Helen Mirren über ihren Film „Das Leuchten der Erinnerung“


„Meine Eltern haben Sex? Um Gottes Willen – nein!“

05.01.2018
Interview:  Peter Beddies

„Das Leuchten der Erinnerung“: Hellen Mirren mit Filmpartner Donald Sutherland © Filmladen

Mal spielt sie die Queen (in „Die Queen“), mal die Exil-Wienerin Maria Altmann (in „Die Frau in Gold“) und mal eine kampfstarke Agentin (in „R.E.D.“): Helen Mirren zählt zu den couragiertesten und vielseitigsten Schauspielerinnen des internationalen Kinos. In ihrem neuen Film „Das Leuchten der Erinnerung“ geht die Oscar-Preisträgerin gemeinsam mit Donald Sutherland auf große Fahrt. FilmClicks traf die ewig junge 72-jährige Britin beim Filmfest Venedig, wo die melancholische Tragikomödie Weltpremiere hatte: Ein Gespräch über Road Movies, das Altern, Donald Trump – und Sex.


FilmClicks: Mrs. Mirren, Ihr neuer Film „Das Leuchten der Erinnerung“ handelt von einem alternden Paar, das trotz schwerer Erkrankungen noch einmal eine weite Reise antritt. Es dürfte in Hollywood nicht wenige Leute geben, die bei so einem Projekt sagen: Wer will sich das denn bitte anschauen!
Helen Mirren: Wer so etwas sagt, vergisst die Millionen und Abermillionen von Menschen, denen es ziemlich egal ist, dass der neue „Transformers“-Film oder irgendein anderer Blockbuster ins Kino kommt. Die wollen Geschichten von echten Menschen sehen. Und das gilt nicht nur für die alten Zuschauer. Glauben Sie es mir oder nicht, aber selbst ich fühle mich noch nicht alt.
 
Denkt man über die eigene Sterblichkeit nach, wenn man so einen Film dreht?
Nein, das ist nicht meine Art, zu arbeiten. Für einen Film soll ich an diesen dunklen Ort gehen? Nein, auf keinen Fall. Wissen Sie, es gibt Helen, die Schauspielerin und Helen, den Menschen. Nach Möglichkeit versuche ich, das zu trennen. Rollen nehme ich extrem selten mit nach Hause.
 
Ihre Filmfigur Ella leidet an Krebs. Haben Sie sich vor dem Dreh mit dem Thema Krebs beschäftigt?
Vor ein paar Monaten ist ein enger Freund meines Neffen an Krebs gestorben. Noch sehr jung, gemessen an meinem Alter. Er ist gerade mal 40 geworden. Was mir auffiel, war die Einstellung, die dieser Mensch bis zum Schluss ausstrahlte: „Genießt und lebt den Moment. Alles andere ist Quatsch!“. Das werde ich bis zum Ende meiner Tage nicht vergessen.
 
Ihr Filmpartner Donald Sutherland wiederum porträtiert einen Alzheimer-Patienten, der ständig ins Land des Vergessens abtaucht. Wie war es für Sie und ihn, diese Situationen zu spielen?
Wie es war? Nun ja. Sie müssen wissen, dass man so eine Rolle nicht spielen kann, ohne dass etwas abfärbt auf den eigenen Charakter (lacht). So war es bei Donald auch. Wenn man mit ihm allein im Wohnmobil saß, dann konnte es einen schon irritieren, ob er nun gerade etwas als Donald vergessen hat oder als John. Da hatten wir die eine und die andere haarsträubende Situation.
 
Aus all diesen Elementen ist aber kein haarsträubender Film entstanden, sondern ein sehr schönes Road Movie. Mögen Sie dieses Genre?
Road Movies mag ich sehr. Egal, ob die Menschen im Film nun an ihrem Ziel ankommen oder nicht. Es lassen sich zwischendurch wundervolle Geschichten erzählen. Das finde ich toll.

Am Set: Regisseur Paolo Virzi (2. v. l.) mit Donald Sutherland & Helen Mirren © Filmladen

Das Ziel Ihrer Film-Reise ist Key West in Florida. Und dort das Haus von Ernest Hemingway. Hat sich das Ihr Regisseur Paolo Virzi ausgedacht, weil es einfach ein schrecklicher touristischer Ort ist?
Nein. Es ist dort zwar sehr touristisch, aber die Menschen, die sich um das Haus kümmern, machen das sehr gut. Alles sehr gepflegt. Außerdem sitzen und liegen überall Katzen herum. Wenn man sie denn vor lauter Touristen mal sieht.
 
Und man kann das Haus auch wirklich für Hochzeiten mieten?
Oh ja. Es gibt dort vor allem viele schwule Hochzeiten. Hemingway hätte wahrscheinlich einen Herzschlag bekommen (lacht). Denn Key West ist schon sehr schwul.
 
„Das Leuchten der Erinnerung“ wurde im Jahr 2016 gedreht – noch bevor Donald Trump als US-Präsident ins Amt kam. Und dennoch gibt es, was Trump betrifft, eine beinahe prophetische Szene.
Sie meinen die Demo der Trump-Unterstützer. Die Idee von Paolo Virzi war es, die Stimmung des Wahlkampfs einzufangen. Wer sich den Film später mal anschaut, sollte diese Szene mit einem Grinsen sehen: „Stimmt, da war ja mal was. Da gab es diesen leicht durchgeknallten Milliardär, der versucht hatte, Präsident der USA zu werden“. Dass es dann ganz anders kommen würde, war uns allen natürlich nicht klar.
 
Als Engländerin, die in Hollywood Karriere gemacht hat und die auch in den USA lebt: Betrifft Sie Donald Trump?
Trump geht uns alle an. Egal wo wir auf der Welt leben. Dieser Mann hat eine unglaubliche Macht. Wer weiß, was er alles damit anstellen wird. Das darf keinen von uns kaltlassen.
 
„Das Leuchten der Erinnerung“ hat eine sehr schöne Sexszene zwischen Ihnen und Donald Sutherland. Sehr delikat gefilmt. Und dennoch erwischt man sich beim Gedanken: „Will ich eigentlich nicht sehen“.
Ich verstehe genau, was Sie meinen. Dazu kann ich Ihnen Folgendes erzählen.  In den späten 60er Jahren, als die sexuelle Revolution gerade tobte, gab es Umfragen an den Universitäten von Kalifornien. Also genau dort, wo die sexuelle Revolution begann. Die Studenten wurden nach dem Sex der Eltern gefragt. Die Studenten waren zwischen 18 und 20 und die Eltern damit zwischen 40 und 50. Die Antwort war fast immer: „Meine Eltern haben Sex? Um Gottes willen, nein!“ (lacht). Nur ganz wenige Studenten konnten sich vorstellen, dass ihre Eltern Sex haben. Und die bekamen dann die Frage: „In möglicherweise welcher Stellung? Doggy-Style?“ (lacht). Da war es dann auch bei denen vorbei. Diese jungen, eigentlich so freiheitsliebenden Menschen waren von der Kombination Eltern und Sex total erschrocken. Und daran hat sich wohl nicht viel geändert. Oder vielleicht doch? Das wäre schön!



Kritik
Das Leuchten der Erinnerung
Die Topstars Helen Mirren und Donald Sutherland spielen in der Tragikomödie „Das Leuchten der Erinnerung“ ein alterndes Paar, das noch einmal zu einer großen Reise aufbricht. Mehr...