Viggo Mortensen über seinen Film „Den Menschen so fern“


Vom „Herrn der Ringe“ zum Wüsten-Western

30.08.2015
Interview:  Gunther Baumann

Viggo Mortensen: Seine Eishockey-Leidenschaft brachte ihn zum Projekt „Den Menschen so fern“ © Filmladen

Polyglotter als Viggo Mortensen („Der Herr der Ringe“) kann ein Hollywood-Star nicht sein. Der Amerikaner aus New York mit dänischen Wurzeln lebt heute in Madrid. In seinem aktuellen Film „Den Menschen so fern“ spielt er (auf Französisch und Arabisch) einen Franzosen, den es nach Algerien verschlagen hat. Im Interview mit Gunther Baumann spricht Mortensen über den besonderen Reiz dieses Wüsten-Westerns. Er erzählt über seine Arbeit mit den  Regie-Giganten Peter Jackson und David Cronenberg sowie über seine Zeit in Wien, wo er (für Cronenbergs „Eine dunkle Begierde“) Sigmund Freud verkörperte.


FilmClicks: Viggo Mortensen, wie sind Sie denn zu dem französischen Filmprojekt „Den Menschen so fern“ gekommen? Klingt reichlich exotisch: Sie spielen in dem Wüsten-Western einen französischen Lehrer, der in Algerien lebt.
Viggo Mortensen: Als der Regisseur David Oelhoffen das Drehbuch schrieb, sagte er wohl zu seinem Produzenten, dass er sich für die Rolle einen Schauspieler wie mich vorstellt. Der Produzent sah dann zufällig ein Video von mir auf YouTube, in dem ich Französisch spreche – es ging um das 100-Jahre-Jubiläum des Eishockey-Teams der Montreal Canadians. Ich bin ein großer Fan des Clubs. Jedenfalls meinte der Produzent dann zum Regisseur, vielleicht kann Mortensen auch auf Französisch spielen. Also fragten sie mich, und ich sagte, vielleicht bringe ich das zusammen. Sie schickten mir das Skript, das mir ausnehmend gut gefiel. So wurde  „Den Menschen so fern“ der erste Film, den ich auf Französisch drehte. Außerdem musste ich nebenbei noch etwas Arabisch lernen.
 
Wie funktionierte denn das?
Ganz einfach: Viel Arbeit.
 
„Den Menschen so fern“ ist die Verfilmung einer Geschichte von Albert Camus, in der es um die Freundschaft zwischen einem Franzosen und einem Algerier während des Algerien-Kriegs in den 1950er-Jahren geht. Kannten Sie die Story?
Ja, ich habe diese Geschichten-Sammlung vor Jahren einmal gelesen, hatte allerdings die Story, die für den Film verwendet wird, vergessen. Von Camus sind mir mehr die Romane in Erinnerung, „Der Fremde“ etwa oder „Die Pest“. Und Theaterstücke wie „Caligula“. Ich finde, „Den Menschen so fern“ ist ein subversiver Film geworden. Weil er von einer Freundschaft handelt und nicht von Ideologie. Es ist eine Story über zwei relativ gewöhnliche Männer. Die beiden, ein christlich geprägter Franzose und ein arabischer Muslim, finden sich plötzlich in einer sehr außergewöhnlichen Situation wieder. Wenn man sich in so einer Lage bemüht, die Position des anderen zu verstehen, dann versteht man auch sich selbst ein bisschen besser.
 
Sehen Sie da Parallelen zum aktuellen Verhältnis zwischen Europa und dem arabischen Raum?
In der Welt von heute haben wir die Wahl. Beide Seiten könnten getrennt bleiben, kämpfen und ihre Ideologie verfechten, ohne einander zu verstehen. Oder man spricht miteinander. Der Film erzählt uns, dass es eindeutig vorzuziehen ist, miteinander zu reden.  

„Den Menschen so fern“: Reda Kateb und Viggo Mortensen © Filmladen

„Den Menschen so fern“ ist ein Arthaus-Film und hat damit ein limitiertes Publikums-Potenzial. Kommt Ihnen da nicht manchmal der Gedanke, Ihre Zeit besser einem Blockbuster zu widmen?
Nein. Ich suche Filme nicht nach dem Budget aus oder nach dem Produktionsland oder dem Genre. Ich stelle mir bei jedem Projekt die Frage, ob ich den Film gern selbst im Kino sehen würde (lacht). Natürlich hoffe ich immer, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht. Wenn man eine Geschichte gut erzählt und jedes Detail beachtet, dann kann ein Film über eine bestimmte Region oder eine bestimmte Zeit überall auf der Welt die Menschen berühren. Bei „Den Menschen so fern“ ist uns das offenbar gelungen – das entnehme ich den starken Reaktionen auf den Film, von der Weltpremiere beim Festival Venedig 2014 bis zu vielen anderen Screenings, bei denen ich dabei war. Wir wurden überall sehr positiv aufgenommen.
 
Sie haben seit Ihrem Karriere-Beginn in den Achtzigern viele gute Filme gedreht. Doch durch die Rolle des Aragorn in „Der Herr der Ringe“ wurden Sie dann weltweit zum Star. Wie hat die „Ringe“-Trilogie ihre Karriere verändert?
„Der Herr der Ringe“ hat mir definitiv mehr neue Möglichkeiten eröffnet, als ich sie zuvor hatte. Ich werde Regisseur Peter Jackson immer dankbar sein, dass er mir diese Rolle gegeben hat. Offenkundig liebt es Jackson, sich in der Welt von J.R.R. Tolkien zu bewegen, sonst hätte er nach „Der Herr der Ringe“ nicht auch noch die „Hobbit“-Trilogie gemacht. Ich weiß nicht, ob irgendjemand anderer diese sechs Filme zustande gebracht hätte. Zu den Vorzügen meiner Arbeit am „Herrn der Ringe“ gehört übrigens auch die Tatsache, dass ich Christopher Lee begegnet bin. Ich vermisse ihn. Er war ein außergewöhnlicher Mann. Wir freundeten uns an und ich genoss jede Stunde, die ich mit ihm und seiner Frau verbrachte. Es war ein Glücksfall, ihn kennenlernen zu dürfen.
 
Ein anderer Regisseur, der für Ihre Arbeit unheimlich wichtig war, ist David Cronenberg. Wie beurteilen Sie ihn?
Er ist einer der wenigen, die einen Sitz im Pantheon der großen internationalen Filmregisseure haben. Er ist der einzige Regisseur, den ich kenne, der mit seinen 72 Jahren noch immer stets etwas Neues schaffen will; in der Filmtechnik genauso wie in der Art, in der er Geschichten erzählt. Die meisten etablierten Regisseure in Davids Alter beginnen, sich zu wiederholen. Sie haben zwar noch ihre brillanten Momente, doch ihre Arbeit wird mittelmäßiger. Sie überraschen dich nicht mehr – David Cronenberg hingegen überrascht einen mit jedem Film aufs Neue. Er blickt nicht zurück auf seinen Katalog, er will keinen typischen David-Cronenberg-Film drehen - er will stets einen neuen Film machen. Ich bewundere ihn dafür.
 
Sie haben mit Cronenberg in Wien das Psycho-Drama „Eine dunkle Begierde“ gedreht, in dem Sie Sigmund Freud spielen. Wie sind Ihre Erinnerungen an Wien?
Ich habe meine Zeit in der Stadt sehr genossen. Schon vor dem Dreh war ich ein paar Mal in Wien, um die Stadt zu erkunden, Bücher zu kaufen und mir Sigmund Freud vorzustellen, wie er die Ringstraße entlangging. Ich kam im Winter, ich kam im Frühling, und gedreht haben wir dann im Sommer. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob und wie ich Freud spielen sollte. Aber dann dachte ich mir, ich habe schon öfter mit Cronenberg gearbeitet und ich vertraue ihm. Also muss er einen Grund haben, mir die Freud-Rolle anzubieten. Ich bin froh, diese Herausforderung angenommen zu haben. Denn dadurch lernte ich nicht nur viel über Wien, sondern auch eine Menge über das Werk von Sigmund Freud.

Sie sind einer der vielseitigsten Künstler in Hollywood: Nicht nur Schauspieler, sondern auch Maler, Fotograf, Autor, Musiker und Verleger. Wie ist das entstanden?
Ich bin einfach sehr neugierig. Es gibt in den meisten Feldern Leute, die talentierter sind als ich, aber was soll’s? Das Leben ist kurz und ich möchte so viel lernen, wie ich nur kann. Und einige der Dinge, die ich lerne, möchte ich dann mit anderen Menschen teilen. So einfach ist das. 
 



Kritik
Den Menschen so fern
„Den Menschen so fern“ ist die Verfilmung einer Geschichte von Albert Camus. Viggo Mortensen und Reda Kateb sind die Protagonisten einer im Western-Stil gedrehten Parabel über die Konfrontation zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Mehr...