Jakob M. Erwa über seinen Film „Die Mitte der Welt“


„Dies ist kein Coming-Out-Film“

12.11.2016
Interview:  Peter Beddies

Erntet Ovationen für „Die Mitte der Welt“: Regisseur Jakob M. Erwa © Universum

„Die Mitte der Welt“: Der Grazer Regisseur Jakob M. Erwa wird für die Verfilmung des Bestsellers von Andreas Steinhöfel gefeiert. Der Roman wurde bei seinem Erscheinen 1998 zum Kultbuch für viele Jugendliche, die diese Familiengeschichte, die sich um einen jungen Schwulen namens Phil rankt, liebten. Jakob M. Erwa erzählt im FilmClicks-Gespräch, wie viel ihm der Roman bei der Lektüre bedeutete – und wie es ihm mit großer Hartnäckigkeit gelang, grünes Licht für die Verfilmung zu bekommen.   


FilmClicks: Man hört sehr oft, dass Andreas Steinhöfels Roman „Die Mitte der Welt“ auf seine Leser eine ungemein intensive Wirkung hat. Dass dieses Buch über das Erwachsenwerden eines jungen Schwulen mehr sein kann als nur eine Lektüre.
Jakob M. Erwa: Das stimmt. Ich habe „Die Mitte der Welt“ gelesen, als ich 20 Jahre alt war.  Mich hat die Geschichte wachgerüttelt in einer gewissen Art und Weise. Zum einen, weil das Buch literarisch sehr poetisch geschrieben ist. Und zum anderen war es für mich als jungen Schwulen sehr wichtig. Ich war vielleicht ein Spätzünder (lacht). Also, ich war schon aus dem Schrank raus, wie man so schön sagt. Aber schwul zu sein war für mich noch nicht so selbstverständlich.
 
Seit wann wissen Sie, dass Sie „Die Mitte der Welt“ verfilmen wollen?
Seit ewigen Zeiten. Das Buch filmisch umzusetzen hat mich sechs Jahre gekostet. Und davor lagen noch acht Jahre, in denen ich mindestens einmal im Jahr den Romanautor Andreas Steinhöfel genervt habe.
 
Und er wollte Ihnen die Verfilmung nicht geben?
Na ja, das war dann doch ein bisschen anders. Die Filmrechte waren vor langer Zeit verkauft worden, doch es wurde ewig kein Film daraus. Irgendwann waren sie dann wieder frei und Andreas fragte, ob ich denn noch Interesse hätte. Da habe ich natürlich sofort zugesagt.

Jakob M. Erwa, Hauptdarsteller Louis Hofmann, Autor Andreas Steinhöfel © Universum

Was bei Buch und Film ins Auge fällt: Homosexualität wird in „Die Mitte der Welt“ nicht als etwas Besonderes dargestellt.
Da war ich mir mit Andreas Steinhöfel einig: Das Schwulsein sollte im Film als etwas völlig Normales gezeigt werden. Als völlige Selbstverständlichkeit, ohne dass es damit ein Problem gibt. In der Welt von Freunden und Verwandten sollte es easy sein, wenn man sich zu seiner Homosexualität bekennt. Den Geist des Buches wollte ich auf jeden Fall auf die Leinwand bringen.
 
Ist „Die Mitte der Welt“ somit kein Coming-Out-Film?
Genau. Davon braucht es nicht noch einen. Ich schaue mir solche Filme an, wie jeder andere Schwule wahrscheinlich auch. Manchmal sind sie spannend. Aber ich wollte nicht noch einen Film mit der Homosexualität als Problem. Hier sollte es um einen schwulen Menschen gehen, der aber andere Probleme im Leben hat als seine sexuelle Ausrichtung. Wir wollten einen schönen Liebesfilm erzählen, gepaart mit einer Familiengeschichte.     
 
Ist es heute noch riskant, so einen Film zu machen?
Hm, spannende Frage. Lassen Sie mich überlegen. Nein, ist es nicht!
 
Es gab keine Bedenkenträger, die Ihnen abgeraten haben?
Nein. Wissen Sie, ich gebe auch Seminare und treffe da auf junge Menschen. Wenn man sich da zu Beginn vorstellt, kommt man relativ schnell auf die eigene Sexualität zu sprechen. Da merke ich jedes Mal, wie unverkrampft die mit dem Thema umgehen. Das ist ein Quantensprung zwischen der Generation heute der 14jährigen und meiner, ich bin 35. Heute ist es für mich völlig normal, über mein Schwulsein zu sprechen. Aber damals, als ich 14 war: Da fand schwul und lesbisch irgendwie auf einem anderen Planeten statt. Das hat sich geändert. Und diese jungen Menschen machen mir wesentlich mehr Mut, als dass ich Angst vor Bedenkenträgern hätte.
 
Sie haben für den Film wunderbare Schauspieler gefunden.
Danke für das Kompliment. Louis Hofmann ist zwar ein ganz junger Kerl. Aber den kennt man schon aus Filmen wie „Unter dem Sand“ oder „Freistatt“. Mit dem wollte ich sehr gern arbeiten. Und ich finde auch, dass er dem Phil im Film eine wunderbare Leichtigkeit gibt. Als seine Schwester habe ich Ada Philine Stappenbeck besetzt. Die hatte bisher noch niemand  gesehen. Ich kannte nur ein Tape von ihr, das auch noch ihre Schwester eingeschickt hatte. Das hat mich so begeistert, dass ich sie kennen lernen wollte. Mit dem Resultat bin scheinbar nicht nur ich zufrieden. Nach der „Mitte der Welt“ hat sie schon wieder in zwei anderen Filmen mitgespielt.
 
Wo liegt Ihre Mitte der Welt?
 
Die habe ich in den Film gelegt. Im Roman ist es so, dass für Phil die Bücher die Mitte der Welt sind. Das habe ich verändert. Und wer wissen will wie, der muss ins Kino gehen.
 
Ist Schwul sein im Herbst 2016 in Österreich schwieriger als in Deutschland?
 Das ist Quatsch! In Wirklichkeit gibt es keinen großen Unterschied. Aber: In Österreich kann man als schwules Paar Kinder adoptieren. In Deutschland nicht. Da können sich die Deutschen mal was abschauen vom kleinen Buder oder der kleinen Schwester.                                                    



Kritik
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