„Under The Skin“
Genre: Science Fiction. Regie: Jonathan Glazer (Großbritannien). Star-Faktor: Optimal (mit Scarlett Johansson).
Normalerweise erklären sich die Story und die Figuren eines Films von allein. Bei „Under The Skin“ ist das anders. Da wäre man völlig verloren, wüsste man nicht schon vor Filmbeginn, dass die Hauptfigur (gespielt von Scarlett Johansson) ein „Alien in einem menschlichen Körper“ ist. Hätte man diese Information nicht, würde einem die Story ungefähr so vorkommen: Eine nackte junge Frau entkleidet eine andere junge Frau, die entweder tot oder ohnmächtig am Boden liegt, und zieht deren Gewand an. Anschließend entert sie einen Lieferwagen und fährt damit durch Schottland. Mit großen Augen beobachtet sie die Menschen und die Natur, und manchmal scheint sie Lust auf einen Mann zu bekommen. Den lockt sie dann mit einem Striptease in einen dunklen Raum. Doch zum Sex kommt es nicht. Während der Mann, der sich ebenfalls auszieht, der jungen Frau entgegengeht, versinkt er plötzlich im Boden und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen.
Angesichts von so viel Rätselhaftigkeit hat Scarlett Johansson ihre Rolle prima hingekriegt. Es macht Spaß, dieser stillen Fremden auf der Leinwand dabei zuzuschauen, wie sie ihre Eindrücke vom Planeten Erde verarbeitet. Auch wenn das für die Männer, denen sie schöne Augen macht, tödliche Folgen haben kann. Der Film von Jonathan Glazer erinnert über weite Strecken mehr an ein Video-Kunstwerk als an eine Kino-Produktion. Die schroffe Schönheit der schottischen Natur und die raue Natur der Menschen passen zu den merkwürdigen Aktionen der Hauptfigur, bei denen man besser nicht nach dem Sinn fragen sollte.
Chancen beim kommerziellen Kino-Einsatz: Minimal (trotz Scarlett Johansson). Gesamteindruck: Unbegreiflich.
„Texta: In & Out“
Genre: Musik-Doku. Regie: Dieter Strauch (Österreich). Star-Faktor: Passabel (die Linzer Band Texta ist führend in Österreichs HipHop-Szene).
Reim, komm raus: „Wortwitz auf Moritz, das hat eh noch keiner?“ fragt der Texta-Texter Laima in die Runde. Kopfschütteln. Der Vers ist noch frei. „Oarsch Linz“ täte noch dazupassen, ertönt eine Stimme aus dem Hintergrund. Doch Linz muss draußen bleiben, und Texta hat mit Wortwitz und Moritz einen neuen Song.
Texta. Seit 1993 sind die Linzer Rapper aktiv, im eigenen Land und auch international. Zum zwanzigsten Geburtstag bekamen sie jetzt einen Film. Regisseur Dieter Strauch hat „In & Out“ als coole Schwarz-Weiß-Collage gedreht, in der man viel über das Innenleben der Band erfährt und bei Live-Mitschnitten (die gibt’s in Farbe) mitrocken kann.
„Grooven muss das Ding einfach und anschieben“, sagen Texta über ihr Sound-Design. Daniel Reisinger alias DJ Dan führt Fingerakrobatik an den Plattenspielern vor. Die Sprechgesangskünstler Flip (Philipp Kroll), Huckey (Harald Renner) und Laima (Klaus Laimer) lassen den Zuschauer sowohl an den Mühen des Dichtens als auch an den Freuden des Vortrags auf der Bühne teilhaben. Und dann ist danoch Martin Schlager alias Skero, der Texta 2013 nach 20 Jahren verließ: Der Film verhehlt nicht, dass die „harte Streitkultur“ der Band auch Narben hinterlässt.
Unterm Strich ist „Texta: In & Out“ eine optisch eindrucksvolle (Kamera: Jakob Kaiser) Hommage an eine Band geworden, die sich nie vom Karrieredenken verbiegen ließ und trotzdem Karriere machte. Der Film schaut analytisch und voller Sympathie in die Männerwelt von Rap und HipHop hinein und er lässt die Musiker auch verraten, warum sie ihrem Gründungsort Linz stets treu blieben: „In Linz kennt sich jeder in allen Zuständen. Da kannst nix verstecken. Und des is eigentlich leiwaund.“
Chancen beim kommerziellen Kino-Einsatz: Nicht schlecht (ein feiner Film für für Fans von HipHop, Rap und Rock). Gesamteindruck: Absolut sehenswert.
„Un Chateau en Italie“
Genre: Familiendrama. Regie: Valeria Bruni Tedeschi (Frankreich/Italien). Star-Faktor: Mittel (die Hauptdarsteller Valeria Bruni Tedeschi und Louis Garrel haben in Cineastenkreisen einen guten Namen).
Valeria Bruni Tedeschi, die Schwester von Sarkozy-Gemahlin Carla Bruni, erzählt in ihrem neuen Film, dass auch sehr reiche Leute sehr große Probleme haben können: Zwischen Krankheit, Liebe, (hysterischem) Kinderwunsch und Tod.
Die Regisseurin glänzt in diesem wohl autobiografisch gefärbten Familiendrama als raue und rechtschaffen neurotische Hauptfigur. Einige Szenen sind rasend komisch, etwa jene in einer Klinik für künstliche Befruchtung. Doch gegen Ende verliert der Film seinen Fokus komplett aus den Augen, und man ahnt: Dies ist nur eine Suada über eine völlig abgehobene Familie, die bei Finanzproblemen mal schnell ein Brueghel-Gemälde aus der eigenen Sammlung auf den Markt wirft. Mit den frischen Millionen geht das depressive High Life dann weiter.
Chancen beim kommerziellen Kino-Einsatz: Mäßig (Filmkunst für die gehobenen Stände). Gesamteindruck: Durchwachsen.
„Vojta Lavicka: Ups And Downs“
Genre: Doku. Regie: Helena Trestikova (Tschechien). Star-Faktor: gering (Hauptfigur Vojta Lavicka ist in seinem Heimatland Tschechien ein bekannter Musiker).
Die renommierte tschechische Regisseurin Helena Trestikova ließ ihren neuen Film 16 Jahre lang reifen. So lange begleitete sie den Geiger Vojta Lavicka, der ihr nicht nur als Musiker interessant schien: Lavicka ist auch ein politischer Aktivist für seine Volksgruppe der Roma.
„Ups And Downs“ ist in vielerlei Hinsicht ein fesselnder Film. Zunächst macht es Spaß, in diesem Langzeit-Projekt die Entwicklung eines Menschen zu beobachten: Die Veränderung seiner Ansichten, seines Aussehens, seiner Beziehungen (zu Lebenspartnerinnen und seinem Sohn). Dann geht’s sehr stark um Minderheiten-Politik, wobei Lavicka gelegentlich kritische Distanz zur eigenen Volksgruppe bekundet: „Roma fühlen sich von anderen verfolgt, wollen sich aber nicht integrieren, sondern unter sich bleiben“. Schließlich die Musik. Hier hat der Geiger offenkundig Erfolg; mit seiner Band gypsy.cz schafft er bis zum Eurovisions Song Contest.
Diese Mischung aus Musik, Politik und Privatleben lässt eine höchst aufschlussreiche und sympathische Dokumentation entstehen, die an den Doku-Sendeplätzen des Fernsehens auch bei uns gute Chancen haben müsste.
Chancen beim kommerziellen Kino-Einsatz: Gering (als TV-Doku aber prächtig geeignet). Gesamteindruck: Hochinteressant.
„Long Distance“
Genre: Beziehungsdrama. Regie: Carlos Marques-Marcet (Spanien). Star-Faktor: Null.
Er hat einen Job in Barcelona, sie verdient ihr Geld in Los Angeles: Solche Fern-Verhältnisse sind im Arbeits-Jet-Set von heute gar nicht so selten. Der katalanische Regisseur Carlos Marques-Marcet untersucht in seinem Erstlingsfilm „Long Distance“, was das für Auswirkungen auf die Liebe haben kann.
Die erste Szene zeigt den Lehrer Sergio (David Verdaguer) und die Fotografin Alexandra (Natalia Tena) beim Sex. Er flüstert ihr dauernd seinen Kinderwunsch ins Ohr; sie ist da schon bedeutend zurückhaltender. Als sie wenig später ein E-Mail empfängt, wird klar, warum: Ein Job-Angebot aus L. A. ist für sie da. Begrenzt auf ein Jahr. Nach einigem Hin und Her beschließen die beiden, die Liebe auf Distanz zu wagen.
Von nun an sieht man Sergio und Alexandra (mehr Figuren gibt es in „Long Distance“ nicht) nur noch in elektronischer Kommunikation via Computer, Skype und Kamera. Er gibt ihr von Barcelona nach Los Angeles per Live-Schaltung Tipps beim Zwiebelschneiden, sie hört ihm beim Gitarrespielen zu. Aus Sehnsucht, kombiniert mit Lust, wird dann auch schon mal Telefonsex. Doch da das alles die Liebenden nicht erfüllen kann, werden ihre Mienen immer länger.
„Long Distance“ schildert die symbiotische Verknüpfung zweier Menschen auf Distanz: Sergio und Alexandra sitzen in ihren Wohnungen wie in Einzelzellen; ein Leben außerhalb der Funkverbindung von Spanien nach Amerika und zurück findet nicht statt.
Sergio dreht durch: Mit der Grandezza eines beleidigten, wehleidigen Machos macht er bei laufender Kamera die Wohnung in Barcelona zu Kleinholz, zerstört Werke von Alexandra und erpresst seine Partnerin: „Liebe oder Karriere!“ Dann steht er eines Tages unangemeldet bei ihr in L. A. vor der Tür. Und fragt: „Was habe ich falsch gemacht?“ Und sie antwortet „nichts“, anstatt diesen Herzens-Erpresser rauszuschmeißen, und fällt ihm schmachtend in die Arme.
Ein Happy End? Möglicherweise. Man kann „Long Distance“ aber auch ganz anders sehen: Als erzreaktionäres Beziehungsdrama, bei dem ein vorgeblich liberaler Mann seine Gefährtin am liebsten gut angeleint in sein Eigentum überführen will, ohne ihr die Chance zur Selbstentfaltung zu gönnen.
Chancen beim kommerziellen Kino-Einsatz: Schwach (nur für weinerliche Machos und deren Partnerinnen empfehlenswert). Gesamteindruck: Ärgerlich.