„Der späte Kinderwunsch ist eine Metapher“
30.04.2014
Interview:
Gunther Baumann
Dass Deutschlands Topstar Iris Berben eine Vorliebe für starke, eigenwillige Frauenfiguren hat, weiß man nicht erst seit ihrem TV-Serienhit „Rosa Roth“. In „Miss Sixty“ spielt Berben nun eine Frau, die neben (beruflicher) Stärke auch ein Schwäche an sich entdeckt: Gerade 60 Jahre alt geworden, wünscht sich die Molekular-Biologin Luise ein Baby. Und zwar ein eigenes. Im Zusammenspiel von Iris Berben und Edgar Selge wird aus diesem Plot eine wunderbar kluge und beschwingte Kino-Komödie.
Frau Berben, in der Komödie „Miss Sixty“ beschließt Ihre Filmfigur Luise, dass sie gern mit 60 Jahren noch Mutter werden möchte. Was halten Sie denn von so einer Idee?
Iris Berben: Ich kann mir so etwas nur in wirklichen Ausnahmefällen vorstellen. Wir wissen, dass es heute die medizinischen Möglichkeiten für sehr späte Mutterschaften gibt. Das Problem ist aber nicht so sehr, dass man das machen kann – sondern das Warum. Warum kommen Frauen auf so einen Gedanken? Das ist der Knackpunkt. Warum gibt es Frauen, die ein Social Freezing machen und ihre Eizellen einfrieren lassen, weil sie den Zeitpunkt ihres Mutterwerdens selbst bestimmen und erst einmal Karriere machen wollen? Da gibt es nach wie vor ein absolutes Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen: Es zeigt sich, dass man als Frau Kinder und Karriere eben nicht so leicht miteinander vereinbaren kann. An dieser Schraube muss gedreht werden. Wir müssen es schaffen, dass Frauen beides können. 60 Jahre, wie bei Luise im Film, sind natürlich ein besonders spätes Alter. Hier ist der Kinderwunsch eine Metapher dafür, dass diese Frau das Gefühl hat, alles im Leben verpasst zu haben.
Mir kommt bei diesem Thema in „Miss Sixty“ die Position des Kindes ein wenig zu kurz: Das Kind hätte eine 80-jährige Mutter, wenn es seine Schulausbildung abschließt.
Das sind genau die Fragen, die man sich stellen muss. Deswegen sage ich ja, der späte Kinderwunsch im Film ist eine Metapher dafür, dass diese Frau plötzlich das Gefühl hat, sie müsse alles nachholen, was sie versäumt hat. Letztlich geht es gar nicht um das Kind. Luise ist eine Frau, die Gefühle sucht, einen anderen Menschen sucht, und die erst jetzt erkennt, dass es im Leben auch etwas anderes gibt als den Beruf. Sie macht sich sehr wohl Gedanken, wie das für ihr Kind werden könnte. Schließlich sagt sie an einer Stelle im Film: „Ich hatte meine Mutter 60 Jahre lang, und das war noch zu kurz.“ Luise ist letztlich sehr kritisch mit sich selber.
„Miss Sixty“ ist eine wunderbar leichte und smarte Komödie geworden. Waren Sie von Anfang an begeistert von diesem Projekt?
Ja, von Anfang an. Ich war sofort überzeugt von diesem Drehbuch, seiner Lässigkeit und seinen wunderbaren Dialogen. Aber der Anfang ist schon dreieinhalb Jahre her. Wir haben so lange gebraucht, um die Finanzierung hinzukriegen. Filmfinanzierungen sind ja generell nicht so einfach, und ich glaube, in Deutschland ist es vielleicht auch ein bisschen ein Problem, wenn man ein sehr seriöses Thema in eine Komödie packen will. Die Amerikaner können das sehr gut. Aber bei uns geht man nicht mit großer Leichtigkeit an solche Stoffe heran, sondern man glaubt, dass ernste Themen auch mit großem Ernst umgesetzt werden müssen. Ich denke aber, es ist ein größerer Reiz, ein erstes Thema in einer Komödie zu behandeln, ohne dabei die Ernsthaftigkeit anzugreifen. Bei uns kam dann noch dazu, dass „Miss Sixty“ das Regie-Debüt von Sigrid Hoerner ist. Wir saßen vielen Bedenkenträgern gegenüber. Aber man muss hartnäckig sein. Es hat sich gelohnt, zu kämpfen und so lange dranzubleiben.
Ein besonderer Genuss an „Miss Sixty“ ist Ihr Zusammenspiel mit Edgar Selge. Ist dies Ihre erste gemeinsame Arbeit?
Nein. Vor bald 20 Jahren, im Kinderfilm „Rennschwein Rudi Rüssel“, hatten Edgar und ich das erste und einzige Mal eine Szene zusammen. Wir haben uns in der Zwischenzeit gesagt, es darf auf keinen Fall wieder so lange dauern, bis wir das nächste Mal etwas zusammen machen. Einen Partner wie Edgar Selge zu haben, das ist ein Geschenk. Wir würden sehr gerne wieder einen Stoff für uns finden.
Wie wärs mit „Miss Sixty – Two“?
(lacht) Nein, nein, nein. Jetzt schauen wir erst einmal, wie „Miss Sixty“ läuft.
Erzählen Sie mir bitte noch ein bisschen mehr über Ihre Filmfigur, die Molekular-Biologin Luise.
Die ist eine smarte und sehr gescheite Frau, aber auch ein bisschen beziehungsunfähig und sozial nicht besonders umtriebig. Ich glaube, es ist eine Figur, die nach einer gescheiterten Liebe und neben einer Fürsorge für ihre Mutter, die über das normale Maß hinausgeht, sich selbst vergisst. Luise ist eine hervorragende Wissenschaftlerin, sieht ihr ganzes Lebensumfeld in der Forschung, und alles andere blendet sie aus. Einschließlich sich selbst. Durch den erzwungenen Ruhestand, in den sie katapultiert wird, ist sie plötzlich mit dem realen Leben konfrontiert. Da ist sie mit dem Thema des Älterwerdens konfrontiert – und mit Frans, gespielt von Edgar Selge, der dieses Problem das Alterns auf ganz andere Weise löst als sie. Da treffen zwei sehr unterschiedliche Menschen aufeinander.
Als Luises Mutter begegnen wir Carmen-Maja Antoni, die schon in der Krimi-Serie „Rosa Roth“ an Ihrer Seite stand.
Ist das nicht wunderbar? Das war mein Wunsch und mein Vorschlag, weil Carmen-Maja Antoni eine ganz außergewöhnliche Schauspielerin ist – und eine Erzkomödiantin. Ich finde, sie vereint zehn Golden Girls in sich. Sie hat diese Rolle ganz wunderbar ausgefüllt.
Irgendwann fällt im Film der schöne Satz, die Achtundsechziger seien heute Revoluzzer in Rente. Sehen Sie das auch so?
Die 68er-Generation hat unser Land ganz besonders geprägt. Es gibt Menschen, die sich komplett davon gelöst haben, und andere, bei denen hat die Prägung in unterschiedlicher Weise über die Jahrzehnte gehalten. Ich hoffe, ich gehöre zu den Letzteren. Die 68er-Prägung, das bedeutet für mich: nachhaken und hinterfragen und störrisch sein und nicht alles mitmachen.