Viggo Mortensen , Matt Ross über „Captain Fantastic“


„Hört einander zu und lernt aus den Fehlern“

18.08.2016
Interview:  Peter Beddies

Viggo Mortensen: Der „Herr der Ringe“-Star als charismatischer Aussteiger in „Captain Fantastic“ © Universum

Viggo Mortensen: Seitdem er als Aragorn in „Der Herr der Ringe“ zum Topstar wurde, überrascht er uns immer wieder. Mal spielt er, für David Cronenberg in „Gefährliche Begierde“, den Wiener Psychiater Sigmund Freud. Mal hört man ihn, im Wüsten-Western „Den Menschen so fern“, ausgiebig auf Arabisch parlieren. Und jetzt, im hinreißenden Familiendrama „Captain Fantastic“, wuchtet er einen zottelbärtigen Aussteiger und Vater von sechs Kindern auf die Leinwand, der seinen Kids viel Mut, Elan, Bildung und die Kunst des Zuhörens beibringt. Wir haben genau zugehört, als Mortensen und sein Regisseur Matt Ross beim FilmClicks-Interview in Cannes über „Captain America“ sprachen.   


FilmClicks: Wenn man „Captain Fantastic“ gesehen hat, kann man sich keinen anderen Hauptdarsteller als Sie vorstellen, Viggo Mortensen.
Matt Ross: Sehe ich genauso.
Viggo Mortensen: Und warum, wenn ich fragen darf?
 
Die Figur des bärtigen Vaters mit dem Herzen am rechten Fleck, der für seine Kinder kämpft und mit ihnen wie in einem Paradies im Wald lebt – perfekt.
Mortensen: So sehen Sie mich? Puh, dazu muss ich mal was sagen. Wieso denkt jeder, ich wohne auf einer einsamen Insel? Und nicht nur das, sondern auch noch in einem Baumhaus? Und dass ich mir mein Essen selber jage?
 
Wir nehmen hiermit zur Kenntnis, dass dem nicht so ist.
Wissen Sie, ich spiele diese Aussteiger-Typen ja wirklich gern. Aber man sollte bitte nicht den Fehler machen, meine Figuren mit mir zu verwechseln. Das gibt Konflikte, die ich nicht möchte.
 
Matt Ross, warum wollten Sie Viggo für die Hauptrolle in „Captain Fantastic“?
Ross: Weil er ein verdammter Hollywoodstar ist. Nein Viggo, Du musst das Gesicht nicht verziehen. Das war natürlich ein Scherz. Ich finde, Viggo hat das so ziemlich einmalige Talent, sich in seine Charaktere einzufühlen. Das hatte ich mir vor den Dreharbeiten erhofft. Und jetzt sehe ich mich bestätigt.

Ungewöhnlicher Dreh: Regisseur Matt Ross am Set mit einem der Film-Kids © Universum

Wenn Viggo haben der eine Erfolgsgarant von „Captain America“ ist, dann sind seine sechs Film-Kids der zweite.
Ross: Da sagen Sie etwas sehr Wichtiges. Denn warum sagen immer alle, dass es so schwer sei, mit Kindern zu arbeiten?
Mortensen:  Unter anderem, weil sie nur wenige Stunden am Tag arbeiten dürfen.
Ross:  Stimmt genau. Aber das ist nur eine Seite. Wenn man erst einmal Hunderte Kids beim Casting gesehen hat und sich sicher ist, dass man seine sechs idealen Kinder für den Film gefunden hat, dann kommt das echte Problem. Denn die kleinen Kinder werden von ihren Eltern begleitet. Und die können einem das Leben zur Hölle machen.
Mortensen:  Aber es gibt auch reichlich wunderbare Momente. Kinder vergessen irgendwann, dass sie während Dreharbeiten gefilmt werden. Es konnte also durchaus passieren, dass einer unserer Kinderstars herrlich versonnen stehenblieb und in der Nase bohrte.
Ross: Manche dieser Momente konnten wir für den Film verwenden, da ist richtig. In solchen Augenblicken sind die Kinder am authentischsten.

Ungewöhnliche Familie: Aussteiger Ben (Viggo Mortensen) mit seinen Kindern © Universum

Viggo, Sie wählen Ihre Rollen ja stets sehr sorgfältig. Was hatte das Projekt „Captain Fantastic“, das anderen Drehbüchern fehlt?
Mortensen: Ziemlich einfach zu erklären. Es geht in diesem Film, obwohl der Titel anderes vermuten lässt, nicht um einen Superhelden in einem Parallel-Universum. Hier geht es um etwas, das wir mittlerweile leider verlernt haben. 
 
Was meinen Sie konkret?
Mortensen: Gegenfrage. Was macht die Familie in „Captain America“ so besonders?
 
Unter anderem, dass man einander zuhört.
Mortensen: Exakt. Und das finde ich wunderbar. Jeder, der aus dem Kino kommt, wenn er kein gefühlskalter Mensch ist, müsste folgenden Satz in sich spüren: „Hört einander zu und lernt aus den Fehlern“. Darum geht es in diesem Film. Und deshalb wollte ich mitmachen.
 
Sie sind selbst Vater. Hören Sie Ihrem Sohn denn immer zu?
Mortensen: Ich habe es gelernt. Seitdem ich weiß, dass dieser Weg der schwerere, aber bessere ist, versuche ich, mich daran zu halten. Natürlich ist es viel einfacher, Kindern zu sagen, was sie machen sollen und jede Debatte abzulehnen. Aber ich schlage etwas vor und dann erkläre ich, warum ich das für den richtigen Weg halte. Es ist übrigens ebenfalls sehr wichtig, dass man als Erwachsener seine Fehler zugibt.
Ross: Und zwar den Kindern gegenüber. Wie es auch unser Film zeigt.
Mortensen: Genau. Man sollte keine Angst haben, den Respekt oder die Kontrolle zu verlieren. Jeder macht Fehler, und das sollte man seinen Liebsten gegenüber auch zugeben. 
 
Ein spannender Aspekt von „Captain Fantastic“ ist die Frage, welche Art zu leben die richtige ist: Die bürgerliche Existenz oder das Aussteigen. Was ist Ihre Ansicht?
Mortensen: Das muss jeder für sich entscheiden. Da würde ich niemandem etwas vorschreiben. Man muss nur, ich wiederhole mich gern, darüber reden können. Dinge zu verschweigen, macht Vieles schlimmer. Ein Abstecher: Warum versteht denn heute keiner mehr die Politik? Weil sie schlechte Dinge tut? Nicht unbedingt. Die Politiker haben irgendwann vergessen, mit uns Menschen zu reden. Sie schweigen lieber und handeln. Und wenn es eine schweigende Mehrheit dafür gibt, deuten sie das als Zustimmung. Dieses Thema steckt aber nicht in „Captain Fantastic“.
Ross: Damit würde man dem Film auch zu viel zumuten.
Mortensen: Kann sein. Aber „Captain Fantastic“ regt dazu an, dass man beginnt, über sich selbst, über seine Familie, über seine Art, zu leben und – warum nicht – auch über Politik nachzudenken. Ich nenne so etwas intelligente Kino-Unterhaltung. Davon gibt es derzeit meiner Ansicht nach viel zu wenig.  



Kritik
Captain Fantastic - Einmal Wildnis und zurück
Viggo Mortensen beeindruckt im Familiendrama „Captain Fantastic“ als Aussteiger, der sich mit seinen sechs Kindern eine eigene Welt jenseits der Zivilisation geschaffen hat. Das Idyll bekommt Risse, als die Familie durch einen Trauerfall gezwungen wird, ihr Refugium zu verlassen.  Mehr...