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GESAMTEINDRUCK: „Der Bauer zu Nathal“ ist eine höchst unterhaltsame literarische Dokumentation, die den Untertitel „Kein Film über Thomas Bernhard“ trägt, jedoch sehr viel über Thomas Bernhard erzählt.
DIE STORY: Wie war das Verhältnis zwischen Thomas Bernhard, dem berühmten und zugleich massiv attackierten Dichterfürsten, und den Landleuten von Ohlsdorf, wo er einen Bauernhof besaß? Diese Frage ist der Ausgangspunkt der Doku „Der Bauer zu Nathal“. Landwirte, Gastwirte und Honoratioren erzählen von ihren Begegnungen mit und ihren (Vor-)Urteilen über Bernhard. Kulturbeflissene Bürger kommen genauso zu Wort wie literarisch desinteressierte Zeitgenossen. Zwischendurch liest Nicholas Ofczarek Bernhard-Texte. All das eröffnet einen erfrischenden neuen Blick auf den Dichter und seine Position in der Welt.
DIE STARS: Im Mittelpunkt des Films steht natürlich Thomas Bernhard (1931 – 1989), der Dramatiker, Romancier und Essayist, der mit seinen messerscharfen und polemischen Analysen des Zeitgeschehens die Bürger gleichermaßen begeisterte und verstörte. Bernhard kommt durch wunderbare Porträtfotos von Michael Horowitz ins Bild; Burgtheater-Star Nicholas Ofczarek gibt seinen Texten eine Stimme.
Die Regisseure David Baldinger (der aus Ohlsdorf stammt) und Matthias Greuling sind im Hauptberuf Kultur- und Film-Journalisten; Baldinger beim Radiosender Ö1, Greuling bei der
Wiener Zeitung und bei seinem Filmmagazin
Celluloid. Matthias Greuling ist überdies Gründungsmitglied und einer der wichtigsten Autoren von
FilmClicks.
DIE KRITIK: Thomas Bernhard und Ohlsdorf: Der Schriftsteller, damals noch weitgehend unbekannt, kaufte sich 1965 in der Landgemeinde in Oberösterreich ein.
Im Ortsteil Obernathal stand ein Vierkanthof zum Verkauf. Bernhard bot um 5.000 Schilling (363 Euro) mehr als sein Mitbewerber, bekam den Zuschlag und malte als erste Renovierungs-Maßnahme das Eingangstor schwarz an. Das hatte Folgen für sein Verhältnis zu den Einheimischen: „Schwarz gestrichene Türen? Das ist nicht normal“, erinnert sich eine Zeitzeugin im Film „Der Bauer zu Nathal“.
Die Beziehungen zwischen den Landleuten und ihrem immer berühmter werdenden Mitbürger (der sich die Berufsbezeichnung Bauer in den Pass eintragen ließ) sollten schwierig bleiben. Die meisten Einheimischen verstanden die Gedanken und Worte des Dichters nicht; und der als Eigenbrötler bekannte Bernhard legte wohl auch wenig Wert darauf, sich verständlich zu machen.
„Der Bauer zu Nathal“ ist ein Film geworden, der die Bruchlinien zwischen der ländlichen und der literarischen Welt spielerisch offenlegt. Die Regisseure David Baldinger und Matthias Greuling baten Menschen aus Ohlsdorf zum Interview, die mit mal drastischen und mal einfühlsamen, stets aber originellen Worten beschreiben, wie es war, Seite an Seite mit dem eigenwilligen Dichter zu leben, der seinen riesigen Hof (30 Zimmer!), wenn er am Lande weilte, meist allein bewohnte.
Für Bernhard-Leser ist der Film ein hochinteressantes Vergnügen, weil er ihnen den Schriftsteller von einer ganz neuen Seite näher bringt: Man erfährt: So sehr sich Thomas Bernhard von der Außenwelt abkapselte, so sehr war er zugleich ein genauer Beobachter, der auch die alltäglichsten Ereignisse aus seiner Umwelt zum Fundament seiner radikalen Dichtung machte.
Man muss aber gar kein Bernhard-Kenner sein, um „Der Bauer zu Nathal“ zu genießen. Die Doku ist so reich an originellen Charakteren und überraschenden Momenten, dass auch Außenstehende von dieser ungewöhnlichen Story gefesselt werden.
David Baldinger und Matthias Greuling (der auch die famose Bildgestaltung übernahm) gaben ihrem Film einen ruhigen Duktus, in dem unerwartete Wendungen für kreative Aufregung sorgen.
In der besten Sequenz der Doku werden zwei Feste gegenübergestellt, die rein gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: Das Sonnenblumenfest in Ohlsdorf und die Salzkammergut-Festwochen im benachbarten Gmunden. Der Geist Thomas Bernhards schwebt über beiden Veranstaltungen, aber so ganz ungetrübt ist die Verneigung vor dem Dichter weder hier noch dort: „Viele fühlen sich (von seinen Texten) betroffen“.
Zum Arsenal der literarischen Arbeit Bernhards gehörte ja die Schimpfkanone, die er mit seinen kunstvoll gedrechselten Wortkaskaden lud. Das wird auch immer wieder in seinen Textausschnitten deutlich, mit denen Nicholas Ofczarek für stimmige Kontrapunkte im Filmgeschehen sorgt.
„Ich kann applaudierende Leute nicht vertragen. Das Unheil kommt ja immer aus der klatschenden, tosenden Menge. Alles Grausen kommt aus dem Applaus“, heißt es in einem der letzten Zitate, die in „Der Bauer zu Nathal“ zu hören sind. Heißt das, dass dem Dichter der Film – für den David Baldinger und Matthias Greuling zu Recht viel Beifall bekamen – nicht gefallen würde? Vielleicht. Doch vielleicht hätte er sich insgeheim über diesen „keinen Film über Thomas Bernhard“ auch gefreut.
IDEAL FÜR: Filmfreunde, die die Arbeiten Thomas Bernhards kennen – oder den Dichter kennenlernen wollen.