Hans Steinbichler über „Das Tagebuch der Anne Frank“


„Dieser Film ist ein Geschenk“

07.03.2016
Interview:  Gunther Baumann

Hans Steinbichler (re.) mit Cast: Martina Gedeck, Lea van Acken, Stella Kunkat, Ulrich Noethen © Universal

„,Das Tagebuch der Anne Frank‘ ist ein Film, den ich schon immer machen woillte“, sagt Hans Steinbichler. Jetzt hat er ihn gemacht - und er ist großartig geworden. Im FilmClicks-Interview spricht der deutsche Regisseur über den Mythos Anne Frank und er schwärmt von seiner Hauptdarstellerin, dem „Naturwunder“  Lea van Acken. Zeitgeschichtliche Stoffe liegen dem Münchner, der zu den renommiertesten Filmemachern Deutschlands zählt: Mit dem Drama „Landauer – Der Präsident“ über den legendären jüdischen Präsidenten des FC Bayern München  drehte er 2014 einen großen Fernseh-Hit.


FilmClicks: Als man Ihnen anbot, „Das Tagebuch der Anne Frank“ neu zu verfilmen: Haben Sie da spontan zugesagt oder erst einmal über das Projekt nachgedacht?
Hans Steinbichler: Wenn einem jemand das Thema „Anne Frank“ offeriert… Bei mir war es so, dass ich sofort zusagte. Und zwar, ohne nachzudenken.  Ich hätte niemals gedacht, dass es hier in Europa die Möglichkeit gibt, diese Geschichte zu verfilmen. „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist ein Film, den ich schon immer machen wollte. Und deshalb war es wie ein Geschenk, als das Angebot auf mich zukam.
 
Das Schicksal von Anne Frank, die im Versteck ihr berühmtes Tagebuch schrieb und mit 15 Jahren von den Nazis ermordet wurde, ist seit den 1950er Jahren immer wieder ein Filmstoff geworden. Wie kam es zu der neuen Produktion?
Der Anne-Frank-Fonds in Basel wollte einen Film haben, der eine gewisse Gültigkeit für das Tagebuch erreicht und der auf Zuschauer zugehen soll, für die das Thema wichtig ist: Für junge Leute. Außerdem sollte in deutscher Sprache gedreht werden. So kam ich ins Spiel.
 
Ist es leicht, diesem weltweit bekannten Thema im Film eine eigene Note zu geben?
Ich muss ein Geständnis machen: Ich habe mir den amerikanischen Anne-Frank-Film aus dem Jahr 1959 ganz bewusst nicht angesehen.  Nicht aus Hochnäsigkeit, sondern aus Respekt.  Ich wollte keine Färbung für meinen Film bekommen. Entscheidend für mich war das sorgfältige Lesen des Tagebuches in der Version, die uns heute zur Verfügung steht. Es gibt ja verschiedene Ausgaben des Buches. Otto Frank, der Vater von Anne, wollte nicht, dass intime und familiäre Dinge an die Öffentlichkeit geraten. Das ist mittlerweile alles veröffentlicht, und es sind gerade diese Themen,  die mich besonders interessiert haben.
 
Ihr Film schildert Anne Frank nicht nur als Opfer und als literarisches Talent, sondern auch als sehr aufgewecktes Mädchen, das gerade seine Sexualität entdeckt.
Das hat mich fasziniert. Es ging mir darum, Anne Frank diesen schweren Mantel von Mythos, Geschichte und Früh-Genius abzustreifen. Und siehe da, unter diesem Mantel war ein springlebendiges Mädchen, das zum Beispiel Sinnlichkeit, Körperlichkeit und die erwachende Sexualität in einer Schärfe beschrieb, angesichts derer man nur staunen kann. Es wird oft gesprochen über den Mut, wie sich Anne Frank über die politischen Verhältnisse äußerte.  Das finde ich großartig. Aber den Mut, sich hinzustellen und das eigene körperliche Selbst so ziseliert zu beschreiben, das fand ich geradezu unglaublich mutig.

„Ein Naturwunder“: Lea van Acken (re.) als Anne (mit Noethen, Kunkat, Gedeck) © Universal

Was meinen Sie: Wäre Anne Frank auch eine Figur der Zeitgeschichte geworden, wenn sie die Nazi-Diktatur und das KZ überlebt hätte?
Ich habe für den Mythos Anne Frank eine Erklärung: Das, was Anne über sich und die Menschen schreibt, ist einem oft persönlich so nahe, dass man kaum glaubt, dass das jemand anders geschrieben hat. Die Empfindungstiefe ist sehr nah bei einem selbst. Dieser Punkt, in Verbindung mit ihrem gewaltsamen Tod, das macht den Mythos aus. Ich habe oft das Gedankenspiel gemacht, wo wäre Anne Frank heute? Frau Frank wäre 86 Jahre alt und würde im Sommer 87 werden. Wenn man ihre Exkurse zur Rolle der Frau liest und ihre Exkurse, wie sie sich in der Welt sieht, dann muss man einfach sagen, dass sie wohl eine Figur wie Marion Gräfin Dönhoff (die berühmte Publizistin und langjährige Herausgeberin der „Zeit“, Anm.) geworden wäre. Sie war so klar. Sie hatte fast etwas Andy-Warhol-Mäßiges darin, wie sie sich sah.
 
Ein Film über Anne Frank steht und fällt natürlich mit der Hauptdarstellerin. Wie haben Sie die großartige Lea van Acken gefunden?
Sie wurde gecastet. Sie war die erste, die zum Casting kam. Lea deklamierte fünf Sätze – und ich wusste sofort, das ist sie. Da war die Suche schon vorbei. Ich wollte niemand anderen haben. Sie war alternativlos, wie Angela Merkel sagen würde. Wie soll ich Lea van Acken beschreiben? Ich habe ein Bild dafür: Es gibt Gletscher, die geben manchmal etwas frei,  das lange vom Eis beschützt war. So etwas ist Lea van Acken. Sie ist durch die 16 Jahre, die sie auf der Welt ist, völlig unbeschadet durchgekommen und hat sich etwas Unverbrüchliches bewahrt. Das ist ein Naturwunder, finde ich.  



Kritik
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„Das Tagebuch der Anne Frank“ ist eine zutiefst berührende Neufassung der Geschichte der Anne Frank, die von den Nazis ermordet und durch ihre Texte posthum weltberühmt wurde.  Mehr...