Mark Ruffalo
über seine Rollen und seine Karriere
„Beinahe wäre ich Farmer geworden“
24.02.2016
Interview:
Peter Beddies
Dieser Filmstar ist Hollywoods Stehauf-Männchen Nummer Eins: Mark Ruffalo. Für das grandiose, als Film des Jahres ausgezeichnete Journalisten-Drama „Spotlight“, das jetzt bei uns anläuft, holte er seine zweite Oscar-Nominierung. In der Rolle des bärenstarken Hulk lieben ihn die Blockbuster-Fans. Mit Hits wie „The Kids Are All Right“ ist er auch der richtige Mann für Arthaus-Produktionen. Doch es gab eine Zeit, da sah es für Ruffalo düster aus. Er erkrankte an Krebs. Wenige Jahre später starb sein Bruder. Mark Ruffalo glaubte sich im falschen Beruf. Und wollte aufhören. Zum Glück hat er’s nicht getan. FilmClicks sprach mit Ruffalo nach der „Spotlight“-Weltpremiere beim Filmfest Venedig.
FilmClicks: Mr. Ruffalo, in Ihrem neuen Film „Spotlight“ spielen Sie einen Journalisten, der mit Kollegen einen gigantischen Kindesmissbrauchs-Skandal der katholischen Kirche in Boston aufdeckt.
Mark Ruffalo: Einen Journalisten, den es wirklich gibt, muss man dazu sagen. Es ist an der Zeit, dass sich die katholische Kirche für den Missbrauch so vieler Kinder durch Geistliche entschuldigt. Viele Menschen fanden nicht nur den Skandal sehr schlimm, sondern auch die Tatsache, dass die Kirche keine klaren Worte gefunden und keine Konsequenzen gezogen hat. Also haben die Menschen ihren Glauben verloren. So etwas macht mich rasend. Wenn Würdenträger ihre Macht derart missbrauchen, dann bin ich einfach sprachlos.
Wäre aus Ihnen ein guter Journalist geworden?
Spannende Frage. Ich meine, die Grundlagen sind da. Ich beobachte sehr gern. Spreche gern mit Menschen. Aber was mir wahrscheinlich fehlt, das ist die Disziplin, in einer kurzen Zeit auf den Punkt zu kommen und etwas abzuliefern. Daran würde ich wohl scheitern. Und außerdem wäre ich wohl auch zu leidenschaftlich und würde die Dinge zu sehr an mich heranlassen. Also, die Antwort lautet Nein.
Aus heutiger Sicht klingt es absolut verrückt, dass Sie vor einigen Jahren Ihre Schauspiel-Karriere beenden wollten.
Mag sein, aber so war es nun mal. Ich hatte innerlich mit dem Schauspielen abgeschlossen. Was viele Menschen nicht wissen: Ab einer gewissen Stufe ist man in diesem Beruf nicht mehr allein unterwegs. Man hat Mitarbeiter, die einem helfen, das Leben leichter zu gestalten. Die einem etliche Aufgaben, etliches an Organisation abnehmen. All diesen Menschen habe ich gekündigt und ihnen gesagt, dass sie künftig ohne mich klarkommen müssen.
Was war genau passiert?
Ich habe lange darüber nachgedacht. Heute benutze ich immer folgendes Bild, um meine damalige Situation zu umschreiben. Man sieht Essen in toller bunter Verpackung. Was ich getan habe; ich habe nicht das Essen zu mir genommen, sondern die Verpackung. Und nun war ich komplett voll mit den falschen Dingen. Also habe ich noch ein letztes Angebot angenommen. Auch weil mich die Rolle sehr an meinen gerade gestorbenen Bruder erinnerte. Dem wollte ich ein Denkmal setzen.
Dieser Film war sicher die Familiengeschichte „The Kids Are Alright“.
Genau. In den Film habe ich noch mal alles hineingelegt. Hatte das Gefühl, auf überhaupt nichts Rücksicht nehmen zu müssen. Außerdem war mir dieser Film um eine lesbische Liebe sehr wichtig. Solche Dinge müssen im Kino dieser Tage stattfinden dürfen. Tja, und dann habe ich den Film Freunden gezeigt. Noch bevor er ins Kino kam. Und alle waren hellauf begeistert. Hatten nur eine Frage: „Warum willst Du aufhören? Die ganze Energie, die Du für verloren hältst, steckt doch hier in diesem Film drin!“
Was wäre denn Ihr Plan B gewesen? Schuhmacher in Florenz zu werden, wie es Ihr Kollege Daniel Day-Lewis ein paar Jahre getan hat?
Vielleicht wäre auch das eine Option gewesen. Obwohl, wahrscheinlich eher nicht. Wissen Sie, ich lebe schon längerer Zeit mit meiner Familie auf einer Farm nördlich von New York. Dort wäre ich wahrscheinlich Farmer geworden und hätte sicher viel Spaß gehabt. Aber soll man im Leben nicht das machen, was man am besten kann? Also bin ich – nach einiger Zeit der Überlegung – doch wieder in meinen Schauspiel-Beruf eingestiegen. Und, was wirklich toll ist: Ich ernähre mich, um im vorigen Bild zu bleiben, jetzt vom richtigen Essen. Seit dieser Zeit habe ich wieder wahnsinnig viel Spaß am Spielen.
Wie nehmen Ihre Kinder Ihren Beruf wahr?
Sehr unterschiedlich. Mein Sohn ist 14 und spricht derzeit überhaupt nicht mit mir.
Was das Recht der pubertierenden Jugend ist.
Genau so ist es. Ich denke auch, das geht irgendwann vorbei. Aber meine kleine Tochter, der ich immer sage, dass sie stark wie ein Löwe ist, stellt sich vor mich hin und sagt: „Nein Papa, ich bin ein Baby-Hulk
“. Was die Kids aber alle eigenartig finden, ist, wenn Menschen Selfies mit mir haben wollen. Dann fragen sie immer: „Warum tun die Leute so was? Sich mit Papa fotografieren zu lassen!“.
Sie sind mittlerweile auch dafür bekannt, dass Sie sich für weit mehr engagieren als für gute Rollen. Selbst, wenn Sie das auf Terrorlisten der USA bringen kann.
Das stimmt nicht ganz. Ich war nur in Pennsylvania auf so einer Liste und es ist auch schon ein paar Jahre her. Da habe ich mich gegen das Fracking ausgesprochen und habe geholfen, Filme zu zeigen, die vor den Folgen warnen. Für so was kann man in den USA schon mal auf einer Liste landen.
Hat Sie das eingeschüchtert?
Mich? Im Gegenteil! Ich habe zu vielen Krisen dieser Welt eine Meinung und äußere sie auch, zum Beispiel in meinem Blog. Soll ich schweigen, wenn es darum geht, wie das Klima immer extremer wird? Oder darf ich keine Position im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern vorbringen? Ebenso macht es mir immer Spaß, wenn ich Probleme der kleinen Leute in die Öffentlichkeit bringen kann. Zum Beispiel jemand, der extrem unter den Folgen von Fracking leidet, dem aber keiner zuhört. Wenn ich so jemanden mit Journalisten besuche, bekommt er eine mediale Bühne. Und ich habe das Gefühl – außer, die Menschen im Kino zu unterhalten –, auch noch etwas anderes Gutes getan zu haben.
Wenn Sie über Ihr neues Leben oder Ihr Engagement für verschiedene Bereiche sprechen, klingen Sie sehr ernsthaft. Wie schwer fällt es Ihnen, als Hulk-Darsteller in den „Avengers“-Filmen Teil der Marvel-Comic-Welt zu sein, in der es hauptsächlich um Spaß geht?
Ob mir das schwerfällt? Auf keinen Fall! Sie dürfen zwei Dinge nicht vergessen. All die Comic-Books dieser Erde – oder zumindest die meisten – haben einen ernsten Kern. Sie sind für viele Menschen das, was früher mal moralische Leitliniengeber wie die Bibel waren. Klingt vielleicht eigenartig. Ist aber so. Und dann machen viele Menschen den Fehler und unterschätzen den Wert eines richtig guten Entertainments. Selbst in den schlimmsten Krisenzentren dieser Welt mag man es, mal abschalten oder auch lachen zu können. Das kann wie ein Heilmittel sein oder Medizin. Und die „Avengers“ sind ein globales Phänomen, das überall auf der Welt geschätzt wird. Es gibt dieses Nietzsche-Zitat: „Wenn Du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein“. Ein bisschen Spaß hin und wieder muss sein. Und deshalb mache ich da wirklich sehr gern mit.