Wolfgang Fischer über sein Hochsee-Drama „Styx“


Segeln, Migration und Moral

21.11.2018
Interview:  Gunther Baumann

Wolfgang Fischer: „,Styx' soll ein allegorisches Drama über unseren Umgang mit Flüchtlingen sein“ © Filmladen

Zehn Leute auf einem Elf-Meter-Boot: Unter diesen abenteuerlichen Umständen entstand „Styx“, der spannendste und außergewöhnlichste deutsch-österreichische Film des Jahres. Der österreichische Filmemacher Wolfgang Fischer begleitet in seinem Drama eine Einhand-Seglerin (Susanne Wolff) auf einer Atlantik-Expedition. Doch in „Styx“ geht es nicht nur um das Segeln, sondern um ein großes moralisches Dilemma. Die Seglerin begegnet auf hoher See einem havarierten und überfüllten Flüchtlingsboot. Soll sie versuchen, die Migranten auf eigene Faust zu retten? Oder soll sie den Anweisungen der Küstenwache folgen und einfach weiterfahren? Ein Interview mit Autor/Regisseur Fischer über das Segeln, Migration und Moral.  


Hinter den Kulissen: Die Filmcrew war bei „Styx“ stets mit an Bord © Filmladen

FilmClicks: Herr Fischer, Ihr Flüchtlingsdrama „Styx“ spielt im Atlantik vor der Küste Westafrikas. Die heutigen Migrationsrouten verlaufen aber durchs Mittelmeer.

Wolfgang Fischer: Nun, die erste Drehbuchfassung von „Styx“ war vor sieben Jahren fertig. Es gibt aber auch heute Menschen, die sich mit Booten von Westafrika nach Brasilien aufmachen. Wenn sie Glück haben, werden sie von anderen Schiffen aufgenommen. Es ist eine bizarre Situation, mit schlecht ausgerüsteten Booten drei Wochen über den Atlantik zu fahren. 
 
Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, einen Film über die Migration zu drehen? Das war bis vor ein paar Jahren doch noch gar kein großes Thema in der Öffentlichkeit.
Ich habe damals, am Rande von Doku-Produktionen, viel mit NGOs gesprochen. Ich traf Rupert Neudeck, den Mitgründer von Cap Anamur, und den Korrespondenten Peter Scholl-Latour, der sagte, Migration sei das Thema, das uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen werde. Das war für mich ein Wahnsinns-Ding. Als Filmemacher muss man sich Stoffe suchen, an denen man sich reiben kann und über die man selbst erst einmal nachforschen muss.
 
Haben Sie durch Ihre Recherchen mögliche Lösungen für die Migrations-Problematik gefunden?
Nein. Ich bin kein Experte und ich kann mir nicht anmaßen, der Welt zu erklären, wie die Dinge laufen müssen. Ich glaube, es gibt keine Lösungen für dieses Thema und auch keine Ansätze dazu. Was mich interessiert und schockiert hat, das ist das Dilemma, in dem wir alle stecken. „Styx“ soll ein allegorisches Drama über unseren Umgang mit Flüchtlingen sein. Im Kleinen erzählt, aber mit der Hoffnung, dass das etwas Größeres über uns ausdrückt.  Der Film wirft die Frage auf: Was würde ich denn tun, wenn ich auf hoher See auf einmal einem Flüchtlings-Boot begegne?
 
Wenn das Drehbuch schon vor sieben Jahren fertig war – warum hat die Realisierung von „Styx“ dann bis 2018 gedauert?
„Styx“ ist ein Low-Budget-Film, aber es war sehr schwierig, bei so einem Thema die Finanzierung zusammenzubekommen. Da ist viel Zeit vergangen. Doch abgesehen davon stellte sich natürlich auch die Frage: Wie filmt man so eine Geschichte, die großteils in einem Boot auf dem Ozean spielt? Alle haben mir von dem Projekt abgeraten. Es gibt natürlich Ozean-Dramen wie „All Is Lost“ von J. C. Chandor mit Robert Redford, aber die wurden nicht in einer realen Umgebung gedreht, sondern in Becken und Studios. Wir hingegen haben wirklich auf dem offenen Meer gearbeitet. Das war eine große Herausforderung.
 
Sind Sie denn Segler?
Nein, eigentlich überhaupt nicht.  Wir haben alles von Grund auf gelernt. Ich machte gemeinsam mit Kameramann Benedict Neuenfels einen Segelkurs auf dem Wannsee in Berlin. So ging’s los – und dann waren wir in Malta bei Windstärke 8 (lacht). Eine seltsame Reise. Es war ein Teil des Abenteuers dieses Films, dass wir alle selber physisch und psychisch all das mitmachen mussten, was man auf der Leinwand sieht. Das war eine tolle Erfahrung, die ich nicht missen möchte.
 
Gab es draußen auf dem Meer Momente, die Ihnen Angst machten?
Auf jeden Fall. Ich hatte allerdings keine Angst, dass es zu stürmisch werden könnte, sondern es ging immer um die Machbarkeit des Drehs. Normalerweise bereitet man bei einem Film ja alles schön vor und man hat einen durchstrukturierten Drehplan. Das ist auf dem Meer nicht möglich. Da muss man permanent reagieren. Unser Regieassistent schrieb an die 40 Drehpläne, weil wir jeden Tag die Planungen adaptieren mussten. Die Aufnahmen dauerten sehr lange. Wir waren von September bis Mitte Dezember auf Malta und dann noch mal im März zehn Tage in der Gegend von Gibraltar.  
 
Susanne Wolff: Schauspielerin und ausgebildete Seglerin © Filmladen

Ihre Hauptdarstellerin Susanne Wolff spielt eine Ärztin, die ganz allein mit einer Yacht durch den Südatlantik segelt. Wie kamen Sie zu dieser Besetzung?
Wir machten ein richtig umfangreiches Casting, und Susanne Wolff hatte nicht nur einen Segelschein, sie ist auch eine sehr körperliche Schauspielerin mit großer Sensibilität. Beides konnte sie in ihre Rolle integrieren. Susanne bekam dann noch ein spezielles Segeltraining, aber auch ein Arzt-Training, damit alle ihre Aktionen authentisch wirkten. Die Glaubwürdigkeit stand für uns sehr weit im Vordergrund. In allen Szenen, in denen man sie segeln sieht, steuert sie selbst das Boot.
 
Und der Kameramann saß in einem zweiten Boot?
Nein, wir waren fast immer alle zusammen auf dem Boot, ein Team von bis zu zehn Leuten, die man natürlich irgendwo verstecken musste. Die hingen dann über die Reling oder kauerten irgendwo, damit die Bilder das Gefühl vermitteln konnten, die Frau sei ganz allein auf ihrer Yacht. Zehn Leute auf einem Elf-Meter-Boot – das ist sehr schwierig. Und dann kam auch noch das Wetter dazu, das natürlich nicht stabil war. Das ging dann ganz schön ab bei Sturm. Das Team und die Kamerasysteme zu sichern – das war sehr aufwendig.
 
Reden wir über den moralischen Grundkonflikt von „Styx“. Die Seglerin aus Europa kommt an einem havarierten Flüchtlingsboot vorbei und steht nun vor der Frage: Kann sie einen retten, kann sie alle retten – oder soll sie einfach weiterfahren?
Lassen Sie mich ausholen. Grundsätzlich wollten wir eine Abenteuergeschichte erzählen, über eine Frau, eine Einhandseglerin,  die sich in eine archaische Welt begibt – sie ist ganz allein unterwegs nach Ascension Island im Südatlantik. Diese Frau sucht ihr individuelles Paradies, doch auf einmal bricht die Realität über sie herein. Das Dilemma, wie sie sich in dieser Situation entscheiden soll, wirft Fragen auf: Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Und: Wer müssen wir sein? Das war das Konzept, erzählt aus unserer westlichen Sichtweise. Das kann man auch auf alltäglichere Situationen übertragen: Wie reagieren wir, wenn neben uns in der U-Bahn jemand geschlagen wird? Greifen wir ein oder schauen wir weg? Was das Thema Migration betrifft, steht das Wegschauen in unserer Gesellschaft im Vordergrund. Wir wollen uns nicht involvieren. Wir wollen alles zumachen, an besten auch noch die ganze Mittelmeer-Route. Dann sterben die Menschen in der Wüste, wo die Kameras nicht hinschauen – doch wir glauben, wir haben das Problem gelöst. Aber geht das wirklich so einfach? Können wir uns das als aufgeklärte Menschen leisten? Ich glaube nicht.
 



Kritik
Styx
„Styx“ ist ein herausragendes Kinodrama zur aktuellen Migrations-Debatte. Das spannungsgeladene Drama beleuchtet das Thema aus der Sicht einer Atlantik-Seglerin, die auf hoher See einem havarierten Flüchtlingsboot begegnet. Mehr...