Felix van Groeningen
über sein Vater-Sohn-Drama „Beautiful Boy“
„In jeder Familie kann so eine Drogengeschichte passieren“
28.01.2019
Interview:
Gunther Baumann
Der belgische Regisseur Felix Van Groeningen, der sich mit Arthaus-Hits wie „The Broken Circle“ einen Namen machte, hat den Sprung über den Atlantik geschafft. Das Vater-Sohn-Drama „Beautiful Boy“, das jetzt im Kino läuft, ist sein erster in den USA gedrehter Film. FilmClicks traf Van Groeningen im Herbst beim Zurich Film Festival. Im Interview geht es um den prominenten Cast von „Beautiful Boy“ mit Steve Carell und Timothée Chalamet, um die Vorliebe des Regisseurs für schwere dramatische Stoffe – und um die Frage, wie Brad Pitts Produktionsfirma Plan B auf den Belgier aufmerksam wurde.
FilmClicks: Herr Van Groeningen,
Ihr Film „Beautiful Boy“ hat mit Steve Carell und Timothée Chalamet als Vater und Sohn zwei herausragende Hauptdarsteller. Wie haben Sie die beiden gefunden?
Felix Van Groeningen: Ein Casting ist so, als würde man sich verlieben. Für „Beautiful Boy“ wollten wir namhafte Darsteller haben, aber nicht die üblichen Verdächtigen. Also ließen wir uns Zeit. Die Wahl fiel dann auf Steve Carell, der nicht nur ein wunderbarer Komödiant, sondern auch ein großer Charakterdarsteller ist. Als er mir in den Sinn kam, machte es augenblicklich klick. Und als wir ihn ansprachen, sagte er sofort Ja – nach einer halben Stunde am Telefon. Wir waren uns nie zuvor begegnet. Auch Timothée Chalamet ist ein großartiger Schauspieler. Als wir ihn verpflichteten, hatte er seinen mittlerweile berühmten Film „Call Me By Your Name“ schon abgedreht. Aber der große Hype um diesen Film begann erst acht Monate später.
Was hat Sie an der Story von „Beautiful Boy“ gereizt, in der ein Vater darum kämpft, seinen drogenabhängigen Sohn zu retten?
Ich hatte schon zuvor Filme gedreht, in denen es um Alkohol- oder Drogenmissbrauch ging. Aber beim Lesen der beiden Bücher, die „Beautiful Boy“ zugrunde liegen, gingen mir die Augen auf. Ich erkannte so richtig, dass Drogenabhängigkeit eine Krankheit ist. Darüber hinaus interessierte mich der familiäre Aspekt der Story. Zum Beispiel die Frage, wie sich die Dynamik in der Familie durch die Drogensucht des Sohns verändert. Und ich dachte, wenn es der Film schaffen sollte, dem Publikum das Krankheits-Thema näher zu bringen, dann wäre das toll. Es könnte dazu führen, dass wir den Drogenabhängigen mit mehr Verständnis begegnen.
Sie zählen noch zu den jungen Filmemachern, aber „Beautiful Boy“ ist nach „The Broken Circle“ schon Ihr zweiter Film, in dem Eltern ein Kind verlieren – oder fast verlieren. Woher kommt Ihre starke Affinität zu diesem Thema?
Nun, ich war 27, als mein Vater starb. Dieser Verlust hat mich lange Zeit intensiv beschäftigt, und er hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich einen Film wie „The Broken Circle“ drehte, auch wenn es dort um das gegenteilige Thema geht, um den Tod eines Kindes. Ich habe eine gewisse Sehnsucht nach der idealen Familie. Oft fangen meine Filme mit so einem Ideal an, aber anschließend schicke ich meine Figuren durch die Hölle. Ich lerne dann selbst etwas aus meinen Filmen; sie führen dazu, dass ich dem Leben mit größerer Wertschätzung begegne.
Auch in „Beautiful Boy“ wird die Familie ja grundsätzlich als heile Welt geschildert. Was, glauben Sie, ist der Beweggrund des Sohnes, sich aus diesem kleinen Paradies in Richtung der Drogenabhängigkeit zu bewegen?
Das ist ein großes Rätsel. Keiner weiß eine Antwort. Nic Sheff, der Junge, sucht nach einer Antwort, David Sheff, sein Vater, ebenso. Bei Nic fängt die Drogengeschichte schleichend damit an, dass er sich ein bisschen besser fühlt, wenn er etwas genommen hat. Ich habe ja selbst ein paar Drogenerfahrungen gemacht in meiner Jugend, und zum Glück fehlte mir das Gen, das mich dazu verleitet hätte, immer mehr zu nehmen. Obwohl es auch hätte anders kommen können. Das bringt mich zu einem anderen Grund, warum ich „Beautiful Boy“ drehen wollte: Ich möchte zeigen, dass jeder Familie so eine Drogengeschichte passieren kann. Und manchmal findet niemand eine Antwort, warum es so ist.
Ihre Filme lösen beim Anschauen sehr große, tragische Emotionen aus. Wie kommen Sie denn selbst mit all diesem Drama zurecht?
Vor ein paar Monaten wurde ich zum ersten Mal Vater. Vielleicht wird das meinen Zugang zum Beruf ändern
(lacht). Vielleicht drehe ich in Zukunft nur noch Kinderfilme, in denen alle Figuren ewig leben.
„Beautiful Boy“ wurde von Brad Pitts Filmfirma Plan B produziert. Wie ist denn da der Kontakt entstanden?
Nun, die hatten meinen Film „The Broken Circle“ gesehen, und sie mochten ihn. Plan B besaß die Rechte an den zwei Büchern von David und Nic Sheff, die die Grundlage von „Beautiful Boy“ bilden. Aber irgendwie kam das Projekt nicht voran. Doch als sie „The Broken Circle“ sahen, da dachten sie, hey, vielleicht wäre das ein Weg, sich der Geschichte zu nähern. Die Hauptarbeit der Produktion lag dann bei den Plan-B-Chefs Dede Gardner und Jeremy Kleiner. Aber ich habe auch mit Brad Pitt über den Film gesprochen.