Jonathan Demme über „Ricki“, seine Filme und seine Gesundheit


„Was mich im Kino langweilt: Starke weiße Männer, die alle Probleme lösen“

09.09.2015
Interview:  Peter Beddies

Auszeichnung in Venedig: Jonathan Demme mit dem Visionary Talent Award © Katharina Sartena

Star-Regisseur Jonathan Demme, der den aktuellen Meryl-Streep-Hit „Ricki – Wie Familie so ist“ inszenierte, ist Ehrengast beim Filmfest Venedig. Als Juror und zugleich als Preisträger, der mit dem „Visionary Talent Award“ ausgezeichnet wurde. Doch dem Kino-Magier (für „Das Schweigen der Lämmer“ gewann er den Oscar) geht es nicht gut. Demme, 71,  ist an Krebs erkrankt. Zurückziehen mag er sich deswegen freilich nicht. Im FilmClicks-Interview spricht der Regisseur über Meryl Streep, Musik, seine Filme und über sein nächstes Projekt mit Justin Timberlake. Auch der Frage nach seiner Gesundheit weicht er nicht aus.   


FilmClicks: Alle wissen, dass Meryl Streep eine der besten Schauspielerinnen der Welt ist. Die meisten kennen sie auch als tolle Sängerin. Aber woher wussten Sie, dass in ihr, wie sie jetzt in „Ricki“ beweist,  auch eine Rock`n‘Roll-Rampensau steckt?
Jonathan Demme: Meryl ist einfach außerordentlich. Sie ist für mich ein Genie. Ein wahnsinnig toller Mensch mit der Gabe, das Besondere zu spielen. Aber nicht nur das. Sie investiert auch unendlich viel Arbeit. Für den Film hat sie monatelang Gitarre geübt, weil ich strikt dagegen bin, Musik aus der Konserve zu nehmen und alles später im Schneideraum zusammen zu mischen. Ich wollte die Songs live aufnehmen. Also musste sie Teil einer Band werden. Ihre Film-Kombo Ricki and the Flash sollte eine echte Rockband sein.

„Ricki“: Jonathan Demme (re.) am Set mit Meryl Streep und Rick Springfield © Sony

Haben Sie die Musikproben selbst überwacht?
Von wegen. Ich wurde von Meryl ausgeladen. Sie meinte, dass die Band keinen Regisseur in der Ecke auf einem Stuhl gebrauchen könnte, der hin und wieder seine Meinung sagt. Es wurde ohne mich geprobt. Dass es gut werden könnte, war mir schon klar. Schließlich waren erfahrene Musiker dabei, die bei den Talking Heads gespielt hatten oder bei Neil Young. Und Rick Springfield ist Rick Springfield. Aber was mich echt umgehauen hat, als ich dann nach Wochen der Proben mal zuschauen durfte, war die Tatsache, dass die Band echt wirkte und dass Meryl der Mittelpunkt war.
 
In „Ricki“ spielt Musik – wie so oft in Ihren Filmen - eine große Rolle. Welchen Bezug haben Sie persönlich zur Musik?
Es ist der Soundtrack meines Lebens. Aber eigentlich gilt das für alle Menschen. Musik ist die ideale Begleitung in unser aller Leben. Wissen Sie, warum Musik so wichtig für mich ist? Ich gehöre der Generation Radio an. Als ich aufwuchs, spielte das Radio den ganzen Tag. Außerdem wurde ich als Kind oft allein gelassen. Mein Vater war arbeiten. Meine Mutter war Alkoholikerin, die aber später zum Glück davon wegkam. Ich war allein, Musik aus dem Radio war mein Begleiter durch mein frühes Leben. Und die Musik hat mich nie verlassen.  
 
Hätten Sie auch Musiker werden können?
Das glaube ich eher nicht. Aber als ich Filmemacher wurde, da war mir sehr schnell klar, dass ich die beiden Elemente – Film und Musik – miteinander kombinieren musste. Was mir wohl auch in den meisten meiner Filme ganz gut gelungen ist.
 
Was ist das Geheimnis eines guten Musikfilms? Viele versuchen es und scheitern. Sie haben zum Beispiel schon 1984 mit „Stop Making Sense“ einen Klassiker geschaffen.
Danke, dass Sie das so sagen. Ich mag den Film auch bis heute sehr gern. Was an dem so speziell ist? Ganz einfach: Richtige Zeit, richtiger Ort, richtiges Team. Die Talking Heads waren in der Form ihres Lebens. Sie sind nach unseren Dreharbeiten nie wieder in dieser Besetzung aufgetreten. Wir waren mit unseren Kameras dabei und haben diesen speziellen Geist einfangen können. Bei „Neil Young: Heart of Gold“ war es anders. Neil hatte extra Songs geschrieben und wir haben ein Konzert erfunden, bei dem diese Songs zum ersten Mal zu hören waren. Darauf reagiert das Publikum ganz speziell. Wenn man dann noch Fachleute hat, die auf Feinheiten achten und die filmen, dann kann ein großer Musikfilm entstehen.
 
In Ihren Filmen sind Familien eher nicht die perfekten Lebensmodelle. Warum?
Das ist ziemlich einfach und ich hoffe, dass ich Sie nicht beleidige. Aber in jeder Familie, auch in Ihrer, wurde dreckige Wäsche gewaschen, gab es ein dunkles Geheimnis. Man muss nur tief genug buddeln. Dann findet man was. Also zeige ich – zumindest meiner Meinung nach – ganz normale Familien.   

„,Das Schweigen der Lämmer' ist eine feministische Geschichte“ © Orion

Und wie sieht es mit Ihrem bekanntesten Film „Das Schweigen der Lämmer“ aus? Wie sehen Sie dieses Werk heute?
Wissen Sie, dieser Film wurde anders wahrgenommen, als wir ihn eigentlich gemeint haben. Versuchen Sie ihn noch einmal anzuschauen, wenn ich Ihnen Folgendes sage: Der Film ist eine triumphale feministische Geschichte. Es ist der Siegeszug der Clarice Sterling. Doktor Lecter hat in den Medien die ganzen großen Geschichten bekommen. Also haben die etwas anderes daraus gemacht, als wir hineingetan hatten. Es ist der Siegeszug von Clarice. Ich habe mit diesem Film überhaupt kein Problem. Wer kann schon von sich sagen, dass er einen Film-Klassiker erschaffen hat?
 
Wenn Sie zurückschauen, und das darf man mit 71 bestimmt: Welches Amerika-Bild zeigen Ihre Filme?
Ein hoffentlich realistisches. Das denke ich zumindest. Man soll sagen können, wenn man „Philadelphia“ oder andere Filme von mir anschaut, dass man ein wenig davon mitbekommt, wie die Zeit damals war. Ein kleines Beispiel. In „Ricki…“ gibt es eine Szene, in der Ricki die Haare gemacht werden. Diese Rolle wird von einer Frau gespielt, die mal ein Mann war. Darauf haben mich Menschen angesprochen und meinten, ob sie richtig gesehen hätten.
 
Und haben sie?
Natürlich. Es ist ein Phänomen dieser Tage, und dafür sollten wir dankbar sein, dass sich Menschen, wenn sie im falschen Körper geboren wurden, umoperieren lassen können. Ich erlebe das gerade in meiner eigenen Familie. Meine Tochter ist jetzt mein Sohn. Und genau so sollten wir Filmemacher auch diese Welt zeigen. Was mich im Kino am meisten langweilt, sind starke weiße Männer, die alle Probleme lösen. So ist die Welt nicht! In meinen Filmen sieht man, wenn man genau hinschaut, alle Arten des Lebens und der Liebe.
 
Es gab vor ein paar Wochen die Nachricht, dass Sie an Krebs erkrankt sind. Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Zeit davonläuft, dass sie plötzlich endlich ist?
Vielleicht sollte ich so denken. Aber das mache ich nicht! Ich habe einen ganz anderen Plan. Jetzt ist „Ricki“ in den Kinos und ich kann mich meinem neuen Projekt widmen. Die Aufnahmen dazu sind schon im Kasten. Es wird wieder ein Musikfilm, mit Justin Timberlake, der wie einst Fred Astaire tanzt und der eine tolle Band hat. Natürlich wird viel gesungen. Es wird eine neue Art von Konzert-Film – einer fürs 21. Jahrhundert. Darüber hinaus gibt es viele Pläne. Aber was ich jetzt erst einmal brauche, das ist ein wenig Ruhe. Um mal zu schauen, wie sich alles entwickelt.



Kritik
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