Vanessa Lapa
über Heinrich Himmler und ihren Film „Der Anständige“
Dokumente des Grauens
27.10.2014
Interview:
Gunther Baumann
„Der Anständige“: Die israelische Filmemacherin Vanessa Lapa hat aus Dokumenten des Grauens einen fesselnden Film gemacht. Die zahlreichen erhaltenen Briefe von Heinrich Himmler, als Reichsführer SS während der Nazi-Diktatur einer der Hauptschuldigen am Holocaust, dienten ihr als Fundament für ein Filmporträt des gefürchteten Mannes. Himmler legte in seiner Korrespondenz Wert darauf, als „anständiger Mann“ angesehen zu werden; daher der Titel der Dokumentation. Die Welt und auch Vanessa Lapa haben dem Nazi freilich einen anderen Platz zugewiesen: „Er war kein Monster, sondern ein Mensch, der in seinem Leben die schlimmsten Alternativen auswählte“, so die Regisseurin im FilmClicks-Gespräch.
FilmClicks: Was hat Sie an den Briefen von Heinrich Himmler so sehr interessiert, einen Film daraus zu machen?
Vanessa Lapa: Als ich das Material bekam, habe ich erst einmal sechs Wochen gezögert. Ich bin keine Voyeuristin, ich fühle mich unbehaglich, wenn ich aus dem Privatleben anderer Leute lese. Umso mehr, wenn es um Heinrich Himmler geht. Lassen Sie mich es so sagen: Wir sind immer sehr an Menschen interessiert, denen es gelingt, die Welt im positiven Sinne zu verändern. Hier erfahren wir etwas über einen Menschen, der die Welt im schlechten Sinne veränderte, und das ist sehr wichtig. Denn von einem schrecklichen Mann wie Heinrich Himmler können wir lernen, was wir nicht tun sollen. Himmler wirklich zu verstehen, ist für mich aber auch nach der Arbeit an diesem Film unmöglich, auch wenn wir einige Antworten auf die Frage nach seiner Psyche gefunden haben.
Haben Sie eine Vermutung, wie aus Heinrich Himmler der Befürworter und Mitorganisator des Holocaust wurde?
Ich bin überzeugt davon, dass Himmler ein Mensch war – kein Monster. Ich glaube, ihm war bewusst, dass er die Wahl hatte, in welche Richtung er gehen sollte. Und er wählte die – meiner Meinung nach – schlimmsten Alternativen aus. Es wäre leichter, sich Himmler als Monster vorzustellen oder als ein Wesen mit Hörnern. Aber in seiner Bücherliste fand ich zum Beispiel Autoren wie Oscar Wilde. Er hatte schlechte Tage in der Schule, er litt darunter, dass ihn andere nicht mochten – all das sind Probleme, die sehr viele Menschen kennen. Warum er dann, als es um seine Lebensentscheidungen ging, diese schlimme Wahl traf, das kann ich nicht begreifen.
Entschieden Sie von Beginn an, den Film ohne Kommentar zu drehen und nur Himmler und seine Umgebung in eigenen Worten sprechen zu lassen?
Nein. Ursprünglich hatte ich vor, seine Großnichte, die Autorin Katrin Himmler, zu interviewen und den Historiker Michael Wildt. Ich wollte auch einen Psychologen und einen Graphologen befragen. Als wir begannen, mit Himmlers Briefen zu arbeiten, wussten wir nicht, was uns erwarten würde. Wir waren erst einmal damit beschäftigt, seine Briefe überhaupt zu verstehen, die im alten Schriftbild des Sütterlin-Deutsch geschrieben sind. Also transkribierten wir die Texte in ein modernes Deutsch. Als ich dann realisierte, welch reiches Material in Himmlers Briefen zum Vorschein kam – das würde für 20 Filme reichen -, änderte ich das Konzept für den Film. Jetzt sollte Himmler selbst sprechen, so wie auch Marga, seine Frau, oder seine Eltern.
Es muss eine verdammt harte Arbeit sein, aus so viel Material ein 90-Minuten-Filmdrehbuch zu machen.
Das war in der Tat harte Arbeit. Einerseits deshalb, weil die privaten Briefe Himmlers ja nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Vieles, was er schreibt, ist sehr langweilig – anders als etwa in den Tagebüchern von Goebbels. Die zweite große Herausforderung: Der Film musste auch ohne Zitate
über Himmler für das Publikum verständlich sein. Das war sehr schwirig, aber es trieb uns an, für alle Probleme kreative Lösungen zu finden. Ein Beispiel: Wenn ich etwas über Himmler ausdrücken wollte, dann suchte ich in den Briefen seiner Eltern.
Schrieben Sie erst das Drehbuch fertig, bevor Sie mit der Auswahl des Bildmaterials begannen?
Ja. Als es dann so weit war, entschieden wir, keine Propaganda-Bilder zu verwenden. Der Text beginnt in Himmlers Geburtsjahr 1900, und da gab es natürlich noch keine Propaganda-Bilder. Also suchten wir privates Bildmaterial aus den Jahren 1900 bis 1945. Meistens passten wir die Bilder dem Text an, aber manchmal mussten wir auch das Skript noch einmal modifizieren, um besonders großartige Bilder unterzubringen, die die Geschichte besser erzählten als Worte.
Obendrein stützten Sie sich ja vorwiegend auf Stummfilme.
Genau. Das war dann die dritte Herausforderung. Die Klangwelt wurde möglichst authentisch aufgebaut. Wenn etwa ein Auto der frühen Marke Dixi zu sehen war, dann brauchten wir dazu auch den Klang eines Dixi. Unser Ziel war es, den Sound für das Publikum zu einer eigenen Erfahrung zu machen, über die Klangwelt, in der Himmler und seine Familie lebten.
Wie fanden Sie Tobias Moretti und Sophie Rois als Sprecher der Texte von Heinrich und Marga Himmler?
Wir wollten auch hier dem Originalmaterial treu bleiben. Also suchten wir nach Sprechern, die im gleichen Alter waren und einen ähnlichen Dialekt sprachen wie Himmler und seine Frau. Wir suchten auch einen Sprecher, der einen Sohn und eine Tochter hat, die dann den jungen Himmler und seine Tochter Gudrun sprechen konnten. Tobias Moretti war die perfekte Wahl. Und das Gleiche gilt auch für Sophie Rois.