David Fincher über seinen Thriller „Gone Girl“


„Ein guter Film verlangt, dass man um ihn kämpft“

29.09.2014
Interview:  Peter Beddies

David Fincher: „Hier sitzt kein Genie vor Ihnen, das einfach so einen Film aus dem Ärmel schüttelt" © 2014 20thCentury Fox

David Fincher: Der Mann ist erst 52 Jahre alt. Aber schon jetzt wird er als Klassiker des Kinos bezeichnet. Er ist kein schneller Arbeiter. Gerade mal zehn Filme hat er seit seinem Regie-Debüt mit „Alien 3“ vor 22 Jahren gedreht. Doch da sind einige Meisterwerke drunter.  Von „Sieben“ und „Fight Club“  über „Panic Room“ bis zu „The Social Network“ und „The Girl With The Dragon Tattoo“. Nun hat sich Fincher einmal mehr einem Bestseller zugewandt: „Gone Girl“ von Gillian Flynn. Entstanden ist ein packender Ehe- und Rache-Thriller. David Fincher beim FilmClicks-Interview in Berlin: „Da steckt viel Hitchcock drin. Ich mag es, nach Gründen und Abgründen zu suchen.“


FilmClicks: Viele Menschen schwärmen von Ihren Filmen. Die sind preisgekrönt. Erfolge an den Kinokassen. Wie beginnt so ein Projekt bei Ihnen?
David Fincher: Es ist jedes Mal dasselbe. Es gibt nur einen Moment, der wirklich toll ist. Das ist das Lesen des Drehbuchs zum allerersten Mal. Da finde ich einen idealen Zustand vor, dem ich mich dann – in 18 Monaten bis zwei Jahren – versuche, immer wieder anzunähern. Ob es gelingt, darf auf diesem Weg ständig bezweifelt werden.
 
Das klingt nicht gerade nach Spaß.
Nein, das ist es auf keinen Fall. Es ist ein Prozess des andauernden Scheiterns und der Kompromisse. Hier sitzt kein Genie vor Ihnen, das einfach mal so einen Film aus dem Ärmel schüttelt. Ein guter Film verlangt danach, dass man um ihn kämpft. Ich werde von Studenten oft gefragt, was das Schwierigste am Regieführen ist. Und ich sage jedes Mal: „Dass Du Deine Geschichte erzählst – wieder und wieder“. Wenn ich einen Film drehe, muss ich meine Geschichte mindestens eintausend Mal erzählen. Den Leuten vom Studio und meinen Schauspielern und so weiter und so fort. Das ist auf der einen Seite sehr anstrengend. Aber auf der anderen auch sehr nützlich. Denn jedes Mal, wenn Du die Geschichte erzählst, straffst Du sie ein wenig. Jedes Mal fällt Mist weg. Bis nur noch das Gerüst übrig bleibt.
 
Und wenn Sie dann drehen?
Treibe ich alle Leute um mich herum zur Weißglut. Also nicht immer, aber das kann passieren. 

David Fincher mit Ben Affleck: „Ich bin auf der Suche nach einem bestimmten Moment“ © 2014 20th Century Fox

Weil Sie ein Pedant sind oder ein Perfektionist?
Ich würde sagen, weil ich auf der Suche nach einem bestimmten Moment bin. Nehmen wir den Dreh zu „Gone Girl“: Sicher gibt es Menschen in meiner Crew, die meinen, es wäre okay, einfach so zu filmen, wie Ben Affleck einen Raum betritt. Aber ich suche nach diesem einen Moment, in dem Ben stoppt oder zögert oder sich sein Kinn bewegt, weil er vielleicht etwas zu verbergen hat. Und dann muss die Kamera auch stoppen. Denn in meinem Verständnis ist der Zuschauer der Geist im Raum, der alles verfolgen soll. Ich muss ihm etwas in die Hand geben, damit er in eine gewisse Richtung gelenkt wird. Wie oft die Richtung wechselt, das ist dann wiederum mein Job.
 
Wenn Sie den Film mit Vor- und Abspann sehen…
…dann sehe ich ihn zum ersten Mal fertig. Aber ich habe ihn davor schon ungefähr 100 Mal gesehen. Was dann passiert, ist folgendes. Ich kenne dieses Werk in- und auswendig. Worauf es ankommt, ist einzig und allein, dass ich das Gefühl wieder aufrufen muss, das ich beim ersten Lesen des Drehbuches hatte. Wenn sich das mit dem fertigen Film deckt, dann ist der Film nach meinen Maßstäben gelungen.
 
Warum nehmen Sie uns als Zuschauer eigentlich immer wieder mit in einen Kreislauf aus Lügen und Verrat, Mord und Spannung?
Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Ich finde „Gone Girl“ auch nicht zu grimmig. Ich denke, der Film hat auch lustige Phasen. Es gibt ja verschiedene Gründe, warum Menschen ins Kino gehen. Die einen sehen gern, wie sich ein Superheld der Welt gegenüber erklärt und diese Position dann verteidigt. Wie ganze Städte und Welten zerbersten. Solche Filme starten beinahe jede Woche. Die muss ich nicht machen. Was mich an der Vorlage von „Gone Girl“ gereizt hat, das war die Ehe, die hier seziert wurde – hauptsächlich von Medien, die immer auf der Suche nach einem Skandal sind. Welche Beziehung hält das schon aus? In diesem Material steckte viel Hitchcock drin und Medienkritik und so weiter und so fort. Nur um die Spannung ging es mir also nicht.
 
Kann man sagen, dass Sie irgendetwas grundsätzlich an Stoffen interessiert?
Eigentlich nicht. Es geht mir – wie soll ich das beschreiben? Es geht wieder um einen Moment. Ich beschreibe gern Menschen, die sich auf ihrem ganz normalen Ausdauer-Lebensweg befinden. Immer wieder geht die Sonne auf und unter. Aber plötzlich eines Tages… Da fängt es dann an, spannend zu werden. Aber ich beginne nie mit dem Augenblick, der alles verändert. Ich möchte zeigen, wie es dazu kam, dass zum Beispiel zwei Menschen sich nicht mehr lieben. Oder wieso Menschen die Kontrolle über ihr Leben verlieren. Ich mag es, nach Gründen und Abgründen zu suchen.
  
David Fincher mit Rosamund Pike: „Meine Hauptfigur Amy sollte wie eine Traumfrau aussehen“ © 2014 20th Century Fox

Eigentlich hatte sich Reese Witherspoon die Rechte an „Gone Girl“ gesichert und wollte auch die Hauptrolle spielen. Aber Sie haben sich für Rosamund Pike entschieden. Im Nachhinein betrachtet, die perfekte Entscheidung. Woher wussten Sie das?

Tja, wie entscheidet man sich für das, was später mal perfekt genannt wird? Vielleicht, weil sie einfach so für ein Gespräch – wir hatten noch nicht mal ein Drehbuch – von London nach St. Louis geflogen kam? Möglicherweise verstand ich sie da so gut, dass ich überzeugt war, meine Amy gefunden zu haben? Ich kann nur sagen, dass ich irgendwann ein Bild von Amy in meinem Kopf hatte. Sie sollte in meinem Film so aussehen wie Carolyn Bessette-Kennedy (die Ehefrau von John F. Kennedy Jr., die 1999 mit ihrem Mann bei einem Flugzeugabsturz starb, Anm). Ich hatte Fotos von ihr gesehen, als ich ein Jugendlicher war. Und irgendwie ein Foto von ihrem Begräbnis im Kopf. Als ich dann Bilder von Rosamund sah, stellte ich eine große Ähnlichkeit fest. Amy sollte wie eine Traumfrau aussehen. Und das hatte ich in Rosamund gefunden.
 
Kennen Sie das Rezept für eine gute lang anhaltende Ehe?
Aber sicher. Es gibt nur eines: Frühes Dahinscheiden.




Kritik
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