Peter Simonischek über seinen Cannes-Erfolg mit „Toni Erdmann“


„Eine wunderbare Kino-Verführung“

14.07.2016
Interview:  Peter Beddies

Auf dem roten Teppich in Cannes: Peter Simonischek vor der „Toni Erdmann“-Premiere © Katharina Sartena

Weltberühmt in Österreich ist er schon lange: Peter Simonischek, der Wiener Burgtheater-Grande und langjährige Salzburger Jedermann. In Deutschland schätzt man ihn für seine TV-Filme und für seine Zeit an der Berliner Schaubühne. Und jetzt, mit 69, wird der gebürtige Grazer auch noch zum Filmstar. Seitdem er in Cannes als Titeldarsteller in Maren Ades sensationeller Vater-Tochter-Tragikomödie „Toni Erdmann“ Premiere hatte, ist der Name Simonischek auch von London bis Los Angeles ein Begriff. FilmClicks hat den Schauspieler in Cannes zum Interview getroffen.


FilmClicks: Das größte Filmfestival der Welt feiert Ihren Film „Toni Erdmann“ und sicher auch Sie, oder?
Peter Simonischek: Oh ja, die Menschen sprechen einen an und danken einem für den Film und für die Rolle und erzählen, wann sie gelacht und wann geweint haben. Einfach wunderbar. Aber auch ein bisschen viel auf einmal. Mir wäre es lieber, man könnte es dosieren und über das Jahr verteilen. Ich könnt`s gelegentlich mal brauchen (lacht).
 
War Ihnen vor zwei Jahren, als Sie „Toni Erdmann“ drehten, schon klar, was das für ein herausragender Film werden würde?
So ungefähr eine Idee hatte ich schon. ich hatte ja das Drehbuch gelesen. Aber was herauskommen würde, das war mir nicht klar. Ich bin auch der Meinung, dass es ein Meisterwerk geworden ist. Das ist so genau beobachtet, so unaufdringlich. Liefert keine Meinungen, lässt so vieles in der Schwebe. Und ist doch pointiert – großartig!
 
Die Dreharbeiten fanden im Sommer 2014 statt. Wann haben Sie den Film zum ersten Mal nach der langen Zeit gesehen?
Genau eine Woche vor der Cannes-Premiere haben meine Filmtochter Sandra Hüller und ich „Toni Erdmann“ in einem Berliner Kino gesehen. Ich hatte keine Lust, mir den Film auf einem Laptop anzuschauen. Da wird man ihm auch nicht gerecht. Also haben wir da im Kino gesessen, haben gelacht und gestaunt, was Maren Ade da für eine Kino-Verführung auf die Leinwand gezaubert hat. Denn das ist der Film für mich, eine Kino-Verführung.
 
Für jemanden, der so lang im Geschäft ist wie Sie, ein irre tolles Kompliment.
Ich glaube sogar, das ist der erste Film überhaupt, hinter dem ich zu 100 Prozent stehe.

„Eine begnadete Begabung“: Peter Simonischek mit Sandra Hüller © Komplizen Film

„Toni Erdmann“ hätte auch Slapstick werden können. Wenn man nur auf dem Papier liest, worum es geht.
Stimmt. Ein Kerl setzt sich eine Brille auf und schiebt sich ein falsches Gebiss rein. Das klingt nach dem großen Gähnen. Aber Maren Ade lässt die Komik aus der Not dieses Mannes entstehen, sich seiner geliebten Tochter wieder zu nähern. Das berührt auf der einen Seite und unterhält ungemein. Und nicht zu vergessen, allein hätte ich das nicht hingekriegt. Dazu brauchte ich eine so extrem talentierte Schauspielerin wie Sandra Hüller.
 
Was hatten Sie von der Zusammenarbeit mit Sandra erwartet?
Ich hatte sie schon ein paar Mal im Theater gesehen. Was die Kinofilme angeht, na ja. Aber ich muss auch sagen, dass ich „Requiem“ nicht gesehen habe. Im Theater kann ich nur sagen, dass sie eine begnadete Begabung ist. Bei Orchestern hat man das manchmal, dass Musiker, die schon seit 40 Jahren ihr Cello streichen, einem sehr jungen Kollegen applaudieren, weil er etwas ganz Besonderes ist. Ein musikalisches Sonntagskind, von der Muse geküsst. So ist es mit Sandra Hüller. Ein geküsstes Sonntagskind. Sie kann den Mund aufmachen und ist sofort in ihrer Mitte. Man hat immer den Eindruck, sie meint, was sie sagt. Und der Weg von ihrem Kopf zum Zwerchfell ist bei ihr so kurz wie bei keiner anderen Schauspielerin, die ich kenne und mit der ich gespielt habe.
 
Regisseurin Maren Ade hat eine sehr ungewöhnliche Art der Vorbereitung für Sie beide gefunden. Sie mussten Aufgaben lösen.
Ja, wir haben Zettel bekommen, auf denen Aufgaben standen, die der andere nicht wissen durfte. So sollten wir beispielsweise mit Perücken und falschen Zähnen mitten in Berlin in einen der großen Einkaufstempel in die Parfümerie-Abteilung gehen und dort nach einem Duft fragen. Maren hatte das alles mit einer teuflischen Lust vorbereitet und uns auch dabei zugeschaut. Sie hat sich zwischen den Regalen versteckt. Aber wir haben sie trotzdem entdeckt.

„Eine unglaublich kluge Regisseurin“: Peter Simonischek mit Maren Ade © Katharina Sartena

Warum hat Maren Ade Ihnen diese Aufgaben gestellt?
Weil sie unglaublich klug ist. Für uns Schauspieler ist es doch das Normalste der Welt, das wir in andere Rollen schlüpfen. Viele von uns legen ja jede Hemmung ab und glauben, dass sie erst dadurch gute Schauspieler sind. Aber das ist ein böses Missverständnis. Bei diesem Film ging es aber noch um etwas anderes. Wir sollten uns – und für die Figur des Toni Erdmann gilt das besonders – grundsätzlich verwandeln. Wir sollten Not und Peinlichkeit spüren. Das bekommt man nur, wenn man den Schauspieler für eine Weile wegschickt und den Menschen agieren lässt. Den Mut zur bedingungslosen Verwandlung hatte übrigens auch unsere Regisseurin.
 
Wie meinen Sie das?
Als Sandra Hüller und ich in Bukarest landeten, hat uns Maren mit einer Stretch-Limousine abgeholt. Sie selbst saß im Auto und hatte sich als GoGo-Girl verkleidet, dazu noch eine Katzenbrille aufgesetzt. Und natürlich das Gebiss im Mund. Sie war so aufgeregt, hatte richtig schweißnasse Hände. Als ich sie so da sitzen sah, da wusste ich, was auf uns in diesem Film zukommt. Da wurde mir klar, welche schöne Aufgabe es sein würde, aus dem Winfried den Toni Erdmann herauszuschälen.  
 
Als Ihre Figur, der Vater und Musiklehrer Winfried, im Film zum ersten Mal zu Toni Erdmann wird, mit schlechter Frisur und einem schrecklichen falschen Gebiss, hatte ich sofort die Assoziation: Toni ist ein Typ wie Horst Schlämmer von Hape Kerkeling. Kennen Sie den?   
Das ist interessant, dass Sie das ansprechen. Als wir drehten, war nie die Rede davon. Aber meine drei Söhne sind ja viel im Netz unterwegs, und die haben mich mit YouTube-Clips von Horst Schlämmer versorgt. Wenn ich dem zusehe, ich kann mich abhauen. Ich finde den so komisch, den Kerl. Zum Beispiel „Die Wildschweinplage im Schrebergarten“ – sensationell! Das hatte jetzt keinen Einfluss auf die Gestaltung meiner Rolle. Aber es ist ein gutes Beispiel dafür, wie weit man als Schauspieler gehen kann. Es geht darum, genügend Realität in den Wahnsinn zu legen. Das ist das schönste, was dieses Medium kann. Leute mit auf eine Reise nehmen. Das gefällt mir an „Toni Erdmann“ so gut.
 
Wer Ihren Namen googelt, der stößt dieser Tage natürlich auf massenhaft Informationen zu „Toni Erdmann“. Aber man stolpert auch recht schnell über eine Geschichte aus der „Bild am Sonntag“, in der Sie zitiert werden, Ihre Sexsucht überwunden zu haben. Bereut man im Nachhinein, so etwas öffentlich gemacht zu haben?
Nein. Wissen Sie, was ich bereue? Dass ich diesem Menschen ein Interview gegeben habe. Das Wort Sexsucht ist im ganzen Interview nicht einmal gefallen. Es ging eigentlich um den TV-Film „Der Kaktus“, in dem ich jemanden spiele, der versucht, sich in trauernde Familien einzuschleichen. Und unter Umständen auch die Witwen zu verführen. Da fragt der mich, ob es in meinem Leben Entsprechungen gäbe. Darauf habe ich geantwortet, dass wir alle mal jung waren und geschaut haben, wo wir landen können. Und dann habe ich noch gesagt, dass man da manchmal vielleicht nicht so zimperlich war. Und da waren sicherlich auch einige unglückliche Damen dabei. Und auf die Frage, wie es heute ausschaut, habe ich gesagt, dass ich glücklich verheiratet bin und drei Kinder habe und dass die Leidenschaft vielleicht auch ein wenig nachlässt. Das war alles zu diesem Thema. Und daraus hat dieser Mensch dann die Schlagzeile gemacht, dass ich von meiner Sexsucht geheilt bin.
 
Welche Reaktionen gab es darauf?
Alle möglichen. Meine Exfrau war entsetzt. Meine Frau hat gemeint, dass man das mit einem Lachen hinnehmen sollte. Ein Freund meinte aus Spaß, ich solle mich beschweren, denn es wäre noch lange nichts geheilt bei mir. Ich habe aus der Sache auf jeden Fall gelernt, dass man vorsichtig sein muss. Nur für meinen Sohn Max tut es mir leid. Der beginnt jetzt seine Karriere als Schauspieler. Wenn man den Namen Simonischek googelt und die „Bild am Sonntag“-Meldung als erste kommt, dann ist das fatal.
 
Sie sind sehr erfolgreich in Deutschland und in Österreich. Nimmt man Sie in beiden Ländern unterschiedlich wahr?
Ja, das Gefühl habe ich manchmal. Vielleicht gibt es da gewisse Wehleidigkeiten. Das kennt ja jeder, dieses Gefühl: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Was mir in Österreich viel stärker als in Deutschland auffällt, dort werde ich stärker von Menschen körperlich berührt, wenn sie mich sehen. Und das finde ich nicht gut.
 
Wieso nicht?
Nun ja, ich habe ja lange Zeit in Salzburg „Jedermann“ gespielt und es gibt nun mal dieses Fan-Gewese. Was ist das eigentlich? Es ist ja nichts anderes als der Versuch, etwas, das man bewundert, zu sich heranzuziehen. Dass man ein Teil davon wird. Oder dass man irgendwie dazu gehört. Ich glaube, das Fan-Gewese sollte man wirklich mal untersuchen. Mir kommt das manchmal so vor wie eine Verbrüderung mit dem Aggressor. Man will diese demütige Bewunderung auch irgendwie loswerden manchmal. Da kommen Leute auf mich zu und wollen einfach mal anfassen, mal rütteln. Was man aber auch wissen muss, mit dem Anfassen wird auch ein bisschen Achtung herunter gerüttelt. Ich bin ein freundlicher Mensch und lasse es geschehen. Das heißt aber nicht, dass ich es gut finde.
 



Kritik
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