„Crossing Europe zeigt, was man sonst im Kino nicht sehen kann“
22.04.2014
Interview:
Gunther Baumann
Das Filmfest Crossing Europe geht in seine zweite Dekade. Intendantin Christine Dollhofer hat für die elfte Ausgabe des Festivals (25. – 30. April) insgesamt 184 Filme aus ganz Europa ausgesucht. „Wir zeigen, was man sonst im Kino nicht sehen kann“, sagt Dollhofer im FilmClicks-Gespräch und freut sich darüber, dass Crossing Europe bei den Filmemachern wie bei den Zuschauern zur Qualitätsmarke wurde. Das Publikum (man erwartet an die 21.000 Besucher) wisse: „Was wir präsentieren, ist immer kontroversiell und wert, gesehen zu werden.“
FilmClicks: Die meisten Filmfestivals beginnen mit der Galapremiere eines Films, der zur Eröffnung ausgesucht wird. Crossing Europe in Linz startet am 25. April nicht mit einem, sondern gleich mit sechs Filmen. Warum denn das?
Christine Dollhofer: Das hat Tradition bei Crossing Europe. Wir machen aus der Not eine Tugend: Unsere Kinos sind nicht so groß wie etwa das Wiener Gartenbau-Kino, unser größter Saal hat 350 Plätze. Deshalb starten wir mit einem ganzen Bouquet an Filmen – drei Dokumentationen und drei Spielfilmen -, die repräsentativ sind für das gesamte Programm. Dadurch nehmen wir ein wenig Druck von den Eröffnungsfilmen und wir ermöglichen gleichzeitig allen Interessierten den Zugang zum Festival schon am ersten Tag.
Kann man Crossing Europe als drittgrößtes österreichisches Filmfestival bezeichnen – hinter der Viennale und der Grazer Diagonale, die sich ganz um den heimischen Film kümmert?
Ja. Mit 184 Filmen und rund 21.000 Besuchern haben wird die dritte Position. Crossing Europe, das heuer zum elften Mal stattfindet, ist außerdem jünger als die beiden anderen Festivals. In der Stadt Linz hat sich das Filmfest sehr gut entwickelt. Viel größer könnten wir von der Struktur gar nicht werden, da wir die Innenstadt-Kinos bespielen. In einem nächsten Schritt müssten wir weitere zusätzliche Spielorte erschließen und zu Kinosälen umfunktionieren, doch das würde derzeit das Festivalbudget sprengen.
Crossing Europe zeigt, der Titel sagt es, Filme aus Europa. Wie leicht oder wie schwer ist es, jedes Jahr ein interessantes Programm zusammenzustellen?
Nun, natürlich steckt sehr viel Arbeit in der Programmauswahl, aber grundsätzlich ist es leicht, die passenden Filme zu finden, weil es ein sehr reichhaltiges Angebot gibt. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, nur österreichische Erstaufführungen zu präsentieren. Die Praxis zeigt, dass es neben dem Repertoire der Viennale und anderer international ausgerichteter Film-Events noch genug europäische Filme gibt, die es wert sind, bei uns gebündelt und handverlesen wie für eine Ausstellung vorgeführt zu werden.
Wie finden die Filme den Weg zu Crossing Europe?
Ein kleiner, aber wichtiger Teil des Repertoires kommt von den großen Festivals in Cannes, Venedig oder Berlin. Die Jagd in den Nebenschienen dieser Festivals ist für Crossing Europe sehr wichtig: Dort kann man viele Entdeckungen machen. Dann gibt es natürlich Netzwerke und Empfehlungen; es kommt oft vor, dass ich mir Filme aktiv bestelle, um sie zu begutachten. Die dritte große Säule in unserem Programm sind die Einreichungen. Da bekommen wir mittlerweile pro Jahr 700 bis 800 Dokumentationen und Spielfilme aus ganz Europa zugeschickt.
Wie hoch ist bei Crossing Europe der Anteil von Filmen, die nicht regulär über einen Verleih in Österreichs Kinos kommen?
Sehr hoch. Im Spielfilm-Sektor etwa zeigen wir dieses Jahr nur zwei Filme, die auch einen Verleih haben. Das liegt aber auch an unserer Ausrichtung: Filme, die sowieso ins Kino kommen, brauchen das Festival nicht zwingend. Mir geht es sehr stark darum, zu zeigen, was man sonst nicht im Kino sehen kann. Zwar steigt die Zahl der Filme pro Jahr, die einen Kinostart bekommen, doch auch im Arthaus-Bereich geht der Trend eher in Richtung Mainstream. Einen Film zu untertiteln, den man dann vielleicht nur in einem Kino in Österreich zeigen kann, das rechnet sich heute kaum mehr. Früher gab es mehr widerspenstige und exzentrische Filme im Kino als heute.
Bei Crossing Europe sind die Kinos voll. Finden die Filme durch das Festival also ein größeres Publikum als sonst?
Wir haben uns im Lauf der Jahre das Vertrauen unseres Publikums erarbeitet, dass man auch dann ins Kino geht, wenn man die Regisseure/Regisseurinnen oder Schauspieler/Schauspielerinnen vielleicht nicht kennt. Das macht es auch für No Names einfacher: Man mag als Zuschauer/Zuschauerin nicht mit allen Filmen einverstanden sein, aber die Marke Crossing Europe bedeutet: was wir zeigen, ist immer kontroversiell und wert, gesehen zu werden.
Wie definieren Sie einen europäischen Film?
Das richtet sich nach dem Regisseur oder der Regisseurin. Ob die Darsteller dann aus Indien oder aus Amerika kommen, das ist ganz egal. Scarlett Johansson etwa, die in „Under The Skin“, einem unserer Eröffnungsfilme, die Hauptrolle hat, ist eine Amerikanerin mit europäischen Wurzeln. Doch „Under The Skin“ ist ein britischer Film von Jonathan Glazer, der in Schottland spielt.
Was ist wichtiger bei Crossing Europe: Osteuropa oder Westeuropa?
Das ist meistens sehr ausbalanciert – es kommt auf das Angebot an. Mal gibt es spannendere Filme aus Ex-Jugoslawien oder Osteuropa, mal gibt es mehr aus Spanien oder Portugal: Ich mache keine Stricherl-Listen, sondern wir gehen von der Jahresproduktion aus.
Crossing Europe zeigt aber nicht nur internationale Filme. Es gibt auch eine sehr lokale Schiene, Local Artists.
Bei Local Artists zeigen wir Filme, die in irgendeiner Form einen Bezug zu Oberösterreich haben. Egal, ob das jetzt die Regie ist, die Thematik oder die Finanzierung. Wir wollten natürlich keine Konkurrenz zum Österreich-Filmfest Diagonale bilden. Doch wenn wir schon ein Festival in Linz aufbauen, ist es wichtig, zu schauen, was vor Ort in der Region passiert. In diesem Jahr gibt es viele Lang-Dokumentarfilme als Weltpremiere, die sehr stark sind.
Wie viele Filme sehen Sie pro Jahr?
Sicher an die tausend. Da sind aber auch Kurzfilme dabei. Wobei man fairerweise sagen muss, dass ich nicht alle Filme ganz anschaue. Wenn einem eine Produktion nicht gefällt oder wenn man weiß, dieser Film passt nicht zum Festival, dann geht man ökonomischer mit seiner Zeit um. Ich gehe aber auch noch ganz privat ins Kino. Das kann wie eine Belohnung oder eine Entspannung sein. Und natürlich muss ich up to date sein, was außerhalb Europas im Kino geschieht. Sonst wäre ich ja betriebsblind.
Wie geht es Crossing Europe finanziell?
Wir bewegen uns, was das Budget betrifft, im Rahmen von plus/minus 500.000 Euro. Das ist, im Vergleich zu Viennale und Diagonale, nicht viel. Aber wir haben trotzdem - so finde ich - einen sehr professionellen Output, welcher lustvoll und sehr engagiert vom gesamten Team betrieben wird. Crossing Europe wird vom Bund, vom Land Oberösterreich, von der Stadt Linz, ÖFI und vielen anderen Partnern gefördert. Außerdem sind wir das einzige Filmfest in Österreich, das aus dem Media-Programm auch eine Förderung der EU bekommt. Diese Förderung ermöglicht es, dass wir viele Regisseure und Regisseurinnen einladen können, die ihre Filme persönlich vorstellen. Das fördert den internationalen Dialog und trägt zum besonderen Flair von Crossing Europe maßgeblich bei.