Berlinale 2020

Der Goldene Bär reist in den Iran

29.02.2020
von  Peter Beddies, Gunther Baumann
Goldener Bär: Der im Iran mit Berufsverbot belegte Mohammad Rasoulof war nur als Foto anwesend © Berlinale
Berlinale 2020: Die künstlerische Leitung ist neu, doch die Linie des Wettbewerbs blieb unverändert. Bei der Verleihung des Goldenen und der Silbernen Bären am 29. Februar dominierten wie so oft kleine cineastische Produktionen weit jenseits des Mainstreams. Die siebenköpfige Jury um Jeremy Irons vergab den Goldenen Bären an  das Drama „There Is No Evil“ des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof, der für diesen Film das gegen ihn verhängte Arbeitsverbot umging. Silberne Bären gab es unter anderem für die US-Regisseurin Eliza Hittman (Großer Preis der Jury), den Koreaner Hong Sang-soo (beste Regie) und die Berlinerin Paula Beer, die für ihre Rolle in Christian Petzolds „Undine“ als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Die Österreicherin Sandra Wollner gewann mit ihrem Film „The Trouble With Being Born“ den Spezialpreis der Jury im neuen Encounters-Wettbewerb.
Der Siegerfilm: „There Is No Evil“ von Mohammad Rasoulof © Berlinale

Goldener Bär:
Mohammad Rasoulof  („There Is No Evil“)
Wieder mal hat sich eine Festival-Jury entschieden, den Preis nicht nach künstlerischen Kriterien, sondern nach politischer Abwägung zu vergeben. Das haben Cannes und Venedig auch schon getan. Dieses Mal setzt die Jury ein deutliches Zeichen in Richtung Teheran. Der Filmemacher Mohammad Rasoulof darf seit Jahren nicht mehr offiziell arbeiten. Ausreisen auch nicht. Bei seinem neuen Film „There Is No Evil“ („Es gibt kein Böses“) hat er vier Menschen gebeten, offiziell den Dreh von Kurzfilmen im Iran zu beantragen. Das wurde genehmigt und Rasoulof hat daraufhin einen viel zu langen Film über Schuld und Moral gedreht, der von Henkern erzählt und wie sie damit umgehen, dass sie dieser Arbeit nachgehen. Preiswürdig ist dieser Film auf jeden Fall. Aber unter künstlerischen Gesichtspunkten scheint die Auszeichnung mit dem Goldenen Bären übertrieben. Wie die Führung in Teheran mit dieser Provokation umgeht, weiß niemand. Offiziell hätte „There Is No Evil“ nie gedreht werden dürfen.

Großer Preis der Jury: Eliza Hittman mit ihrem Silbernen Bären © Berlinale

Silberner Bär (Großer Preis der Jury): Eliza Hittman („Never Rarely Sometimes Always“)
Das US-Schwangerschafts-Drama „Never Rarely Sometimes Always“ ist für viele Beobachter der wahre Gewinner der 70. Berlinale. Also jener Film, der – neben „Berlin Alexanderplatz", das skandalöserweise total leer ausging – den Goldenen Bären verdient hätte. Seit 2012 hat Regisseurin Eliza Hittman an diesem Werk gearbeitet. Sie schuf ein kraftvolles Stück Kino, das überragend zeigt, wie junge Mädchen damit umgehen, wenn sie unverhofft schwanger werden. Wie die Gesellschaft (in diesem Fall die amerikanische) sie allein lässt. Wie die Mädchen dorthin fahren, wo man Ihnen hilft: nach New York. Wie bitter gefühlskalt dieser Stadt-Moloch sein kann. Hittman erzählt sensibel und ist mit ihrer Sympathie voll auf der Seite der jungen Mädchen. Ein stiller und doch schreiend lauter Appell, in welche Richtung sich die amerikanische Gesellschaft entwickelt. Behält dieses Drama recht, so stehen finstere Zeiten an.
 
Silberner Bär für die beste Regie: Hong Sang-soo („The Woman Who Ran“)
Einen Film wie „The Woman Who Ran“ kann man machen (und mögen), wenn man jemand ist, der gern dem Gras beim Wachsen zuschaut. Der Koreaner Hong Sang-soo entwickelt in sehr langen und klug komponierten Einstellungen die Portraits von Frauen. Man trifft sich und redet und wie nebenbei entstehen die Konflikte. Die werden aufgezeigt und verschwinden auch wieder. Also die Frauen verschwinden, und manchmal auch die Probleme. Das ist edel und subtil umgesetzt. Aber der Filmemacher lädt auch sehr dazu ein, bei seinen Filmen wegzunicken. Es ist entschleunigtes Kino für Genießer. Auf keinen Fall etwas für Jedermann.

Beste Darstellerin: Paula Beer in „Undine“ © Berlinale

Silberner Bär für die beste Darstellerin: Paula Beer („Undine“)
Langsam dürfte man sich international fragen: „Was hat diese Frau, was andere nicht haben?“ Schon beim Festival Venedig wurde Paula Beer (für „Frantz“ von Francois Ozon) als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Nun also der Silberne Bär für ihre „Undine“. Eine Sagengestalt in Berliner Gewässern, die sich gern an Land in Männer verliebt. Aber wenn die sie verlassen, muss sie sie töten. Paula Beer ist eine hinreißende Undine. Sie durchströmt dieses schöne Märchen von Regisseur Christian Petzold wie ein Naturelement. Man muss aber auch sagen, dass ihr Spiel nur so gut ist, wie es ihr Leinwand-Partner Franz Rogowski zulässt. Ihm widmete Paula Beer völlig zu Recht eine Hälfte dieses Preises.
 
Bester Darsteller: Elio Germano in „Hidden Away“ © Berlinale

Silberner Bär für den besten Darsteller: Elio Germano („Hidden Away“)
Regisseur Giorgio Diritti erzählt in „Hidden Away“ die Leidensgeschichte des italienischen Malers Antonio Ligabue (1899 – 1965). Heute werden seine naturalistischen Gemälde um bis zu 200.000 Euro gehandelt. Schon zu Lebzeiten begann sein Erfolg. Aber Ligabue konnte weder mit dem Ruhm noch mit Geld umgehen, und so starb er bettelarm. Der Maler, der psychisch krank war und nicht von vorteilhaftem Äußeren, hatte während seines Lebens immer damit zu kämpfen, dass ihn die Gesellschaft nicht akzeptierte. Das Spiel von Elio Germano in der Titelrolle ist herausragend. Wie er dieser geschundenen Existenz Seele einhaucht, dafür hat er den Darsteller-Preis mehr als verdient.   
 
Silberner Bär für das beste Drehbuch: D'Innocenzo Brothers ( „Bad Tales“)
Die D'Innocenzo Brothers werden als große Talente des italienischen Kinos gefeiert. Schon vor zwei Jahren hatten sie einen Film bei der Berlinale; damals noch in der Nebenreihe Panorama. Dieses Mal zeigen sie das Sterben von Idealen und Wünschen in einem Ort unweit von Rom. Besonders die Kinder leiden unter der absoluten Hoffnungslosigkeit. Einen Preis hat dieses nicht eben leicht zu konsumierende Werk auf jeden Fall verdient. Ob die Auszeichnung für das beste Drehbuch die geeignete Kategorie ist, darüber lässt sich trefflich streiten.
 
Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung: Jürgen Jürges (Kamera von „DAU. Natasha“)
Nun hat „DAU. Natasha“ von Ilya Khrzhanovskiy, wegen seiner expliziten Sexszenen zum Skandalfilm der Berlinale erhoben (auch wenn er sich als gar nicht so skandalös herausstellte), einen Bären gewonnen. Und zwar den einzig möglichen. Denn dieses gigantische Projekt, 700 Stunden Material wurden in den Jahren 2008 bis 2011 gedreht, brauchte jemanden, der es filmisch zusammenhält. Dieser Jemand ist der Kameramann Jürgen Jürges, der in seiner langen Karriere schon mit Legenden wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder zusammengearbeitet hat. Bei „DAU“ liefert er die beeindruckenden Bilder, die den Zuschauer in die UdSSR der 1950er Jahre transportieren, in die Zeit des Schreckens der kommunistischen Herrschaft. Das gesamte „DAU“-Projekt mag umstritten sein. An der exzellenten Arbeit von Jürgen Jürges lässt sich nichts kritisieren. 

Der lustigste Film der 70. Berlinale: „Delete History“ © Berlinale

Silberner Bär der 70 Berlinale: Benoît Delépine & Gustave Kervern  („Delete History“)
„Delete History“ war ohne Frage der lustigste Film im Wettbewerb – wenn nicht der ganzen 70. Berlinale. Seit ihrem Erstling „Aaltra“ verstehen es die Regisseure Benoît Delépine &  Gustave Kervern  wie kaum jemand anders, absurden Humor auf die Leinwand zu packen. In „Delete History“ knöpfen sie sich die Fessel unseres Alltags vor – die uns umgebenden digitalen Geräte. Was die Maschinen alles kaputt machen und wie es Menschen ergeht, die sich gegen große Tech-Konzerne zur Wehr setzen. Slapstick-Humor und scharfe Dialoge ohne Ende. Hier wird sehr grob vorgegangen. Nicht jeder der zahlreichen Gags sitzt. Aber am Ende ist klar: Wir alle sind schuld an unserem selbst gewählten multimedialen elektronischen Elend. Dass dieser Film den einmalig vergebenen Preis zum 70. Geburtstag der Berlinale bekommt, ist eine sehr schöne Entscheidung der Jury. 

Die Preisträger

Goldener Bär für den besten Film: „There Is No Evil“ von Mohammad Rasoulof (Iran)
Goldener Ehrenbär: Helen Mirren (Großbritannien)
Silberner Bär (Großer Preis der Jury): „Never Rarely Sometimes Always“ von Eliza Hittman (USA)
Silberner Bär (Beste Regie): Hong Sang-soo für „The Woman Who Ran“ (Südkorea)
Silberner Bär (Beste Darstellerin): Paula Beer für „Undine“ von Christian Petzold (Deutschland)
Silberner Bär (Bester Darsteller): Elio Germano für „Hidden Away“ von Giorgio Diritti (Italien)
Silberner Bär (Bestes Drehbuch): D’Innocenzo Brothers für „Bad Tales“ (Italien)
Silberner Bär (für eine herausragende künstlerische Leistung): Jürgen Jürges (Deutschland), Kameramann von „DAU. Natasha“ von Ilya Khrzhanovskiy & Jekaterina Oertel
Silberner Bär (70. Berlinale): Benoît Delépine & Gustave Kervern  („Delete History“)
Goldener Bär für den besten Kurzfilm: „T“ von Keisha Rae Witherspoon (USA)
 
Spezialpreis der Jury Encounters: Sandra Wollner für „The Trouble With Being Born“ (Österreich)
Berlinale Dokumentarfilm Preis (dotiert mit 40.000 Euro): Rithy Panh für „Irradiated“ (Kambodscha)