Steve Coogan


„Die katholische Kirche muss sich entschuldigen“

24.02.2014
Interview:  Peter Beddies

Steve Coogan: Der britsche Komödiant schrieb das Drehbuch zum Familiendrama „Philomena“ © Universum Film

Vier Oscar-Nominierungen für „Philomena“: Das Familiendrama um eine irische Mutter (Judi Dench), die ihren Sohn sucht, der ihr einst von der katholischen Kirche entrissen wurde, behandelt einen realen und besonders krassen Fall von kirchlicher Willkür. Jetzt kommt „Philomena“ ins Kino – und neben Judi Dench darf am Sonntag auch Steve Coogan auf einen Oscar hoffen. Der britische Schauspieler, sonst eher als Komiker bekannt, glänzt als geschasster BBC-Journalist Martin Sixsmith, der Philomena Lee zu ihrem Recht verhelfen will.  Seine Einladung zur Oscar-Gala erhielt er aber nicht als Darsteller, sondern als Autor: Das Skript zu „Philomena“ ist erst sein zweites Drehbuch – und wurde gleich mit einer Nominierung bedacht.


FilmClicks: Wann haben Sie den Name Philomena Lee zum ersten Mal gehört?
Steve Coogan: Das muss ungefähr vier Jahre her sein. Damals hatte ich in mir den Drang gespürt, mal etwas anderes machen zu wollen. Ich war zwar sehr glücklich damit, dass mich alle Welt als Komiker kannte. Aber ich wollte mehr und habe ständig nach Sachen Ausschau gehalten, die mir ernstere Rollen bringen könnten.
 
Der Journalist und die Mutter: Steve Coogan und Judi Dench in „Philomena“ © Universum Film

Wo haben Sie bevorzugt geschaut?

Eigentlich überall. Aber besonders gern in Zeitungen. Dort habe ich schließlich auch immer Anregungen für lustige Sachen gefunden. Eines Tages jedenfalls ist mir beim Zeitungslesen etwas sehr Eigenartiges passiert. Ich habe, obwohl mir das selten passiert, da gesessen und habe geheult. Ich habe mich nicht mehr eingekriegt. Es war ein Artikel über das Schicksal von Philomena Lee. Wie sie als junge Frau mit ihrem unehelichen Kind in dieses irische Kloster gehen und es dort zur Adoption freigeben musste. Wie sie nach 50 Jahren mit Hilfe eines Journalisten dahinter kam, dass die Kirche zigtausende Kinder ihren Müttern weggenommen und sie nach Amerika verkauft hatte.
 
Wussten Sie gleich, dass Sie eine Hauptrolle spielen und ein Drehbuch schreiben würden?
Ach wo, davon war ich weit entfernt. Aber kennen Sie das Gefühl, dass Sie etwas so sehr empört, dass Sie etwas tun müssen? Ich habe jedenfalls all meinen Freunden von der Geschichte erzählt und die meinten dann zu mir, dass ich doch mal ein Drehbuch schreiben sollte. Und so kamen die Dinge ins Laufen. Ich habe mir die Filmrechte am Buch gesichert, das noch gar nicht veröffentlicht war. Und dann habe ich die echte Philomena getroffen und Sie gefragt, ob ich ihre Geschichte im Kino erzählen darf.
 
Sie erzählen sie ein bisschen anders als im Buch.
Dafür ist es ein Film. Wer das Buch lesen möchte, kann das gern tun. Aber ich wollte von der Beziehung zwischen Martin Sixsmith - dem Journalisten, den ich spiele - und Philomena erzählen. Wie dieses sehr ungleiche Paar sich aneinander reibt und aus der ganzen Sache gestärkt und um viele Erfahrungen reicher hervorgeht.
 
Dame Judi Dench spielt großartig wie immer.
Ohne Frage. Als sie ihre Zustimmung gegeben hatte, wusste ich, dass uns dieser Film gelingen würde. Und dann noch Stephen Frears als Regisseur, der so ganz gewisse Zwischentöne treffen kann – einfach wunderbar.
 
Kann man sagen, dass Sie Martin Sixsmith sind?
Ich würde sagen, dass wir verschiedene Dinge gemeinsam haben. Martin Sixsmith ist ja eine reale Person. Nur dass ich ihn hier fiktionalisiert habe. Aber so wie er sehe auch ich die katholische Kirche eher kritisch. Ich habe nichts gegen Menschen, die glauben. Aber auch für mich zählt das Hier und Jetzt viel stärker als das Versprechen auf das, was eventuell mal kommen mag. Die Kirche, da sind Martin und ich uns einig, ist nicht das Gebäude oder die Institution. Die Kirche sind die Menschen, die sie zu etwas Lebendigem machen.
 
Haben Sie während der Recherche für das Drehbuch versucht, mit der Kirche in Kontakt zu treten?
Ja, versucht haben wir es. Aber ohne Erfolg. Wir wollten uns gern erklären lassen, wie es dazu kommen konnte, dass sie Kirche über Jahrzehnte hinweg Kinder nach Amerika verkauft hat. Aber wie das nun mal so ist bei den Dingen, die die Kirche nicht mag. Es wird weggeschaut und geleugnet so lange es geht. Die Kirche war in unserem Fall, lassen Sie es mich so sagen, nicht besonders hilfreich.
 
Waren Sie auch in dem Kloster, aus dem die Kirche die Kinder nach Amerika verkauft hat?
Ja, da bin ich gewesen und es hat mich zutiefst erschüttert. Direkt hinter dem Kloster, das sieht man auch im Film, liegt ein Friedhof. Während die Gräber der Nonnen alle sehr gepflegt aussehen, sind die Gräber der jungen Mütter und Kinder, die dort verstorben sind, mit Gras und Unkraut überwuchert. Das ist doch ein deutliches Zeichen dafür, wie die Kirche heute diesen Skandal sieht. Meiner Ansicht nach muss sich die katholische Kirche entschuldigen. Aber davon ist sie noch weit entfernt.  



Kritik
Philomena
„Philomena“ ist ein überwältigendes Drama über einen Fall von Kindsraub durch die katholische Kirche in Irland. Der Film erhielt vier Oscar-Nominierungen. Mehr...