Josef Hader
über sein Regie-Debüt „Wilde Maus“
„Die Komik ist wie ein Gewürz“
17.02.2017
Interview:
Gunther Baumann
Die „Wilde Maus“ ist gelandet. Nach den Gala-Premieren bei der Berlinale und in Österreich reißen sich nun die Filmfans um Kinotickets für die Tragikomödie, mit der Josef Hader sein Debüt als Regisseur gibt. Wir trafen Hader zum großen FilmClicks-Interview: Wie fühlte es sich an, erstmals Regie zu führen? Warum wählte der Künstler Hader ausgerechnet einen arbeitslosen Kritiker für seine eigene Rolle aus? Wie würde er selbst damit umgehen, wenn er seinen Job verliert? Und: Wird er nach der „Wilden Maus“ bald wieder ins Kostüm seiner Parade-Filmfigur, des Ermittlers Brenner, schlüpfen? Hader gibt Antwort auf alle Fragen.
FilmClicks: Man kennt Sie im Film als Schauspieler und als Drehbuchautor. Was hat Sie daran gereizt, jetzt bei „Wilde Maus“ auch noch die Regie zu übernehmen?
Josef Hader: Der Reiz besteht darin, dass man als Filmregisseur alle wichtigen Entscheidungen treffen kann, die einem als Schauspieler oder als Autor verwehrt bleiben. Bei „Wilde Maus“ wurde das eine beglückende Erfahrung mit vielen jungen Menschen im Team. Den größten Respekt hatte ich im Vorfeld vor den Dreharbeiten, weil das die Phase ist, die ich bisher nur als Schauspieler kannte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Dreh so schön werden würde, wie es dann geschah. Und danach, beim Schnitt und beim Ton, konnte ich auch noch sehr viel am Film herumschrauben. Das führte in Summe dazu, dass sehr viel von mir in diesem Film drinnensteckt.
Für Ihre Figur in „Wilde Maus“ haben Sie sich die Rolle eines Musikkritikers ausgesucht. Wie kamen Sie denn auf diesen Beruf? Der Kritiker gilt vielen Filmleuten doch als natürlicher Feind des Künstlers…
In der Story geht um ein Arbeitslosenschicksal aus dem Mittelstand, und wenn man da passende Berufe sucht, kommt man heute relativ bald zum Printjournalismus. Dass es dann ein Musikkritiker wurde, hatte damit zu tun, dass ich für den Film keine speziell komponierte Filmmusik haben wollte, sondern klassische Musik. Dadurch, dass es um einen Musikkritiker geht, konnte ich die Klassik-Klänge ziemlich entspannt in den Film hineinschmuggeln.
War es für Sie als Künstler denn leicht, sich in einen Kritiker hineinzufühlen?
Ich habe den Mann so angelegt, dass er zwar böse Kritiken schreiben kann, dies aber immer aus einer großen Liebe zur Musik macht. Seine Verrisse entstehen aus Empörung, wenn er hört, dass gute Musik schlecht gespielt wird. Aber er genießt es auch, seine Macht auszuüben. Ich muss dazu sagen, dass ich schon seit meiner Jugend gern Kritiken lese – und ich lese auch gern Verrisse. Das hat dazu geführt, dass ich mit Kritiken leichter umgehe, weil ich mir immer denke, der Kritiker ist ja auch ein Teil dieses ganzen Kasperltheaters. Dass der Kritiker kommt und seine Noten verteilt, gehört zum Spiel dazu, doch man darf das um Gottes Willen nicht zu ernst nehmen. So, wie ich mich auch als Künstler nicht immer ernst nehme.
Haben Sie selbst denn auch schon vernichtende Verrisse einstecken müssen?
Natürlich. Ich bekam zum Beispiel bei meinem ersten Auftritt in München einen hingebungsvoll geschriebenen und leider auch zum Teil berechtigten Vollverriss in der „Süddeutschen Zeitung“. Danach wusste ich, Deutschland ist für mich jetzt erst einmal für zwei oder drei Jahre erledigt. Ich hatte damals drei Tage Magenweh, dann warf ich die Kritik weg und anschließend entstand ein enormer Trotz in mir. Ich habe anschließend sehr viel mutigere Programme gemacht, was dazu führte, dass mir dieser Kritiker später eine Hymne geschrieben und auch ein Interview mit mir gemacht hat.
Wie fühlte es sich denn jetzt an, mit Ihrem Regie-Debüt in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen zu sein?
Das war ein etwas unwirkliches Gefühl. Die Aufnahme in den Wettbewerb bedeutet, dass man viel stärker in der Auslage steht. Vielleicht führt die Wettbewerbsteilnahme dazu, dass „Wilde Maus“ die eine oder andere kleine Kino-Auswertung in einem europäischen Land zusätzlich bekommt. Das wäre für mich ein großer Traum. Denn es wäre schön, wenn eine Geschichte von mir auch außerhalb Österreichs und Deutschlands Interesse weckt. Ich habe mir mit „Wilde Maus“ vorgenommen, eine europäische Geschichte zu erzählen. Denn ich finde den europäischen Film großartig, weil auf so kleinem Raum in so vielen unterschiedlichen Kulturräumen so ein Reichtum entsteht.
„Wilde Maus“ beginnt als sehr witzige Mediensatire, geht dann aber immer weiter weg von der Komödie und wird zum Drama mit großen Verstörungen und auch durchaus tragischen Elementen. Wie ist das entstanden?
Mir schwebte da so etwas wie eine Fortsetzung der „Brenner“-Filme vor, die ich in den letzten Jahren mit Wolfgang Murnberger gemacht habe: Wir wollten, dass immer mehr Drama in den Krimi kommt und dass man mit den komischen Elementen wie mit einem Gewürz umgeht. Mein Ziel war beim Skript von „Wilde Maus“ war es, das Komische und das Tragische so hinzukriegen, dass es ausgewogen ist. Ich wollte nicht, dass sich die Komödie so wichtig nimmt, dass man als Zuschauer sorglos im Kino sitzt und sich denkt, das ist eh alles sehr lustig, was hier passiert. Denn die Probleme, um die es im Film geht, sind echt.
Der Filmtitel „Wilde Maus“ hat natürlich eine innere Komik und führt dadurch schon automatisch in Richtung Komödie.
Der Titel „Wilde Maus“ war naheliegend wegen der Achterbahn, die im Film eine große Rolle spielt, aber natürlich auch wegen der Hauptfigur.
Ist der entlassene Musikkritiker Georg, den Sie spielen, also eine wilde Maus?
Ein bissl schon. Er stellt zu Beginn Dinge an, die in Wahrheit nicht so furchtbar schlimm sind. Doch als er dann von der Polizei erwischt wird, sitzt er da mit dem Gefühl, ein Schwerverbrecher zu sein. Aber dann steht er einem Polizisten gegenüber, der ihm sagt, es sei ein Kindergeburtstag, was er da angerichtet habe. Ja, anfangs ist Georg eine wilde Maus. Später in der Geschichte entwickelt er sich dann aber zu einem anderen Tier. Er wird eindeutig gefährlicher und unberechenbarer. Wenn er merkt, dass ihn nicht einmal die Polizei ernst nimmt, fallen seine letzten Schranken.
Und was fällt Ihnen zur wilden Maus als Achterbahn ein?
Das ist ein international verwendeter Begriff für eine bestimmte Art von Achterbahnen, die es überall gibt. Der „Wilde Maus“-Typ ist heute ein bisschen überholt, er steht auf einer relativ kleinen Grundfläche, und das Schlimme sind nicht die Talfahrten, sondern die Kurven, in denen man das Gefühl hat, dass es einen aus den Schienen raushaut. Was übrigens ein schönes Bild für die menschliche Existenz ist.
Wie oft sind Sie selbst mit der Wilden Maus gefahren?
Nicht sehr oft. Eigentlich nur während der Dreharbeiten. Ich bin kein fanatischer Achterbahnfahrer.
Zurück zu den Figuren des Films. Was mich bei Georg, dem entlassenen Redakteur, gewundert hat, ist die Tatsache, dass er seinen Rausschmiss vor seiner Frau verheimlicht. Eine Kündigung ist doch nichts Ehrenrühriges!
Interessant, dass Sie das sagen. Das hängt wohl davon ab, wie man selber strukturiert ist. Es gibt viele Leute, die dieses Verschweigen sofort verstehen. Die sagen, ganz klar, dieser Georg steht unter großem Druck mit seiner jüngeren Frau, die ein Kind von ihm will, und jetzt verliert er auch noch seinen Job. Georg verdrängt das Thema, weil er seinen Rausschmiss einfach nicht wahrhaben will. Er ist vollkommen gelähmt und unfähig, die richtigen Schlüsse aus dem zu ziehen, was ihm widerfahren ist. Wenn er seine Frau informieren würde, dann müsste er neue Zukunftspläne schmieden am Frühstückstisch, dann müsste er aus seiner Lähmung und aus seinem Zorn herausgehen.
Das scheint er aber nicht zu wollen.
Genau. Das will er nicht. Wenn Künstler oder Journalisten ihren Beruf verlieren, ist das für sie oft eine besondere Katastrophe, weil sie das Gefühl haben, sie verlieren eigentlich ihr Leben. Weil der Beruf für sie immer viel mehr war als nur ein Job. Es gibt Leute, die angesichts so einer großen Katastrophe sofort das Gefühl haben, das müssen sie mit anderen teilen, weil ihnen das hilft. Es gibt aber auch Menschen, zu denen ich mich selbst zähle, die bei einer großen Katastrophe vollkommen unfähig sind, Hilfe anzunehmen, und einen großen Trotz oder eine große Wut entwickeln. Das kultivieren sie dann in der Einsamkeit, weil das ihr einziger Schutz vor der Katastrophe ist. Im Film will Georg überhaupt nicht, dass seine Entlassung ein Problem wird, mit dem er aktiv umgehen kann. Er könnte ja sagen, okay, jetzt bekomme ich eine Abfertigung; jetzt denke ich erst einmal nach, was ich mit meiner freien Zeit mache und vielleicht schreibe ich wirklich ein Buch. Er hätte seine Möglichkeiten, doch er ergreift sie nicht.
Wenn Sie ähnlich fühlen wie Ihre Figur Georg auf der Leinwand – ist „Wilde Maus“ dann auch ein sehr persönlicher Film über Josef Hader?
Nun, mich würde in so einer Situation der Trotz nicht lähmen. Das ist der große Unterschied. So wie mich seinerzeit diese schlechte Kritik aus München nicht gelähmt hat, von der ich eingangs sprach. Ich würde versuchen, meinen Trotz als Kraftstoff in irgendeinen Motor zu leiten. Dazu passt übrigens die Tatsache, dass ich die erste Fassung von „Wilde Maus“ in einem Sommer schrieb, in dem Regisseur Wolfgang Murnberger und mir ein Drehbuch abgelehnt wurde. Damals dachte ich darüber nach, wie ich meine Enttäuschung gut umlenken könnte, und ich beschloss dann, jetzt schreibe ich mein eigenes Drehbuch. Mich führt der Trotz also eher aus der Lähmung heraus. Von „Wilde Maus“ habe ich im Laufe der Zeit dann so zehn Fassungen geschrieben.
Letzte Frage: Werden Sie und Wolfgang Murnberger bald erneut einen Wolf-Haas-Krimi mit Ihnen als Ermittler Brenner verfilmen?
Wir sind so verblieben, dass wir uns einmal zusammensetzen, wenn ich „Wilde Maus“ ins Kino begleitet habe. Ich werde dann auch die Romane von Wolf Haas lesen, die noch da sind, denn die neuen kenne ich noch nicht. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ich mit dem Brenner nicht zu einem normalen Krimi zurückkehren möchte. Wir haben die Figur in eine bestimmte Ecke erzählt, von der aus es schwierig ist, weiterzumachen. Wir wollen jetzt gemeinsam überlegen, ob wir eine filmische Idee finden, wie wir mit der Figur weitergehen können. Wenn wir diese Idee haben, dann machen wir noch einen Film.
Und wenn nicht?
Wenn wir das Gefühl hätten, wieder zum Krimi zurückzukehren, dann würde ich nicht mehr weitermachen wollen. Doch ich bin der Auffassung, dass das auch wie beim James Bond oder beim Kottan sein kann. Also, dass wer anderer die Brenner-Rolle übernimmt. Ich persönlich möchte mit dem Brenner nicht mehr weg von dem Stil, den wir in „Der Knochenmann“ und „Das ewige Leben“ entwickelt haben. Also von dem Stil, dass man vom Krimi weg und statt dessen zu den Menschen und zum Drama geht. Es wäre für mich unbefriedigend, würden wir in der Serie wieder konventioneller werden.