, was könnte rechtzeitig fertigwerden, was könnte passen. Der Film, der zur Festival-Eröffnung ausgewählt wird, ist natürlich für beide Seiten sehr reizvoll.
Schernhuber: Die Diagonale 2016 wird ja mit der Nöstlinger-Verfilmung „Maikäfer flieg“ von Mirjam Unger eröffnet. Wir haben sehr früh von dem Film erfahren und wollten ihn relativ rasch sehen. Als dann klar war, dass wir ihn qualitativ sehr gut finden, ging alles sehr schnell.
Ist Graz auch für die kommenden Jahre als Schauplatz der Diagonale fix?
Höglinger: Ja. Das Bekenntnis zu Graz war bereits ein zentraler Punkt in unserer Bewerbung für die Diagonale-Leitung. Graz ist zunächst eine Stadt, in der es von der Kino-Infrastruktur möglich ist, so ein Festival durchzuführen. Obendrein ist Graz eine Stadt mit einem funktionierenden Innenstadt-Leben, was heute nicht mehr selbstverständlich ist. Die Vermittlung zwischen dem österreichischen Film, seinen Protagonisten und dem Publikum funktioniert in dieser Atmosphäre sehr gut.
Schernhuber: Es gibt immer Drei-Jahres-Verträge mit Graz, und das Festival ist hier kein Alien, sondern sie ist hier mittlerweile ins Wurzelwerk der Stadt eingearbeitet. Da kann man nicht einfach den Diagonale-Strauch ausreißen und in einer anderen Stadt wieder einpflanzen. Man braucht ja auch das Echo der Stadt: Es ist super, dass die Zahl der verkauften Tickets von Jahr zu Jahr steigt. Das Festival kommt immer besser beim Publikum an. Die Grazer haben ihre Diagonale liebgewonnen.
Wie steht die Diagonale finanziell da?
Schernhuber: Finanziell ist die Lage immer tricky. Als Einstandsgeschenk mussten wir dieses Jahr den Absprung eines Sponsors verkraften, der Bawag, die sich aus dem Kultur-Sponsoring zurückzieht. Dank unserer Sponsoring-Abteilung konnte das abgefedert werden. Aber nicht mit einem Groß-Sponsor, sondern mit vielen kleinen. Das Budget der Diagonale wird immer mehr zum Fleckerlteppich. Das Gesamtbudget der Diagonale pendelt zwischen 1,2 und 1,3 Millionen Euro, das wird auch heuer wieder so sein. Der Anteil der Gelder, die nicht von der öffentlichen Hand kommen, liegt bei etwa 50 Prozent. Das ist sehr hoch für so ein Kultur-Event. Es ist sehr erfreulich, dass wir von der öffentlichen Hand keine Kürzungen bekamen, sondern, im Fall des Österreichischen Film-Instituts, sogar eine Erhöhung. Allerdings kommen wir, was Budgets betrifft, aus einer Generation, in der das Stagnieren schon einen Erfolg bedeutet.
Wie viele Besucher erwarten Sie bei der Diagonale 2016?
Höglinger: Im letzten Jahr kamen 27.300 Besucher. Das war ein Rekord. Im Vergleich zur Viennale, die auf knapp 100.000 Besucher kommt, klingt das gar nicht so hoch. Aber wenn man sich überlegt, dass die Diagonale nur fünf Tage dauert – im Vergleich zu den 15 Tagen der Viennale – dann heißt das, dass es ziemlich große Fußstapfen sind, in die wir hineinsteigen. Natürlich ist es unser Wunsch, dass wir die Marke des Vorjahres wieder erreichen.
Diagonale - Festival des österrreichischen Films. Graz, 8. - 13. März 2016. Info & Tickets:
www.diagonale.at