Akiz über sein Grusel-Drama „Der Nachtmahr“


„Ein Dämon kann inspirierend sein“

27.05.2016
Interview:  Gunther Baumann

In seiner Jugend war er zwei Mal für den Studentenfilm-Oscar nominiert: „Nachtmahr“-Regisseur Akiz © Lula Bomha / Luna

Der Berliner Künstler und Filmemacher Achim Bornhak alias Akiz hat mit „Der Nachtmahr“ ein Grusel-Drama gedreht, das das Zeug zum Kultfilm hat. Techno-Beats und berauschende Farben sind das Fundament für eine Fantasy-Story, in der die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) Bekanntschaft mit einem düsteren Fabelwesen schließt – dem Nachtmahr eben. Im FilmClicks-Gespräch erzählt Akiz, wie es ihm gelang, den hoch gehypten Film mit dem Mini-Budget von 80.000 Euro zu realisieren.  Und warum man sich vor seinem Kino-Monster nicht zu fürchten braucht.


Das Fundament des Films: Berauschende Farben und Techno-Beats © Luna Film

„Der Nachtmahr“ wird von etlichen Kritikern als Horrorfilm bezeichnet. Stimmen Sie dieser Einordnung zu?

Akiz: Nein, gar nicht. Ein Horrorfilm basiert auf dem Konzept, dass der Protagonist physischer Gewalt ausgesetzt ist und dass man als Zuschauer Angst hat um sein Leben. In „Der Nachtmahr“ ist es aber in kürzester Zeit klar, dass von dem geheimnisvollen Wesen, das im Mittelpunkt der Geschichte steht, keine Gefahr ausgeht. Es hat auch keine Zähne – wo gibt’s ein Monster ohne Zähne? „Der Nachtmahr“ ist ein dunkler Film. Aber kein Horrorfilm. Ich wäre bitter enttäuscht, wenn ich einen Horrorfilm ansehen wollte und dann „Der Nachtmahr“ vorgeführt bekäme.
 
Heißt das, Sie warnen Horror-Fans vor Ihrem Film?
Nein, warnen möchte ich niemand. Ich finde nur diese strengen Genre-Begriffe ein bisschen antiquiert. Früher, da gab es zum Beispiel Liebesfilme oder Abenteuer. Aber heute? Was ist „Breaking Bad“ für ein Genre oder „The Revenant“? Oder nehmen wir David Lynch, mein allergrößtes Vorbild. Seine Filme nennt man, glaube ich, Mystery. Das ist aber auch ein schwammiger Begriff. Im Fall von „Der Nachtmahr“ war es eine Schwierigkeit bei der Finanzierung, dass man das Projekt genremäßig nicht definieren konnte. Coming of Age trifft es nicht, obwohl die Hauptfiguren Teenager sind, und Science Fiction stimmt auch nicht, obwohl „E.T“-Referenzen drin sind. Aber unsere Figur ist kein Alien. Schlussendlich haben wir den Film ohne Förderung gemacht. Für 80.000 Euro.
 
80.000 Euro? Wie funktionierte das denn?
Das ging, weil ich als Bildhauer unsere „Nachtmahr“-Figur gebaut habe, die war also schon einmal da. Wenn man so etwas in Auftrag gibt, kostet es ein Vermögen. Außerdem hat niemand, der bei dem Film mitmachte, Geld dafür bekommen. Die Leute waren, so wie ich, einfach deshalb an dem Projekt interessiert, weil es etwas Neues ist.
 
Ich habe gelesen, dass Sie diese Figur, die im Mittelpunkt von „Nachtmahr“ steht, schon vor Jahren als Plastik hergestellt haben – und dass Sie erst später auf die Idee kamen, dieser Figur einen Film zu widmen.
Genau. Die Figur war als Statue ein Betonguss. Ich hatte damals die Idee, eine Mischform aus einem ganz, ganz, ganz alten Menschen und einem fötusartigen, embryonalen, ganz jungen  Menschen zu machen. Das ist es auch geworden. Über die Jahre entwickelte sich das Projekt weiter zu einer Puppe. Bis zu dem Moment, als ich die Animatronic-Puppe hatte, wollte ich eigentlich keinen Film drehen. Erst gab es also die Skulptur, dann wollte ich Fotos machen, und schließlich hatte ich die Idee zu einer Szene, in welcher der Dämon mit einem Mädchen autofährt. Ich wollte dieses rauschhafte Gefühl ausdrücken, wie die zwei sprachlos durch die Nacht fahren. Was ja dann auch in den Film Eingang gefunden hat und eine Schlüsselszene geworden ist.
 
Sie sprachen anfangs nur von einer Figur, jetzt von einem Dämon. Was hat es mit dem Wesen auf sich?
Ja, es ist ein Dämon, aber damit kann man verbinden, was man will. Ein Dämon kann negativ oder positiv bewertet werden - zum Beispiel als chaotische Kraft und Energieform, die einen inspiriert und zu Höchstleistungen antreibt.  Ein Freund und Künstlerkollege, der mich gut kennt, sagte, in meinen Geschichten gehe es immer um  eine chaotische Energie, die auf eine Ordnung trifft. Durch Chaos und Ordnung entsteht Reibung, und dadurch der Konflikt. Das trifft letztlich auf den „Nachtmahr“ auch zu. Der kommt aus dem Nichts, hat etwas Fötusartiges. Ein Mädchen sagte mir, für sie sei er ein Symbol für eine Abtreibung oder eine ungewollte Schwangerschaft. Jemand anderer sagte: Ist doch klar, es geht um Bulimie.

Sie begegnet dem Dämon: Carolyn Genzkow in „Der Nachtmahr“ © Luna Film

Mir fiel zu dem Dämon ein, dass das Mädchen, das ihm begegnet, die Schattenseiten ihrer eigenen Persönlichkeit auf diese andere Figur projiziert.
Ja, genau. Ich habe mit Carolyn Genzkow, der Darstellerin, wenig über die Interpretation der Figur geredet. Aber wenn, dann deuteten wir den Dämon als Verkörperung für die ungeliebten Aspekte an einem selbst. Ich behaupte, dass jeder Mensch spätestens als Teenager mit so etwas konfrontiert wird. Die einen bekommen Pickel – und ich zum Beispiel habe als Kind gestottert. Jeder hat sein eigenes Problem: Das Elternhaus, oder man kann sich die richtigen Klamotten nicht leisten, oder man hat das falsche Smartphone. Jeder Mensch hat irgendwas, von der er sagt, es sei ihm peinlich.
 
Wir haben im Film also das Mädchen und den Dämon, und wir haben Chaos und Ordnung. Welcher der beiden repräsentiert denn was?
Natürlich ist der Dämon das Chaos. Sein bloßes Auftauchen löst einen Tumult aus. Aber das verändert sich im Lauf der der Geschichte: Der Dämon bringt auch Ruhe. Für mich findet das Mädchen am Ende zu sich selbst. Wo immer sie hingeht – es wird besser sein als dort, wo sie herkommt.
 
Warum wird das Mädchen von einem männlichen Dämon besetzt und nicht von einem weiblichen?
Die Hauptfigur des Films hätte auch ein Junge sein können, definitiv. Ich glaube, dass es deswegen ein Mädchen geworden ist, weil es diesen Archetyp gibt, die Schöne und das Biest. Wir haben also das ganz Alte und das Junge als Kontrast, das Hässliche – und was gibt es dann Schöneres als ein junges attraktives Mädchen?
 
Um gleich bei der jugendlichen Schönheit zu bleiben: Warum tragen die Mädchen im Film ständig so extrem kurz geschnittene Kleidchen? Gab’s wegen der Budget-Not kein Geld für mehr Textil?
(Lacht) Die Mädchen tragen das, weil dieser Stil üblich ist in den Clubs. Ich bekomme manchmal den Vorwurf, meine Filme seien zu vulgär oder zu sexuell. Ich finde aber, dass im „Nachtmahr“ keine sexuelle Spannung herrscht zwischen dem Mädchen und dem Dämon. Im „Nachtmahr“ gibt es kein Testosteron, im ganzen Film nicht.
 
Stichwort Clubbing: Zu Beginn des Films zeigen Sie eine sehr lange Clubbing-Szene mit sehr lauten Techno-Sounds. Ist das eine Hürde, die Techno-Verweigerer überwinden müssen?
Für mich hat diese Sequenz eine Faszination – sie saugt einen in den Film rein. Dann aber entsteht etwas Unangenehmes und Bedrohliches daraus. Mit einem ganz harten Track, der für mich wirken musste wie ein Schraubenzieher-Bohrer. Ich bin übrigens selbst kein Techno-Fan. In meiner Playlist kommt Techno nicht vor. Also, ich habe die Techno-Szene miterlebt und auch gelebt, ohne dass ich selbst Techno-Jünger war. Ich habe Techno immer als kollektives, tranceartiges, rauschhaftes Ritual empfunden. Aber die Musik, die die Kids heute hören, das ist Hip-Hop. Ein physischer Balztanz zwischen Mann und Frau.  
 
„Nachtmahr“ ist ein Film, der einen gewissen Hype entfacht hat und der in den Kinos abheben könnte. Wenn die Produktion nur 80.000 Euro gekostet hat – dann könnte die Produktion ja noch richtig Geld verdienen.
Ja, das wäre schön. Aber daran glaube ich nicht. Alle Beteiligten haben auf Rückstellung gearbeitet. Das heißt, jeder müde Euro, der hereinkommt, wird wie mit der Gießkanne erst einmal auf alle verteilt, die umsonst mitgemacht haben. Wenn man den Wert dieser Arbeit in Geld beziffert, dann landen wir schon bei Kosten von 1,3 Millionen Euro. Vielleicht ist Ihnen unser Abspann aufgefallen: Der ist wie bei „Herr der Ringe“, der hört gar nicht mehr auf, weil so viele Leute ohne Gage dabei waren. Die werden natürlich sofort als erste bedient. Das will ich so.
 
Wie ist es Ihnen denn gelungen, so ein großes Team ohne Honorare zu verzichten?
Ich behaupte, das lag daran, dass die Kreatur, der Dämon, schon da war. Es war unmöglich, eine Finanzierung für den Film aufzustellen – aber dann kamen die Leute von alleine. Und es wurden immer mehr. Der größte Star, den wir im Film haben, ist Kim Gordon, die Frontfrau von Sonic Youth. Sie spielt eine Englisch-Lehrerin. Ich hatte sie zufällig kennengelernt und wir sprachen über die Möglichkeit, einmal gemeinsam zu arbeiten. Allerdings sagte ich ihr, wir haben kein Geld, und sie antwortete, das sei kein Problem. Sie hat, um zum Dreh zu kommen, ihren Flug selbst bezahlt. Überzeugen musste ich bei diesem Projekt niemanden.



Kritik
Der Nachtmahr
„Der Nachtmahr“: Der Berliner Filmemacher Akiz drehte ein faszinierendes Grusel-Drama, in dem eine 17-Jährige (Carolyn Genzkow) einem Dämon begegnet. Doch bald verliert sie die Angst vor dem geheimnisvollen Wesen. Mehr...