Jamie Bell
über das Neonazi-Aussteiger-Drama „Skin“
„Warum schauen Skinheads nie in den Spiegel?“
05.10.2019
Interview:
Peter Beddies
Der Engländer Jamie Bell, mittlerweile 33, zählt zu jenen Schauspielern, die sich mit einem Raketenstart im Showbiz etablierten. Die Titelrolle im Tanz-Drama „Billy Elliott“, das zum Welterfolg wurde, machte ihn mit 14 Jahren auf Anhieb zum Star. Seither verteilt Bell, der mit Schauspiel-Kollegin Kate Mara verheiratet ist, seine Arbeit auf Blockbuster („King Kong“, „Fantastic Four“) und Arthaus-Produktionen („Snowpiercer“, „Nymphomaniac“). Im Neonazi-Drama „Skin“, das auf einer wahren Geschichte beruht, spielt er nun seine schwierigste Rolle. Wir fragten Jamie Bell im FilmClicks-Gespräch, was ihm durch den Kopf ging, als man ihm anbot, einen Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene zu porträtieren.
FilmClicks: Mr. Bell, ist der US-Neonazi Bryon Widner die extremste Rolle, die Sie je gespielt haben?
Jamie Bell: Das könnte schon sein. Es wäre ja auch nie zu diesem Film gekommen, wenn der Regisseur Guy Nattiv nicht so hartnäckig gewesen wäre.
Es heißt, Sie hätten ihm zunächst abgesagt?
Vier Mal ingesamt. Das Drehbuch war zu Beginn auch nicht gut. Das haben wir zum Glück dann noch ändern können. Aber mein Hauptbedenken war: Warum einem Nazi Leinwandzeit geben? Das hat mir einfach nicht einleuchten wollen.
Zumal dieser Bryon Widner ja an manchen Stellen sympathisch wirkt.
Sehen Sie, das wollte ich erst recht nicht! Also, ich wollte schon, dass man nachvollziehen kann, was er durchgemacht hat. Aber es blinken alle inneren Warnleuchten auf, wenn es für dich als Schauspieler heißt: „Spiel doch mal einen Nazi, der in jeder Szene im Film zu sehen sein wird!“
Was hat Sie letztendlich überzeugt?
Guy meinte, dass ich mich mal mit Bryon Widner treffen sollte.
Was bestimmt nicht so einfach ging, oder?
Naja, Bryon lebt heutzutage mit Frau und Kindern irgendwo in den USA im Zeugenschutzprogramm. In dieses Irgendwo wurde ich dann geflogen und habe vier Tage lang bei ihm gesessen und mir von seinem Leben erzählen lassen.
Das stelle ich mir spannend vor. Man bekommt Zugang zu einem Menschen, den man normalerweise nicht treffen würde.
Ja, das stimmt. Aber unsere Gespräche fanden halt in seiner Garage statt und er hat in der Zeit gefühlt 3.000 Zigaretten geraucht. Irgendwann habe ich dann mal gefragt, ob wir mal das Tor aufmachen könnten, weil die Luft zum Schneiden dick war. Da habe ich direkt Panik in seinen Augen gesehen und er meinte, dass er heute noch Angst habe, dass jemand aus seinem früheren Leben kommen und ihn erschießen könnte.
Was für einen Menschen haben Sie da getroffen?
Einen Menschen mit den besten Umgangsformen. Jemand, der sehr höflich ist, der mich gleich seiner Frau und seinen Kindern vorgestellt hat. Dass dieser Jemand mal ein gewalttätiger Nazi war, das ging für mich zuerst überhaupt nicht zusammen.
Wann haben Sie das verstanden?
Verstanden ist wohl zu viel gesagt. Ich habe mir angehört, auf welchen Wegen er zum Nazi wurde. Und bei diesen ganzen Geschichten, die ich da zu hören bekam, wurde mir mal wieder klar, dass wir alle das Resultat dessen sind, was wir erlebt haben. Wenn mir zum Beispiel - als ich 14 war - nicht dieser kleine Tanzfilm „Billy Elliott“ über den Weg gelaufen wäre, dann wäre mein Leben sicher völlig anders verlaufen. Solche Überlegungen haben letztendlich dazu geführt, dass ich Bryon gespielt habe.
Was macht der Ex-Nazi Bryon Widner heute?
Er berät Aussteiger. Versucht andere Menschen zu warnen, den Weg zu gehen, den er gegangen ist. So will er wieder gutmachen, was er als junger Mensch angerichtet hat.
Haben Sie mit ihm über Reue und Vergebung gesprochen?
Ja, auf jeden Fall. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht bereut, was er früher gemacht hat. Und Vergebung? Ich glaube nicht, dass er sich jemals vergeben kann. Er arbeitet mit Beispielen, die ich schräg, aber auch irgendwie nachvollziehbar finde. Er hat mich mal gefragt, warum Skinheads ihre Haare so extrem kurz tragen. Damit sie nicht in den Spiegel schauen müssen. Weil sie sich so sehr hassen!
Mal noch etwas ganz Anderes: Was halten Sie vom Tätowieren? Hat sicher eine Weile gedauert, bis Sie jeden Tag so ausgesehen haben wie im Film.
Das hat bis zu fünf Stunden gedauert. Meine eigenen Tattoos waren dann natürlich verschwunden. Also ja, ich habe auch ein paar Tätowierungen. Aber nichts Politisches. Bei mir geht es eher um die Dinge, die mich sehr positiv beeindruckt haben. Wie zum Beispiel die Geburt meiner Kinder.