Matthias Greuling
über die Doku „Der Bauer zu Nathal“
Auf den Spuren von Thomas Bernhard
05.05.2020
Interview:
Gunther Baumann
Wenn man Matthias Greuling nach den Kosten von „Der Bauer zu Nathal“ fragt, so antwortet er trocken: „Viel Arbeitskraft.“ Der Filmjournalist und Neo-Filmemacher Greuling stürzte sich gemeinsam mit seinem Kollegen David Baldinger ins Abenteuer, einen Film zu drehen, der einen frischen Blick auf Thomas Bernhard und das Leben des Dichters auf dem Lande in Ohlsdorf wirft. Greuling & Baldinger gingen mit viel Elan, aber ohne die finanziellen Segnungen der Filmförderung ans Werk. Wir sprachen mit Matthias Greuling über die aufregende Entstehungsgeschichte der Produktion und gratulieren ihm auch aus ganz persönlichen Gründen zum temporären Wechsel auf den Regiesessel: Greuling, der Filmexperte der „Wiener Zeitung“ und Herausgeber des Filmmagazins „Celluloid“, zählt zu den Gründern und Autoren von FilmClicks.
FilmClicks: Wie entstand die Idee, einen Film zu drehen, der sich um den 1989 verstorbenen Dichter Thomas Bernhard rankt?
Matthias Greuling: Ich habe schon während meiner Schulzeit sehr viel Thomas Bernhard gelesen – alles andere hat mich nicht interessiert. Bei der Deutsch-Matura war Thomas Bernhard mein Spezialgebiet, womit ich meine Deutsch-Lehrerin an den Rand des Wahnsinns trieb, die Bernhard überhaupt nicht leiden konnte. Was mich an Bernhards Texten besonders faszinierte, war seine Sprache, die ja – im Unterschied zu dem, was viele Leute sagen – gar nicht besonders schwierig ist. Thomas Bernhard braucht relativ wenige Worte aus der deutschen Sprache, um sehr kompliziert wirkende Satzbauten zu konstruieren. Doch in Wirklichkeit finde ich seine Sprache sehr einfach.
Und wie kam der Sprung von der Begeisterung für Thomas Bernhard zum Filmemachen zustande?
Das war ein langwieriger Prozess, der mit meiner langjährigen Tätigkeit als Journalist begann. Beim Journalismus werde ich auch bleiben. Ich glaube, dass das Filmemachen ein Ausflug bleiben wird, allein schon deshalb, weil man davon nicht wirklich leben kann. Zumindest dann, wenn man einen Film so produziert wie wir es bei „Der Bauer zu Nathal“ getan haben – ohne jede öffentliche Förderung. Ich habe mir aber immer gewünscht und vorgenommen, einmal selbst einen Film zu drehen, auch wenn das Projekt etwas länger gedauert hat: Wir haben im Oktober 2012 begonnen, an „Der Bauer zu Nathal“ zu arbeiten.
Gab es eine Initialzündung, die das Projekt in Bewegung setzte ?
Mein Co-Regisseur David Baldinger, der ebenfalls Journalist ist und aus Ohlsdorf stammt, erzählte mir, dass er ein Radio-Feature über die Nachbarn von Thomas Bernhard plante. Und ich sagte, super, machen wir doch gleich einen Film draus. Wir sind dann nach Ohlsdorf gefahren und haben erste Interviews geführt, wobei David Baldinger der Türöffner war, weil er die Leute, die bei uns auftreten, alle kennt. Wäre ich dort allein mit einem Wiener Kamerateam aufgekreuzt – ich bezweifle, ob die Leute all diese wunderbaren Dinge erzählt hätten, die im Film vorkommen.
Warum trägt „Der Bauer zu Nathal“ den Untertitel „Kein Film über Thomas Bernhard“?
Es geht bei uns in erster Linie nicht um Thomas Bernhard, sondern um die Menschen, die rund um ihn gelebt haben und immer noch leben. Wir wollten die Sichtweise ändern. Wenn man über die Beziehung von Thomas Bernhard zu seinem Landsitz Ohlsdorf liest, dann geschieht das meistens aus der Perspektive Bernhards auf diesen Ort – darüber, wie er dort gewirkt und gelebt hat. Wir hingegen wollten aus der Sicht der Ohlsdorfer auf Thomas Bernhard schauen. Und aus der Sicht der Bürger dort ist Bernhard eine Fußnote. Denn das ist eine agrarische Gemeinde, in der sich die Leute mit Baumaschinen und Landmaschinen und dem Bestellen der Felder beschäftigen. Ob der Dichter anwesend war oder nicht und was er in Ohlsdorf machte – das war den meisten Ohlsdorfern wurscht. Sie wurden mehr oder weniger zwangsbeglückt von ihm, weil er sich 1965 von seinem ersten Geld den Hof dort kaufte.
Wie geht die Gemeinde denn heute mit dem Erbe Bernhards um?
Ohlsdorf hat es sich nicht ausgesucht, ein Thomas-Bernhard-Ort zu sein. Wenn man zum Beispiel in die Heimat des Ski-Stars Hermann Maier im Salzburger Land fährt, dann bin ich mir sicher, dass dort schon am Ortseingang steht, „Das ist die Heimatgemeinde des Herminator“. In Ohlsdorf fehlt so ein Hinweis. Da ist man ein wenig ratlos, wie man die Erinnerung an diesen Mann pflegen soll, der über die Bauern dort einmal sagte, sie würden mit Gummistiefeln in die Kirche gehen. Es gibt in Ohlsdorf zwar ein Schild, das den Weg zum Thomas-Bernhard-Haus weist, aber so richtig traut man sich dort nicht an das Thema ran.
Stand die Struktur des Films schon zu Beginn der Arbeit fest?
Nein. Nach dem Ende des Drehs haben wir darüber gerätselt, welche Form der Film bekommen sollte. Und wir fanden, die größte dramatische Kraft würde davon ausgehen, einen maximalen Kontrast aufzubauen. Von der einen Welt zur anderen, von den Einheimischen zum Literaten – und zu zeigen, wie unterschiedlich diese Welten sind.
Gab es von Seiten der Thomas-Bernhard-Erben Einwände gegen die Produktion?
Wir haben von Anfang an den Kontakt zu Peter Fabjan gesucht, dem Halbbruder und Erben Thomas Bernhards, der uns entschieden mitteilte, dass er mit dem Projekt nichts zu tun haben will. Er hat uns aber auch nicht behindert, und im Rahmen der Salzkammergut-Festwochen in Gmunden gab er uns ein Interview, das im Film vorkommt. Darüber hinaus gab es jedoch keinerlei Verbindungen von uns zur Thomas-Bernhard-Gesellschaft oder zur Privatstiftung. Was uns aber freute, war ein Anruf der Thomas-Bernhard-Gesellschaft am Tag der Filmpremiere, in dem man uns um eine DVD von „Der Bauer zu Nathal“ bat. Das zeugt von einem gewissen Interesse.
Was hat „Der Bauer zu Nathal“ gekostet?
Viel Arbeitskraft. Die Kamera war schon vorhanden. Wenn man den Film mit den üblichen Personalkosten kalkulieren würde, käme ein übliches Budget für einen 90-Minuten-Dokumentarfilm heraus; vielleicht 150.000 Euro. Wir hatten aber nur 15.000 Euro zur Verfügung, die wir durch eine Crowdfunding-Aktion einnahmen. Damit bezahlten wir die Rechte für die Verwendung von Thomas-Bernhard-Zitaten sowie die Gage für Nicholas Ofczarek, der aus Thomas Bernhards Werken liest, und wir konnten die Nachbearbeitung finanzieren. Der Rest ist Selbstausbeutung. So etwas kann man einmal machen. Bei einem neuen Film würde es aber nicht mehr gehen. Allein schon deswegen, weil wir das Fördersystem nicht ad absurdum führen wollen. Es hat ja einen Sinn, dass es dieses System gibt, auch wenn wir unser Projekt guerillamäßig auf eigene Faust durchgezogen haben.
Ist das Filmemachen durch die digitale Technik finanziell leichter geworden?
Ja. Es gibt heute keinen Grund mehr, einen Film nicht zu machen. Wir haben mit einer Einsteiger-Profikamera gedreht, und das Resultat schaut auch auf der großen Leinwand wirklich toll aus. Inzwischen ist die Technik schon so weit, dass man auch mit einer 500-Euro-Spiegelreflexkamera einen Spielfilm mit grandiosen Bildern drehen kann. Das Zubehör, vom Stativ beginnend, kostet ebenfalls viel weniger als früher.
Was würde Thomas Bernhard zu „Der Bauer von Nathal“ sagen?
Das wissen wir natürlich nicht, aber wir denken, er hätte wahrscheinlich so wie sein Bruder Peter Fabjan reagiert. Mit einem „Das interessiert mich nicht.“ Thomas Bernhard war als Misanthrop bekannt. Wahrscheinlich hätte er sich lieber in seinen Bauernhof eingesperrt und die Vorhänge zugezogen, anstatt zur Premiere von „Der Bauer zu Nathal“ zu kommen. Das verstehen wir auch. Aber ich selbst bin ja der größte Thomas-Bernhard-Fan und ich würde es schön finden, wenn unser Film dazu beitragen kann, dass Bernhard noch stärker ins Gespräch kommt. 2019 wird ja sein dreißigster Todestag begangen, und wir würden uns freuen, wenn „Der Bauer zu Nathal“ dann im Fernsehen gesendet wird.