Berlinale 2015

Aus der Dunkelheit ins Licht

08.02.2015
von  Gunther Baumann
Gut gelaunt beim Berlinale-Pressegespräch: Christian Bale und Natalie Portman © Matthias Greuling
Großer Rummel um Christian Bale und Natalie Portman auf dem Roten Teppich der Berlinale: Die beiden Stars kamen am 8. Februar zur Premiere von „Knight of Cups“ nach Berlin, dem neuen Film von Regie-Magier Terrence Malick. Da der scheue Filmemacher Malick dem Blitzlichtgewitter wie stets fernblieb, konzentrierte sich der Applaussturm auf Bale und Portman, die in der stillen Film-Meditation tragende Rollen spielen. „Knight of Cups“ (benannt nach der Tarotkarte des Ritters der Kelche) ist ein erster Höhepunkt im Wettbewerb um den Goldenen Bären, dessen Filme bisher wenig Begeisterung auslösten. Hier ein Überblick über wichtige Filme, die in den ersten Tagen des Berliner Filmfests an den Start gingen.
 


„Knight of Cups“            
Genre: Drama. Regie: Terrence Malick. Star-Faktor: Sehr hoch (Christian Bale, Natalie Portman, Cate Blanchett, Armin Mueller-Stahl). Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären.

„Tollkühner Optimist oder desillusionierter Träumer“: Diese Charakterisierung findet man in Tarot-Büchern über den Ritter der Kelche. Genau so einen Typ spielt Christian Bale in „Knight of Cups“. Der Mann heißt Rick und hat es im Hollywood-System offensichtlich zu großem Erfolg gebracht. Doch jetzt, in der Mitte seines Lebens, hält er inne und denkt über seine Existenz nach. Über seine Leistungen, über die Leere, die ihn manchmal anstreift, und nicht zuletzt auch über die Frauen, mit denen er seine Tage und Nächte teilte.
Gleich zu Beginn erlebt man ein beindrucksvoll realistisch inszeniertes Erdbeben. Das ist ein treffliches Symbol für die äußeren und inneren Erschütterungen, die Nick im seismografisch so wackeligen Los Angeles durchmacht. Dann geht die Reise los.
Nick und die Filmkulissenstadt Hollywood. Nick in den sonnenglänzenden Straßen von Los Angeles. Nick in der Einsamkeit der wüstenhaft-schroffen Natur Kaliforniens. Und: Nick und die Frauen.



Terrence Malick, der poetische Einzelgänger des US-Kinos, hat diese Collage nicht nach den üblichen Regeln der Filmdramaturgie inszeniert. Christian Bale musste damit zurechtkommen, dass er für diese große Rolle praktisch keinen Text zu lernen hatte. Er schaut auf die Welt, er reagiert auf die Menschen. Doch was er dazu sagt und fühlt, das hört man aus  dem Off.
Dieser Stil verleiht dem Film einen sehr meditativen Charakter. Die Bilder (Kamera: Emmanuel Lubezki) sind aufregend, lebensprall, sexy, schnell  geschnitten und ästhetisch wunderschön. Der Soundtrack aber, mit den sanft dahingesprochenen Gedanken und der betörend melodischen Musik von Hanan Townshend, liefert den Kontrapunkt zur  visuellen Atemlosigkeit.
In der Ruhe liegt die Kraft. „Knight of Cups“ – Motto: „Finde deinen Weg aus der Dunkelheit ins Licht“ – ist ein spirituelles, sinnsuchendes Kino-Ereignis, aus dem jeder Betrachter seine eigenen Erkenntnisse ziehen kann.
Kino-Chancen: Ein sicherer Arthaus-Hit. Gesamteindruck: Besinnliches Meisterwerk, das Cineasten reich beschenkt.

„45 Years“: Tom Courtenay und Charlotte Rampling © Berlinale

„45 Years“
Genre: Drama. Regie: Andrew Haigh (Großbritannien). Star-Faktor: Mittel (Charlotte Rampling, Tom Cortenay). Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären.

Kann eine Affäre, die 50 Jahre zurückliegt und tragisch endete, in der Gegenwart frische, akute und schmerzende Eifersucht auslösen? Der britische Autor/Regisseur Andrew Haigh, der 2011 mit der Schwulen-Romanze „Weekend“ Furore machte, zeigt jetzt im Hetero-Ehedrama „45 Years“: Ja, das geht.
Die Versuchsanordnung: Kate (Charlotte Rampling) und Geoff (Tom Courtenay) sind seit 45 Jahren verheiratet. Das halbrunde Jubiläum soll mit einem großen Fest begangen werden. Doch mitten in die Vorbereitungen zur Party platzt ein Brief aus der Schweiz, der die zärtliche Innigkeit der Eheleute ins Wanken bringt. Katya wurde gefunden.
Katya – vor 50 Jahren war Geoff in die junge Frau sehr verliebt. Doch bei einer Bergtour in den Alpen kam sie ums Leben. Erst nach einem halben Jahrhundert gab der Gletscher ihren Körper wieder frei.
Kate weiß, dass ihr Mann vor der Ehe schon eine andere große Beziehung hatte. Doch sie wusste nicht, wie tief diese Zuneigung ging. Geoff, der sich auf einmal sehr merkwürdig verhält, lässt seiner Frau im Grunde gar keine andere Chance, als auf Spurensuche zu gehen. Er bekennt, dass er Katya wohl geheiratet hätte. Und Kate erkennt, anhand eines lange versteckten Fotos, dass die andere Frau offenbar ein Baby erwartete.
Hat Kate ihre private Existenz auf einem brüchigen Fundament aufgebaut? Ist sie für Geoff, die Liebe ihres Lebens, nur die zweite Wahl gewesen? Der Frau zieht es den Boden unter den Füßen weg.
Das Fest zum Hochzeitstag steht diese Kate, von Charlotte Rampling mit kämpferischer Grandezza gespielt, irgendwie durch. Doch ihre Fragen bleiben offen. „45 Years“ ist ein berührendes Ehedrama, das für meinen Geschmack nur unter dem temperamentlosen Spiel von Tom Courtenay leidet. Starker Beifall.
Kino-Chancen: Ein potenzieller Arthaus-Hit. Gesamteindruck: Eindrucksvolles Psychodrama, dem ein paar kräftigere Farben allerdings gut getan hätten.
 
„Diary of a Chamber Maid“: Léa Seydoux ist verführerisch wie immer © Berlinale

„Diary of a Chamber Maid“
Genre: Drama. Regisseur: Benoit Jacquot (Frankreich). Star-Faktor: Mittel (Léa Seydoux). Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären.

Der französische Regisseur Benoit Jacquot bringt nach Jean Renoir (1946) und Luis Bunuel (1964) die dritte Filmversion eines Romans von Octave Mirbeau ins Kino. Das „Tagebuch einer Kammerzofe“ wirft einen Blick auf das Leben der Bourgeoisie – aus der Perspektive der Dienstboten.
Was dieses altmodische Drama uns heute zu sagen haben soll und welchem Glücksfall es die Aufnahme in den Wettbewerb der Berlinale verdankt, bleibt allerdings unergründlich.
Der Film besitzt nur eine einzige Stärke, und das ist das Spiel von Léa Seydoux, die mit sinnlichem Schmollmund und proletarischer Übellaunigkeit das Dienstmädchen verkörpert. Und sonst? Es wird Tee serviert, es wird genäht, es wird tief in die Augen geschaut und auch mal geliebt. Als Zuschauer wartet und wartet man, dass endlich etwas Nennenswertes passiert. Es passiert aber nix. Und dann ist der Film aus.
Kino-Chancen: Außerhalb Frankreichs nicht vorhanden. Gesamteindruck: Ein Film ohne Film.
 

„Der letzteSommer der Reichen“: Schrilles Possenspiel mit Begräbnis © Berlinale

„Der letzte Sommer der Reichen“
Genre: Drama. Regie: Peter Kern (Österreich). Star-Faktor: Null. Berlinale-Premiere: In der Sektion Panorama.

„Der letzte Sommer der Reichen“ ist einer der wenigen Beiträge aus Österreich auf der Berlinale 2015. Autor/Regisseur Peter Kern, bekanntermaßen eher nicht im Mainstream des Filmschaffens daheim, hat sich eine wilde Kolportagegeschichte ausgedacht, in der es um lesbischen Sado-Maso-Sex und ungezügelten Kapitalismus, um Altnazis und jugendliche Gier geht.
Die Story ist reichlich absurd, plakativ und sehr verworren. Die Dialoge wirken manchmal wie aus den Schlagzeilen der österreichischen Boulevard-Zeitungen abgeschrieben. Das Ensemble? Oh je. Die Arbeit mit den Schauspielern scheint nicht Peter Kerns Hauptanliegen zu sein. So wirken die Darsteller (von Lichtblicken wie Margarete Tiesel, Winfried Glatzeder oder Martin Oberhauser einmal abgesehen) bedeutend untalentierter, als sie es in Wirklichkeit wohl sind.      
Kino-Chancen: Sehr gering. Gesamteindruck: Eine Farce, die den Dilettantismus zum Stilmittel erhoben hat.




News
Berlinale 2015
Die 65. Berlinale ist eröffnet. Die Filmfestspiele von Berlin begannen am 5. und 6. Februar mit hochkarätig besetzten Abenteuerfilmen, die allerdings nicht wirklich überzeugen konnten. Die Stars: Nicole Kidman spielt in „Queen Of The Desert“ von Werner Herzog (Bild), Juliette Binoche in „Nobody Wants The Night“ von Isabel Coixet.    Mehr...