DIE STORY: Anne Frank: Sie war erst knapp 16, als sie im KZ ermordet wurde. Doch sie hinterließ ein Werk, das bis heute in aller Welt gelesen wird. Das Drama „Das Tagebuch der Anne Frank“ erzählt die Geschichte des bekanntesten jugendlichen Opfers der Nazi-Diktatur fürs Kino neu.
Man begegnet nicht nur der leidenden Anne Frank im Versteck der Familie in Amsterdam. Man lernt auch ein sehr neugieriges und lebenshungriges Mädchen kennen, das seine blitzgescheiten Gedanken in aller Ausführlichkeit zu Papier bringt. Denn ausleben konnte Anne ihre Sehnsüchte ja nicht.
Der Film von Hans Steinbichler schafft es, dem Thema Aspekte abzugewinnen, die auch für viele Kenner neu sein dürften. Das liegt zunächst einmal am Text von Anne Frank selbst. Ihr Vater Otto Frank, der einzige Überlebende der Familie, gab nach dem Krieg nämlich erst einmal eine gereinigte Fassung des Tagebuchs heraus, in dem private Themen wie Annes erwachende Sexualität und ihr Interesse an Jungs fehlten. Inzwischen sind auch diese Teile des Tagebuchs veröffentlicht, und der komplette Text diente als Grundlage für den Film.
DIE STARS: Die 16-jährige Lea van Acken, die Anne Frank verkörpert, bewies schon vor zwei Jahren im bei der Berlinale preisgekrönten Drama „Kreuzweg“, dass sie zu den größten jungen Talenten des deutschen Films zählt.
Anne Vater Otto Frank wird von Ulrich Noethen gespielt, der in seiner Karriere sowohl Juden (in „Comedian Harmonists“) als auch Nazis (Heinrich Himmler in „Der Untergang“) porträtierte. Die große Martina Gedeck („Die Wand“, „Ich bin dann mal weg“) ist als Annes Mutter Edith Frank zu sehen. Gerti Drassl („Vorstadtweiber“), ein Star des Wiener Josefstadt-Theaters, spielt die Holländerin Miep Gies, die der Familie Frank Unterschlupf gewährte.
Der renommierte Regisseur Hans Steinbichler („Hierankl“, Winterreise“) drehte mit dem TV-Drama „Landauer – der Präsident“ (über Kurt Landauer, den jüdischen Präsidenten des FC Bayern München) schon einmal einen eindrucksvollen Film, der vor dem Hintergrund der Nazi-Diktatur spielte.
DIE KRITIK: Amsterdam im Zweiten Weltkrieg. Wie hält man es aus, mehr als zwei Jahre lang auf engstem Raum in einem Versteck zu leben – in ständiger Angst vor der Entdeckung durch die Nazis, und zugleich abhängig von Gastgebern, die einen versorgen und niemals müde werden, einem Schutz zu gewähren?
Diese im Grunde unvorstellbare Situation ist ein Grundthema des Tagebuchs der Anne Frank. Und natürlich auch der neuen Verfilmung, die durch eine betont sachliche, fast schon coole Erzählweise besonders tiefe emotionale Wirkung erzeugt.
Regisseur Hans Steinbichler und Autor Fred Breinersdorfer haben den Film aber nicht als puren Leidensweg gestaltet, sondern als eine Chronik von Bedrohung und Verengung, in der erstaunlich viel Lebenslust und (letztlich vergeblicher) Optimismus Platz haben.
Der Film beginnt geradezu heiter in Sils Maria: In Deutschland sind schon die Nazis an der Macht, doch die Familie Frank kann noch in der Schweiz Urlaub machen. Das Angebot, gleich ganz im Lande zu bleiben, schlagen die Franks aus: In ihrer neuen Heimat Amsterdam fühlen sie sich sicher.
Ein Irrtum, wie sich rasch herausstellt. Bald müssen sie auch im besetzten Holland den Judenstern tragen, und sie merken, wie ihr Bewegungsradius immer kleiner und kleiner wird. Bis ihnen 1942 nichts anderes übrig bleibt, als in das längst vorbereitete Versteck in der Amsterdamer Prinsengracht 263 zu ziehen – und zu hoffen, dass Krieg und Diktatur bald enden.
Die klaustrophobische Enge der Wohnung in einer feindlichen Umgebung ist auf der Leinwand spürbar. Genauso wie das Bemühen der Bewohner, in dieser Atmosphäre nicht die Nerven wegzuwerfen. Anne, die zu ihrem 13. Geburtstag ein Tagebuch geschenkt bekam, zieht sich schreibend in die Welt der Worte zurück. Es ist eine Reise, für die sie nicht den Schreibtisch verlassen muss.
Lea van Acken spielt das Lodern der Gefühle dieses jungen Mädchens großartig aus. Ihre Anne ist sensibel und wach und keck und angstvoll und mutig zugleich. Auch Ulrich Noethen und Martina Gedeck als Ehepaar Frank sowie die anderen Darsteller finden stets den richtigen Ton zwischen Hoffnung und Depression.
Als die Franks im Juni 1944 erfahren, dass die Alliierten in der Normandie gelandet sind, keimt Hoffnung auf. Doch wenige Wochen später endet das Tagebuch. Am 4. August 1944 werden die Franks und ihre Mitbewohner entdeckt und verhaftet. Wenig später werden sie in einen Zug getrieben. Destination: Auschwitz. Regisseur Hans Steinbichler gelingt es mit einem einfachen Bild, die Demütigung und Vernichtung der Deportierten geradezu donnernd herauszuarbeiten.
Anne Frank wurde vom KZ Auschwitz noch ins KZ Bergen-Belsen gebracht. Dort wurde sie ermordet. Wahrscheinlich Anfang März 1945. Genau weiß man das nicht.
IDEAL FÜR: Alle Leser der Tagebücher und für alle, die an der Zeitgeschichte interessiert sind. „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist einer der besten Filme über die Bestialität der Nazi-Diktatur, die in den letzten Jahren gedreht wurden.