James McAvoy


In der finsteren Welt der Obsessionen

27.11.2013
Interview:  Gunther Baumann

Ein heimtückischer Polizist, der seine Umwelt quält: James McAvoy in „Drecksau“ © Luna Film

Der schottische Filmstar James McAvoy, bekannt geworden durch „The Last King of Scotland“ und romantische Kostümfilme wie „Abbitte“, ist längst im Blockbuster-Kino angekommen. Seinen zweiten „X-Men“-Film, „Zukunft ist Vergangenheit“, hat er abgedreht. Demnächst wird er als neuer „Frankenstein“ vor der Kamera stehen. Doch jetzt kann man ihn in einem radikalen Arthaus-Film erleben. In „Drecksau“ zeigt McAvoy, dass sein strahlendes Lächeln auch zur Fratze werden kann. Er spielt er einen heimtückischen Polizisten aus Edinburgh, der seine Umwelt mit Intrigen, Verschlagenheit und Brutalität quält. Die Romanvorlage des Films  stammt von „Trainspotting“-Autor Irvine Welsh. James McAvoy erzählt im Interview, was ihn daran reizte, in Welshs finstere Welt der Obsessionen einzutauchen.


FilmClicks: James McAvoy, würden Sie zustimmen, dass der korrupte und sexbesessene Cop Bruce Robertson in „Drecksau“ die düsterste Rolle ist, die Sie je gespielt haben?
James McAvoy: Ich habe unlängst am Theater in London Shakespeares „Macbeth“ gespielt – der ist eine noch dunklere Figur. Aber was meine Filme betrifft, trifft das auf Detective Robertson sicher zu.
 
Was hat Sie an einer so zwiespältigen Figur interessiert?
„Drecksau“ hat eines der drei besten Drehbücher, die ich je gelesen habe. Außerdem gab mir der Film die Möglichkeit, etwas zu machen, das nicht konservativ ist. Und schließlich kommt dieser Film aus meinem Land, aus Schottland. Darauf bin ich sehr stolz.
 
Detective Robertson ist eine Romanfigur von Irvine Welsh, dem Autor von „Trainspotting“. Der erfindet gern Charaktere, die neben der Spur stehen. Der Polizist aus Edinburgh ist da keine Ausnahme.
Der Film gab mir die Möglichkeit, einen Menschen mit einer psychischen Erkrankung zu porträtieren; in einer sehr dynamischen, manischen Weise. Ich fand das sehr, sehr spannend  - vor allem im Vergleich zu eher traditionellen Charakteren. Natürlich ist „Drecksau“ kein realistisches Sozialdrama. Die Figuren haben zwar eine Grundierung in der Wirklichkeit, aber nur in der Art, wie Charles Dickens seine Charaktere entwarf. In einer Art Hyper-Realismus, einer Übersteigerung der Wirklichkeit.

 
„Eine Übersteigerung der Wirklichkeit“: James McAvoy (re.), Eddie Marsdan in „Drecksau“ © Luna Film

Da wollen wir mal hoffen, dass echte Polizisten nicht so sexistisch, gierig, bestechlich und intrigant sind wie in diesem Film…
Natürlich. Aber warum sind wir in der Kunst so fasziniert von Typen wie Richard III., von Jago oder einer Serie wie „Blackadder“? Vielleicht, weil uns diese Leute und diese Geschichten in unserem Verdacht bestärken, dass die Mächtigen und Regierenden alle betrügerisch veranlagt sind. Auch wenn wir hoffen, dass das so nicht stimmt. 
 
Zuletzt drehten Sie Ihren zweiten „X-Men“-Film, der 2014 ins Kino kommt. Wie wird denn „Zukunft ist Vergangenheit“?
Wir hatten einen tollen Cast mit Leuten wie Hugh Jackman, Jennifer Lawrence, Ian McKellen, Halle Berry oder Michael Fassbender – die meisten haben schon Oscars gewonnen. Das bringt natürlich eine hohe Qualität in den Film, umso mehr, als die familiäre Atmosphäre des letzten Films „X-Men: Erste Entscheidung“ erhalten blieb.
 
Warum ist die „X-Men“-Serie so ein Welterfolg geworden?
Das mag damit zusammenhängen, dass es hier um rechtlose Leute geht, die irgendwie ghettoisiert wurden. Die Mutanten verbergen, wer sie wirklich sind. Sie werden wegen ihrer Talente verfolgt. Damit können sich viele Menschen identifizieren, wenn sie an ihre Jugend und ihre Schulzeit denken. Zugleich sind die X-Men aber Superhelden. So etwas kommt an.
 
In Ihrem nächsten großen Film  geht es nicht um Superhelden, sondern um ein Supermonster: Ein neuer „Frankenstein“ steht bevor.
Stimmt, ich spiele den Dr. Frankenstein, und Daniel Radcliffe den Igor. Jessica Brown Findlay ist als Lorelei dabei, eine Trapezkünstlerin. Ich freue mich schon sehr auf den Dreh mit Regisseur Paul McGuigan. Es wird weder ein traditioneller noch ein moderner „Frankenstein“. Der Film konzentriert sich stark auf das Verhältnis zwischen Frankenstein und seinem Gehilfen Igor. Und das Monster, das von Frankenstein erschaffen wird, ist ein richtiges Monster. Ich sehe bei dem Projekt Parallelen zu „Drecksau“: Es geht um einen bestimmten Grad von Verrücktheit und Wahnsinn, verbunden mit einer alles verzehrenden Obsession und Leidenschaft. Solche extreme Rollen zu spielen, reizt mich derzeit sehr. Das kann großen Spaß machen.
 
Bis dato haben Sie die Kinogeher aber eher in sympathischen oder romantischen Rollen erlebt. Wollen Sie nicht länger der nice guy sein?
Nein. Bei „X-Men“ habe ich eine positive Rolle, und nächstes Jahr kommt das Beziehungsdrama „The Disappearance of Eleanor Rigby“ heraus, in dem ich – neben Jessica Chastain – einen netten Mann spiele. Aber ich denke, wenn man älter wird, dann bekommt man mehr Gelegenheiten, gepeinigte Charaktere zu spielen. Die Angst von Teenagern ist nicht so interessant, doch die seelischen Leiden von Erwachsenen geben dramatisch sehr viel her. Die Rollen werden einfach interessanter, wenn man den Dreißiger überschritten hat – es ist Jesus-Zeit für mich, 33… (lacht).
 
Kehren wir noch mal zu dem obsessiven Inspektor Robertson in „Drecksau“ zurück. Wie haben Sie sich dieser Rolle genähert?
Ich habe darüber nachgedacht, warum er so ausfällig und gewalttätig ist. Meine nächste Frage war, warum er seelisch krank wurde, und das liegt daran, dass die Wurzeln in seiner Kindheit liegen, als er selbst von seinem Vater misshandelt wurde. So böse, rassistisch und sexistisch dieser Mann auch sein mag – tief in seinem Inneren hat er einen Funken Menschlichkeit verborgen. Er wurde missbraucht und missbraucht nun andere Menschen. Er weiß, dass es für ihn keinen Ausweg gibt und keine Vergebung.  Doch mit diesem Rest an Menschlichkeit in ihm - damit ich mich ein bisschen identifizieren.
 
Sehen Sie Parallelen zwischen „Drecksau“ und „Trainspotting“, dem anderen verfilmten Roman von Irvine Welsh?
Natürlich, schließlich wurden beide Geschichten vom selben Autor geschrieben. Die Art des  Humors und auch der Schauplatz, Edinburgh, sind ident. „Trainspotting“ war ein Film über die Jugend, der mit der Aufforderung, das Leben zu wählen, endete. In „Drecksau“ geht es um das Gegenteil, und um die Qualen eines erwachsenen Mannes. „Drecksau“ ist viel hoffnungsloser als „Trainspotting“.
 
„,Drecksau‘ ist viel hoffnungsloser als ,Trainspotting‘“: James McAvoy © Luna Film

Sie sind Schotte, Irvine Welsh ist Schotte, „Drecksau“ ist ein schottischer Film. Daher noch eine politische Frage: Halten Sie es für möglich, dass sich Schottland beim geplanten Referendum 2014 von Großbritannien abspaltet?

Das weiß ich nicht. Da halte ich mich raus. Ich habe noch keine Meinung dazu, aber wenn ich mich entscheide, werde ich meine Meinung gewiss niemandem verraten. Ich glaube aber, dass ich gar nicht wahlberechtigt bin, weil ich in London lebe.



Kritik
Drecksau
James McAvoy glänzt in einem gar nicht glanzvollen Film: In „Drecksau“ spielt er einen korrupten, sexistischen und seelisch kranken Cop. Mehr...