Tom McCarthy
über Journalisten und seinen Film „Spotlight“
„Wir brauchen eine starke, freie Presse“
28.02.2016
Interview:
Matthias Greuling
Bester Film des Jahres, bestes Original-Drehbuch: Das Journalisten-Drama „Spotlight“ wurde zum Sensations-Erfolg im Oscar-Rennen 2016. Autor/REgisseur Tom McCarthy erzählt im vor der Oscar-Gala geführten Interview über die Produktion: Es geht um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche. 2001 war das ein Skandal, den der „Boston Globe“ aufdeckte und der den Kardinal Bernard Francis Law schließlich den Job kostete. Das spannend inszenierte Drama mit Michael Keaton, Rachel McAdams und Mark Ruffalo zeigt die beschwerliche Handarbeit, die Aufdecker-Journalisten leisten müssen, um hinter die Fassaden zu blicken.
FilmClicks: Der aufgedeckte sexuelle Missbrauch in Bostons katholischer Kirche gilt als Paradebeispiel für exzellenten investigativen Journalismus.
Tom McCarthy: Diese Einstellung zum Journalismus stammt im konkreten Fall von Martin Baron (gespielt von Liev Schreiber, Anm.), der 2001 als neuer Chefredakteur zum „Boston Globe“ kam und gleich an seinem allerersten Arbeitstag eine Sondertruppe von investigativen Journalisten auf den Skandal in der Kirche ansetzte. Es war sein erster Arbeitstag, 10.30 Uhr, die Morgenkonferenz. Die Kollegen waren erst einmal geschockt. Er hatte eine starke Vision von Aufdecker-Journalismus.
Glauben Sie, sexuellen Missbrauch in der Kirche könnte man irgendwie verhindern?
Sexuellen Missbrauch gibt es in der Kirche ja seit Jahrhunderten, und das ist nicht von heute auf morgen zu stoppen. Wenn etwas derart verwurzelt ist in einer Institution, dann kann man den Krebs nicht einfach so herausoperieren. Ich will der Frage auf den Grund gehen: Wie kann es so weit kommen, dass Missbrauch passiert, und niemand redet darüber? Die katholische Kirche hat sich ja nicht nur durch ihre Mitglieder schuldig gemacht, die den Missbrauch ausgeübt haben, sondern vor allem institutionell dadurch, dass man all diese Fälle vertuscht hat und intern regeln wollte. Darin liegt der Skandal. Das Problem ist, dass durch diese Vertuschungen die Gerichte nicht ordentlich arbeiten können. Das Problem wurde auch lange bagatellisiert. Man redet einfach nicht drüber. Oder man spricht von Einzelfällen. Eine Studie zeigt aber, dass die Missbrauchsfälle in der Kirche mit sechs bis sieben Prozent signifikant höher liegen als in der übrigen Bevölkerung. Der Film kommt auch zu einer interessanten Zeit, denn ich glaube, Papst Franziskus hat einen richtigen Weg für die katholische Kirche eingeschlagen. Es wird nur ein sehr langer Weg sein. Es sieht nach Veränderung aus, und man hofft, dass es nicht nur bei guten Absichten bleibt.
Was können die Medien in Fällen wie diesem falsch machen?
Dass auch sie nicht schreiben, was sie wissen. Ich habe von vielen Fällen gehört, über die man seit Jahren Bescheid wusste, und niemand wagte es, etwas darüber zu schreiben. Bill Cosby ist ein gutes Beispiel.
Wie haben Sie das erfahren?
In Gesprächen mit Journalisten. Wobei es ziemlich schwierig ist, Journalisten zu interviewen. Denn normalerweise sind sie es, die die Fragen stellen. Es brauchte Jahre, bis wir den Journalisten ein wenig Informationen entlocken konnten. Sie sind sehr darauf bedacht, ihr Wissen und ihre Informanten zu schützen. Ich wollte, dass man das auch im Film sieht. Deshalb sollte die Bildsprache auch sehr unaufdringlich sein. Ich dachte an die frühen Filme von Sidney Lumet, der es beherrschte, das Publikum eine Geschichte selbst entdecken zu lassen. Das wollte ich auch: Man soll die Story gemeinsam mit den Journalisten aufdecken.
Investigativer Journalismus wird für die Verlagshäuser immer schwerer leistbar, zumal erwartet wird, dass Information im Netz nach wie vor gratis sein soll.
Das stimmt, und ich sehe das besonders in den USA, wo der Journalismus mehr und mehr dezimiert wird. Mein Film zeigt, was passiert, wenn man eine starke freie Presse hat. Es gibt fast keine freie Presse mehr in den USA, es ist schrecklich, was da passiert ist in den letzten Jahren. Ich glaube, dass die amerikanische Öffentlichkeit noch gar nicht vollständig kapiert hat, was sie hier verloren hat. Das Problem beruht auf einem Missverständnis: Als das Schlagwort der „Neuen Medien“ auftauchte, sagten alle begeistert: „Toll, wir können jetzt alles online stellen.“ Was dabei niemand überlegte: wer all diese Inhalte generieren soll. Vor allem im Lokaljournalismus - und unsere Geschichte in Boston war genau so etwas - gibt es heute kaum mehr Reporter, all das verschwindet rapide. Ohne diese lokal verankerten Journalisten, die die Cops kennen, die Richter und die Anwälte, hätte man so einen Skandal niemals aufdecken können. Und genau diese Art von Journalismus stirbt gerade. Wer also einen Nebenjob braucht: Es ist gerade eine großartige Zeit für lokale Korruption. Denn niemand deckt sie auf.