Berlinale 2018

Romy Schneider, Oscar Wilde und ein Mädchen aus Österreich

19.02.2018
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Ein Lächeln, auch wenn sie mal am Boden ist: Marie Bäumer als Romy Schneider © Filmladen
Drei eindrucksvolle Filme im Berlinale-Programm; zwei davon mit starker österreichischer Beteiligung: Marie Bäumer und Birgit Minichmayr nähern sich im fesselnden Bio-Pic „3 Tage in Quiberon“ der Antwort auf die Frage an, wie Romy Schneider wirklich war. Eine Biografie ist auch „The Happy Prince“. Rupert Everett porträtiert als Hauptdarsteller und Regisseur den Dichter Oscar Wilde. Als temporeiches Coming-of-Age-Drama, in dem außer Teenagern auch die Eltern vor neuen Lebensfragen stehen, erweist sich schließlich die Austro-Produktion „L’Animale“ von Katharina Mueckstein. Alle drei Filme starten schon in nächster Zeit regulär im Kino.
Enge Freundinnen: Marie Bäumer und Birgit Minichmayr in „3 Tage in Quiberon“ © Filmladen

3 Tage in Quiberon

Genre: Biografie / Drama
Regie: Emily Atef (Deutschland)
Star-Faktor: Marie Bäumer spielt die Kino-Ikone Romy Schneider und ist von einem Elite-Cast umgeben: Birgit Minichmayr, Charly Hübner und Robert Gwisdek. Vicky Krieps („Der seidene Faden“) hat einen Mini-Auftritt
Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären
„3 Tage in Quiberon“ ist ein hochklassiges Arthaus-Drama und zugleich der ideale Film für alle, die immer schon wissen wollten, welche seelischen Abgründe sich hinter der Glamour-Fassade eines Filmstars verbergen können.
Der auf realen Ereignissen basierende Film spielt 1981, knapp ein Jahr vor Romy Schneiders  frühem Tod, im Bretagne-Hafenstädtchen Quiberon.  Die Film-Diva hat dort in einem Fünf-Sterne-Hotel eingecheckt. Offiziell, um ein wenig zu entspannen. Doch in Wahrheit geht’s ihr darum, ihren Alkohol- und Tablettenkonsum in den Griff  zu bekommen.
Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr), Romys Freundin aus Salzburger Kindheitstagen, hat sich als Besucherin angekündigt. Und dann reisen noch zwei Herren aus Hamburg an: Der Stern-Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek) und der Fotograf Robert Lebeck (Charly Hübner).  Ein Interview ist vereinbart. Der Routine-Termin entwickelt sich zu einem schmerzhaften Seelen-Striptease, in dem Romy Schneider alle Masken fallen lässt.
Marie Bäumer, deren Ähnlichkeit mit Romy Schneider verblüfft, führt die  widersprüchlichen Facetten der berühmten Schauspielerin vor. Da ist zunächst die strahlende Diva, die Charme und gute Laune versprüht und die es gewohnt ist, dass man ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest.
Binnen Sekunden kann diese Frau aber in Depressionen und Selbstzweifel verfallen. In solchen Momenten verliert sie jede Souveränität und Selbstkontrolle. Dann werden die Zigaretten, die Tabletten und der Alkohol zu ihren besten Freunden, wobei sie qualmt wie ein Schlot und den Wein nicht nur trinkt, sondern in sich hineinschüttet. Und, was für ihre wahren Freunde das Schlimmste ist: Romy kann in diesen Phasen zur Furie werden, die ihre Umwelt mit maßlos verletzenden Worten  für Fehler verantwortlich macht, die sie selbst begangen hat.
Mit dem Bild der beneidenswerten Romy Schneider, die nach dem frühen Ruhm als „Sissi“ eine strahlende Karriere hinlegte, hat das nicht viel zu tun. Doch es spricht viel dafür, dass dieses Porträt der Realität entspricht. Romy bezeichnet sich im Film selbst als „unglückliche Frau von 42 Jahren“.
Die Virtuosität, mit der Marie Bäumer das Porträt von Romy Schneider anlegt, wäre allein schon die Kinokarte wert. Doch Regisseurin Emily Atef hat ihrer Protagonistin hochklassige Sparringspartner zur Seite gestellt, die gleichfalls Großes leisten.
Da wäre zunächst Robert Gwisdek, der den Journalisten Michael Jürgs als gefährliches und rüpelhaftes Krokodil von einem Reporter anlegt (und dem es doch gelingt, Romy ihre intimsten Geheimnisse zu entlocken). Burgtheater-Star Birgit Minichmayr  steigt als Freundin Hilde immer wieder voll auf die Bremse – sie versucht, den sprudelnden Redefluss von Romy Schneider einzudämmen.
Und dann ist da noch Charly Hübner als Fotograf Robert Ledeck, der einen Blick für brillante Bilder, aber auch für zarte Seelen hat. Er kennt Romy Schneider bereits, wenn die Story beginnt, und er wird im Zuge der „3 Tage in Quiberon“ auch zu ihrem Vertrauten, der einmal das Bett mit ihr teilt.
Die atemraubenden Romy-Porträts von Robert Ledeck, die 1981 zusammen mit dem Interview im Stern erschienen, haben den visuellen Stil des Films geprägt. Der Wiener Kameramann Thomas W. Kiennast drehte „3 Tage in Quiberon“ in kühlem und zugleich elegantem Schwarz-Weiß.     (bau)
Kinostart: 13. April 2018
Kinchancen: hoch – der Film ist ein Fest für Cineasten und für Romy-Schneider-Fans
Gesamteindruck: Hochklassige Filmbiografie, der ein winziger Ausschnitt aus dem Leben von Romy Schneider genügt, um die Schauspielerin präzise zu porträtieren
 
Rupert Everett als Oscar Wilde in „The Happy Prince“ © Berlinale

The Happy Prince
Genre: Biografie

Regie: Rupert Everett (Großbritannien)
Star-Faktor: Neben Rupert Everett sind mit Colin Firth und Emily Watson noch weitere Stars der britischen Szene im Einsatz

Berlinale-Premiere: in der Sektion Berlinale Special
Die Oscar-Wilde-Biografie „The Happy Prince“ – der Filmtitel geht auf Wildes Kunstmärchen „Der glückliche Prinz“ zurück – ist Rupert Everett  eine Herzensangelegenheit. Vor mehr als zehn Jahren beschloss der Engländer, mit „Die Hochzeit meines besten Freundes“ mal für kurze Zeit ein Weltstar, einen Film über seinen Lieblingsdichter zu machen.
Erst war die Begeisterung unter Produzenten und Geldgebern wohl groß, aber es fand sich einfach kein Regisseur, um dem Leben des legendären und skandalumwitterten Oscar Wilde ein Denkmal zu setzen. Also musste sich Rupert Everett vom Gedanken verabschieden, nur die Hauptrolle zu spielen. Um den Kollaps des Projektes zu verhindern, hat er auch die Regie übernommen.
Für einen Debütanten sehr geschickt und überaus elegant führt Everett hier bildgewaltig durch die letzten Lebensjahre des exzentrischen Künstlers (1854 – 1900), vom dem so schöne Sprüche wie: „Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht“ überliefert sind.
Oscar Wilde (in den ersten Szenen hat man Schwierigkeiten, hinter der beeindruckend hässlich-verlebten Maske Rupert Everett zu erkennen) ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Der offen homosexuell lebende Mann wurde vom Vater eines seiner Geliebten vor Gericht gezerrt. Freunde und Verehrer haben etwas Geld für ihn gesammelt. Nach England darf Oscar Wilde nicht zurück. In Paris will er einen Neuanfang wagen.
Dass dieser Neubeginn zugleich der Anfang vom Ende ist, daraus macht Rupert Everett kein Hehl. Er zeigt den Dichter als einen, der auch am Ende seines Lebens die Kerze noch an beiden Enden anzündet.
Weder ein Angebot seiner Frau (sehr gut gespielt von Emily Watson) noch der gute Rat von Freunden (einer davon ist der sehr zurückhaltend agierende Colin Firth) können ihn davon abhalten, sein Leben mit Volldampf gegen die Wand zu fahren. Immer dabei seine Freunde Absinth und Kokain, die ihn viel zu früh sterben ließen.
Fazit: Rupert Everett holt sein Idol Oscar Wilde in „The Happy Prince“ vom Sockel und zeigt uns, was sich hinter der Dichter-Legende verbirgt. Ein Mann, der an sich und an den Zwängen seiner Zeit zugrunde ging.      (bed)  
Kinostart: 24. Mai 2018
Kinochancen: ordentlich – der Film ist ein Fall fürs Arthaus-Publikum
Gesamteindruck: sehr liebevoll gemachte  und glänzend gespielte Biografie, bei der man Seiten an Oscar Wilde entdecken kann, die bisher noch nicht im Kino zu sehen waren      

 
Coming of Age: Sophie Stockinger als Mati in „L'Animale“ © Berlinale

L’Animale

Genre: Drama
Regie: Katharina Mueckstein (Österreich)
Star-Faktor:  Hauptdarstellerin Sophie Stockinger beweist schon zum zweiten Mal (nach „Talea“) in einem Film von Katharina Mueckstein, dass sie das Zeug zu einer großen Karriere hat. Multitalent Kathrin Resetarits schrieb zuletzt das Drehbuch zu Barbara Alberts Arthaus-Hit „Licht“
Berlinale-Premiere: in der Festival-Reihe Panorama Special
Man könnte das österreichische Drama „L’Animale“ mit einem Augenzwinkern unter das Motto „Fast & Furious auf dem Lande“ stellen. Auch wenn es in diesem Film nicht um Vollgas-Boliden, sondern um die Selbstfindung und die Selbstlügen der Protagonisten geht.   
Jedenfalls: Fast, im Sinne von schnell, ist die Maturantin Mati (Sophie Stockinger) auf ihrem geländegängigen Moped, und furious, im Sinne von wütend, ist sie auch. Die Tochter einer Tierärztin (Kathrin Resetarits) und eines Bautechnikers (Dominik Warta) geht zwar wohlbehütet und ohne existenzielle Sorgen durchs Leben, aber in ihr glimmt ein unartikulierter Zorn, der für viele Teenager typisch ist.
Auf der Suche nach ihrem Platz im Leben ist Mati erst einmal bei den Jungs fündig geworden. Nicht im sexuellen Sinne: Sie gehört zu einer Moped-Clique, bei der kühne Motocross-Duelle an der Tagesordnung sind. Ihre Solidarität mit den Burschen geht sehr weit: Als sich eine hübsche Blondine in der Disco gegen die sexuelle Belästigung durch einen der Jungs wehrt, greift Mati ein. Allerdings nicht auf der Seite des Mädchens: Sie spuckt der Blondine ins Gesicht.
Matis Macho-Allüren lassen massiv nach, als sie die gleichaltrige Carla (Julia Franz Richter) kennenlernt. Zwischen den beiden Mädchen keimt Freundschaft auf – und möglicherweise auch mehr.
Parallel dazu wirft Filmemacherin Katharina Mueckstein auch einen Blick auf die Verhältnisse in Matis Elternhaus. Die sind, im Fall von Vater Paul, nicht mehr von ehelicher Treue geprägt. Mutter Gabi wird durch einen Zufall zur  Zeugin eines Seitensprungs ihres Gemahls.
So sehen sich in „L’Animale“ Frauen und Männer aus zwei Generationen vor offenen Fragen, die ihre Lebensgestaltung, ihre Sinnlichkeit und ihre Leidenschaft betreffen. Ist das geradlinige Ausleben aller Möglichkeiten angesagt oder wäre es (auch im Sinne des familiären Friedens) besser, ein paar Umwege zu gehen?
Katharina Mueckstein schenkt dem Publikum ihres temporeichen und kompakt inszenierten Film nicht die Bequemlichkeit, für alle Figuren eine maßgeschneiderte Lösung vorgesetzt zu bekommen. „L’Animale“ ist ein Film, der bewusst Vieles offen lässt. Die Protagonisten auf der Leinwand müssen sich selbst ihre Gedanken machen – die Zuschauer im Saal desgleichen.     (bau)
Kinostart: 16. März 2018 (in Österreich)
Kinochancen:  gut (für Fans hochklassiger österreichischer Filme)
Gesamteindruck: Facettenreiches Coming-of-Age-Drama, in dem auch die Elterngeneration gefragt ist, die eigene Position im Leben neu zu bestimmen