„Diese Viennale ist zur Gänze von Hans Hurch geprägt“
13.10.2017
Interview:
Gunther Baumann
Er übernahm eine der schwierigsten Aufgaben bei der Viennale 2017: Franz Schwartz, der langjährige Chef des Wiener Stadtkinos, sprang nach dem Herztod von Viennale-Direktor Hans Hurch kurzfristig als interimistischer Leiter des Wiener Filmfestivals ein. Im FilmClicks-Gespräch erzählt Schwartz, warum es ihm (vom tragischen Anlass abgesehen) viel Freude macht, für die Viennale zu arbeiten. Er berichtet über Hans Hurchs Lieblingsfilm, über den Besuch von Stargast Christoph Waltz und über die Findung der künftigen Viennale-Leitung: „Spätestens Ende Jänner 2018 sollte die Entscheidung feststehen.“
FilmClicks: Die Viennale geht dieses Jahr nach dem Tod des Direktors Hans Hurch durch eine außergewöhnliche Phase. Wie fühlt sich die Aufgabe als interimistischer Leiter für Sie an?
Franz Schwartz: Nach meinem Antritt habe ich gesagt, ich sei jetzt 67 Jahre alt und werde mich nach dem Festival wie mit 77 fühlen. Das kann ich jetzt nicht mehr bestätigen. Ich fühle mich sogar jünger. Sieht man vom tragischen Anlass für meine Tätigkeit ab, so ist es ein Vergnügen, für die Viennale zu arbeiten. Alles funktioniert viel lockerer, als ich das erwartet habe. Denn ich bin hier zu einem Team gekommen, das alles ermöglicht, was nötig ist. Alle Beteiligten arbeiten leidenschaftlich am Programm dieser Viennale.
Inwieweit ist die Viennale 2017 noch von Hans Hurch geprägt, der am 23. Juli verstarb?
Meiner Meinung nach zur Gänze, weil alle Miterbeiter und Mitarbeiterinnen wissen, was Hans Hurch wollte. Er hat über zwei Drittel des Programms und über alle Specials entschieden. Ich hatte danach nur Filme zu sichten, die er noch bestellt, aber nicht mehr gesehen hat. Dazu kamen die Sichtungsmöglichkeiten der Filme des Festivals von Locarno und mein Besuch beim Festival von Venedig. Also musste ich nur noch das letzte Drittel des Programms zusammenstellen, und das hat sich wunderbar eingefügt.
Ein wichtiges Special der Viennale ist aber ganz ohne die aktive Teilnahme von Hans Hurch entstanden: „14 Freunde, 14 Filme“, die Hommage an den Verstorbenen. Was ist zu diesem Programm zu sagen?
Dieses Special entstand in zwei Stufen. Zunächst mussten wir die 14 Freunde von Hans bestimmen, die dann Filme aussuchen sollten. Hier sagten wir: Keine Österreicher – da gibt es zu viele Freunde von ihm und wir würden gewiss Freunde beleidigen, wenn wir sie aus Quantitätsgründen nicht hineinnehmen. In einem Brainstorming mit dem Viennale-Team haben wir uns dann auf 14 internationale Personen geeinigt, von denen jede zwei Filme vorschlagen konnte. Aus den 28 Filmen dann 14 zu machen, war einfach, das ging quasi in Sekunden. Diese Filme haben wir alle im Stadtkino angesetzt, täglich um 18 Uhr, 14 Tage lang. Als letzten Film zeigen wir hier am 2. November „Au Hasard Balthazar“ von Robert Bresson, der von Tilda Swinton ausgesucht wurde. Dieses Finale hat einen Grund: „Balthazar“ ist Hans Hurchs erklärter Lieblingsfilm.
Noch eine letzte Frage zu Hans Hurch: Ein prägender Bestandteil der Viennale waren stets seine sehr politischen Eröffnungsreden, die dann häufig tags darauf Schlagzeilen machten. Werden Sie diese Tradition fortsetzen?
Nein. Für die Reden kann es keinen Ersatz geben. Die Lücke bleibt. Ich werde versuchen, etwas zu sagen, das wird jedoch nichts mit den Reden von Hans Hurch zu tun haben. Die zukünftige neue Direktion kann diese Tradition ab 2018 vielleicht wiederentdecken oder Gastredner engagieren. Aber es kann und darf dieses Jahr keine Nachfolge von Hans Hurch in der Rede geben. Das ist für mich unvorstellbar.
Wechseln wir das Thema. Sie kennen die Viennale seit vielen Jahren sowohl von innen als auch von außen. Wodurch unterscheidet sich das Wiener Filmfest von anderen, ähnlich großen Festivals?
Es gibt mindestens 1.700 Filmfestivals auf der Welt, wenn nicht mehr. Das erste Alleinstellungsmerkmal der Viennale ist dieses eindeutige Entscheiden, welche Filme gezeigt werden, durch eine Person; in den letzten 20 Jahren also durch Hans Hurch. Jeder Gast, der zur Viennale kommt, weiß, dass der Direktor seinen Film ausgewählt hat, und damit wird der Direktor quasi zum Verbündeten. Dann, ganz wichtig: Die Viennale findet in Wien statt, und das ist sehr attraktiv für viele Leute aus der Filmszene. Die Gästebetreuung der Viennale ist toll, die Gäste fühlen sich wohl, und so entsteht immer wieder eine gewisse Konstanz in der Beziehung zwischen Filmkünstlern und der Viennale. Da werden Regisseure dann immer wieder eingeladen – außer, wenn einmal ein Film nicht passt. All das spricht sich in der Filmszene herum, und ich nehme an, dass die Viennale dadurch ihre besondere Position im internationalen Festivalbetrieb erworben hat.
Die Viennale zeigt in diesem Jahr rund 200 Filme. Gibt es thematisch einen roten Faden im Programm?
Nein – und den hat es auch noch nie gegeben. Manchmal entsteht so etwas rein zufällig. Wir haben dieses Jahr zum Beispiel einige Filme, die mit Sportlern zu tun haben, und wir haben drei Filme, die vor Gericht enden. Aber so etwas war und ist nie als roter Faden gedacht.
Könnten Sie drei Ihrer Lieblingsfilme aus dem aktuellen Viennale-Programm nennen?
Also, da wäre definitiv einmal der Thriller „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von Martin McDonagh, in dem die Hauptfigur mit Frances McDormand gegen die Rolle besetzt ist. Dann die österreichische Produktion „Abschied von den Eltern“ von Astrid Johanna Ofner, basierend auf der autobiografischen Erzählung von Peter Weiss. Ein Film wie aus einem Guss, der Peter Weiss sehr nahe kommt. Als drittes nenne ich das stille Drama „Hannah“ von Andrea Pallaoro mit Charlotte Rampling, die den ganzen Film trägt. Das ist ein kleiner, einfacher Film, der vom Zuschauer nur eines verlangt: Dass man sich hineinfallen lässt.
Und hätten Sie auch drei persönliche Viennale-Geheimtipps parat?
Nehmen wir als erstes „Der Geist des Bienenstocks“ von Victor Erice. Diesen Film hat Patti Smith für die Hommage an Hans Hurch vorgeschlagen, und er gilt als einer der besten Filme aus Spanien. Es geht um zwei Mädchen, die nach der Vorführung eines „Frankenstein“-Films eine große Veränderung durchleben – einen Ausblick auf ein anderes, ein politisches Monster. Auf den Diktator Franco. Mein zweiter Geheimtipp: „Gwendolyn“ von Ruth Kaaserer. Diese Geschichte einer Anthropologin aus Österreich führt einen zunächst ein bisschen in die Irre, um sich dann sehr spannend zum Porträt einer hochinteressanten Frau zu entwickeln. Ein ausgezeichneter Film. Als drittes fällt mir die japanisch-französische Produktion „The Night I Swam“ von Igarashi Kohei und Damien Manivel ein. Der Film wird getragen von einem sechs- oder siebenjährigen Buben, der statt zur Schule durch eine japanischen Schneelandschaft geht. Ein Film, in dem nichts passiert – und in dem man trotzdem viel Wunderbares sieht.
Als Viennale-Gast ist dieses Jahr Christoph Waltz angekündigt. Kann man sagen, dass Waltz als Oscar-Preisträger aus Wien der ideale Stargast schlechthin für das Festival ist?
So muss man das sehen – sonst hätte Hans Hurch nicht jahrelang um den Besuch von Christoph Waltz gekämpft. Waltz schließt an die wunderbaren Gäste der letzten Jahre an, von Harry Belafonte bis Jane Fonda, mit dem besonderen Aspekt, dass er eben ein Österreicher ist. Wir haben alle Filme, die wir aus Anlass seines Besuchs zeigen, mit Waltz abgestimmt, und er hat die deutsche Produktion „Du bist nicht allein“, in der er den Schlagerstar Roy Black spielt, hineingebracht. Den Film hatten wir erst gar nicht auf der Liste, und er war als TV-Produktion auch nicht so leicht aufzutreiben. Obendrein haben wir Waltz gebeten, uns behilflich zu sein, damit wir seinen neuen Film „Downsizing“ zeigen können, der in Venedig Premiere hatte. Das hat er getan.
Die Viennale ist, mit Besucherzahlen knapp unter der Hunderttausender-Marke, eines der starken Publikums-Filmfestivals in Europa. Haben Sie ein Ziel, was die Zuschauerzahlen angeht?
Sagen wir es so: Ich möchte die Einnahmen aus dem Kartenverkauf, die wir budgetiert haben, erreichen. Ich weiß nicht, ob wir dazu 92.000 oder 98.000 Besucher brauchen, aber es wäre wesentlich, dass wir das Budget einhalten können. Das Schielen auf die Besucherzahlen birgt immer auch ein Problem: es gibt ja quasi eine natürliche Grenze. Daher sollte man weder einen marginalen Anstieg noch ein Sinken überbewerten.
Wie geht es der Viennale denn finanziell?
Wir haben ein Budget von etwa 2,7 Millionen Euro und ich habe das Gefühl, dass wir echt im Plan sind. Wir geben natürlich Acht darauf, was wir bei den Gästen ausgeben können oder bei der Kopienbeschaffung. Und der Umstand, dass wir das Festivalzentrum nun in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier einrichten können, war auch hilfreich. Was das Budget betrifft, haben wir uns eine schwarze Null vorgenommen.
Das nächste große Viennale-Thema nach dem diesjährigen Festival ist die Bestellung der neuen Direktion. Wie wird da der Ablauf sein?
Am 4. November wird die Ausschreibung für die Leitung der Viennale national und international veröffentlicht. Am 5. Dezember endet die Bewerbungsfrist. Noch im Dezember sollten die Bewerbungen vorsortiert werden, sodass man im Jänner 2018 die Hearings machen kann. Spätestens Ende Jänner sollte die Entscheidung dann feststehen.
Bei Ausschreibungen von wichtigen Positionen im Kulturbetrieb kommt es bisweilen vor, dass der Sieger intern bereits feststeht, bevor die Ausschreibung veröffentlicht wird…
Ich kann garantieren, dass es keinerlei Entscheidung oder auch nur Vorentscheidung dazu gibt, obwohl man uns das aufgrund der späten Ausschreibung durchaus schon unterstellt hat. Die Auswahlkommission macht sicherlich keine Ausschreibung, für die wir 80 bis 100 Bewerbungen erwarten, nur zum Schein. Der ursprüngliche Plan sah vor, die Leitung im März 2018 für die Viennale 2019 auszuschreiben. Durch den Tod von Hans Hurch am 23. Juli 2017 ist alles anders gekommen. Rein technisch hätte man im September ausschreiben können, aber ich sagte, es käme mir komisch vor, wenn wir das so knapp vor der Viennale machen. Letztendlich entschieden wir uns dann eben dazu, die Ausschreibung gleich nach dem Ende der Viennale zu veröffentlichen.
Viennale-Präsident Eric Pleskow sagte letztes Jahr, dass er sich als Nachfolger von Hans Hurch eine Frau wünschen würde.
Nun, heute habe ich auch schon gehört, dass sich Eric Pleskow eine nationale Lösung wünscht. Wir schreiben die Position aber national und international aus. Formal wird es wohl so vor sich gehen, dass die Auswahlkommission dem Präsidenten ihre Vorschläge macht, und der Präsident sich dann mit der Auswahlkommission und dem Wiener Kulturstadtrat bespricht.
Würden Sie der künftigen Direktion empfehlen, mit dem heutigen Viennale-Team weiterzuarbeiten?
Unbedingt. Dieses Festival hat ein tolles, eingespieltes Team, das ganz genau weiß, was es wann zu tun hat. Natürlich wird es im Lauf der Zeit zu einer gewissen Fluktuation kommen, aber es ist naheliegend, das Team zu belassen und sich aneinander zu gewöhnen. Ich selbst werde wieder ins Viennale-Kuratorium zurückkehren.
Wird Viennale-Präsident Eric Pleskow dieses Jahr von seinem Wohnsitz in den USA zum Festival nach Wien kommen?
Nein. Eric Pleskow ist ja schon 93 Jahre alt, und die weite Reise wurde ihm von den Ärzten verboten. Er wird uns aber wieder eine Botschaft schicken.