Joe Wright
über „Pan“, die Kindheit und „Smells Like Teen Spirit“
„Wer möchte denn nochmal Kind sein? Ich nicht!“
09.10.2015
Interview:
Peter Beddies
Kinder sind grausam, findet Joe Wright. Der britische Filmemacher, der mit Hits wie „Stolz und Vorurteil“ oder „Abbitte“ berühmt wurde, hat jetzt eine berühmte Kindergeschichte ins Kino gebracht. Seine Version der Peter-Pan-Saga heißt schlicht „Pan“ und ist vor allem optisch ein Film zum Staunen. Beim FilmClicks-Interview in London sprach Wright über seine Begeisterung für Peter Pan, seine eigene Kindheit und darüber, wie es dazu kam, dass ein Piraten-Chor im Film den Grunge-Hit „Smells Like Teen Spirit“ singt.
FilmClicks: Es gibt eine Menge Peter-Pan-Verfilmungen: Welchen der bisherigen Filme finden Sie am besten?
Joe Wright: Ehrlich gesagt, war ich mit keinem der Filme bisher wirklich zufrieden. Ich bin ein sehr großer Fan der literarischen Vorlage von J. M. Barrie. Und an die ist meiner Ansicht nach noch kein Film herangekommen. Also versuche ich jetzt mein Glück.
Warum waren Sie bisher unzufrieden?
Damit Sie mich richtig verstehen, das sind fast alles tolle Filme. „Hook“ von Steven Spielberg zum Beispiel – Respekt, Mr. Spielberg, toll gemacht. Wenn ich nur einen Teil seiner Karriere hätte, wäre ich sehr zufrieden. Aber ich glaube, dass das Buch von J. M. Barrie eine gewisse Dunkelheit besitzt, eine Ehrlichkeit ausstrahlt und auch sehr eigenartige Stimmungen aufkommen lässt, die ich bisher in den Verfilmungen nicht gesehen habe.
Wie sah denn Ihre Version in Ihrem Kopf aus, als Sie mit dem Projekt „Pan“ anfingen?
Ich wollte schon einen riesengroßen Actionfilm auf die Leinwand zaubern. Fliegende Schiffe, riesige Krokodile, wilde Kämpfe. All das, was das Publikum so liebt, wenn es ins Kino geht. Aber darüber hinaus wollte ich auch eine emotionale Tiefe erreichen. Ich wollte die Geschichte einer Kindheit erzählen.
Während andere Filmemacher immer von der Weigerung Peter Pans erzählt haben, erwachsen zu werden.
Exakt! Das fühlt sich für mich immer sehr eigenartig an. Man verklärt da, glaube ich, sehr vieles. Wer bitte möchte denn nochmal Kind sein? Ich nicht! Barrie beschreibt in seinem Buch Kinder als grausam und herzlos. Das mag ein extremer Standpunkt für ein Kinderbuch sein. Aber genau so waren und sind Kinder. Barrie war da sehr ehrlich und das wurde in den bisherigen Filmen immer abgeschwächt. Auch, dass Feen neidische und missgünstige Wesen sein können, musste mal auf der Leinwand erzählt werden.
Kinder sind also grausam und gemein?
Das sind sie. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Als Kind war ich Legastheniker. Denken Sie, die anderen Kinder wären zu mir gekommen, um mich zu trösten und mir Hilfe anzubieten? Von wegen! Sie haben mich verspottet und das hat verdammt weh getan. Es hat mich später viel Kraft gekostet, diese Krise zu überwinden. Wobei mir Film und Kino übrigens sehr geholfen haben. Erst mit 16 konnte ich zum ersten Mal komplett ein Buch ohne Hilfe lesen. Filme gucken ging zum Glück schon viel früher.
Ihr „Pan“-Film explodiert vor lauter wilden Ideen. Haben Sie nicht ein bisschen Angst, dass Sie gerade kleinere Zuschauer überfordern?
Wie bitte?! Als Beleg kann ich nur meinen Sohn heranziehen, der viereinhalb ist. Dessen Vorstellungskraft übersteigt alles, was ich jemals in meinen Filmen zeigen könnte. Nein, wir sollten Kinder nicht unterfordern. Sie finden sich in diesen Bilderwelten schon sehr gut zurecht.
Wenn die Kinder um Peter Pan zum ersten Mal in Neverland ankommen, wird Nirvanas „Smells like Teen Spirit“ angestimmt, aus Hunderten Kehlen. Warum dieser Song und wie teuer war es, die Rechte zu bekommen?
Das ist nicht gerade billig gewesen, das kann ich Ihnen sagen. Und wie der Song im Film gelandet ist, kann ich schnell erklären. Bei den Proben mit den Piraten hatten wir alle möglichen Arten von Musik ausprobiert. Was würden Piraten gern singen? Seemannslieder aus Cornwall? Ausprobiert und verworfen. Die mögen zu ihrer Zeit Sinn gemacht haben, aber heute nicht mehr. Irgendwie zu süßlich. Was würde meinen Piraten eher entsprechen? Ich dachte an Punk, wegen der Energie. Aber dann fingen einige Schauspieler nur so aus Spaß an, den Nirvana-Hit zu singen. Und das schien perfekt zu passen.
Sie hatten vorhin erwähnt, dass es Ihnen in „Pan“ nicht um den Aspekt der Weigerung Peters geht, älter zu werden.
Diese Weigerung verkörpert im Film nur eine Figur: Blackbeard. Der will so bleiben, wie er ist. Leider ist er auch rach- und herrschsüchtig. Und er fürchtet nichts so sehr wie den Tod. Was Peter Pan angeht: Der mag diesen Wunsch, nicht älter zu werden, in eventuellen Fortsetzungen unseres Films mal entwickeln. In „Pan“ hat er erstmal genug damit zu tun, dass er seine Ängste überwindet und fliegen lernt. Und nochmal kurz zum Thema Kindheit. Es mag nicht allen so ergangen sein wie mir. Aber es kann sich bestimmt noch jeder daran erinnern, wie schlimm es gewesen ist, als Kind keine Macht gehabt zu haben. Man war auf Gedeih und Verderb diesen monströsen Erwachsenen ausgeliefert. Und das soll ich erneut anstreben? Niemals!
Möglicherweise werden Peter-Pan-Fans das Kostüm ihres Helden vermissen.
Kann gut sein. Vielleicht findet er in einem Film zu einem späteren Zeitpunkt seine grünen Strumpfhosen. Was ich mal nicht hoffe
(lacht). Bei uns trägt er die ganze Zeit die Sachen, mit denen er aus dem Waisenhaus entführt wurde. Etwas anderes kam uns auch nie in den Sinn. Es gibt ohne Frage sehr schöne Kostüme in „Pan“ – zum Beispiel für Tiger Lily. Aber Peter musste mit seinen alten Klamotten auskommen.