„Widme den Oscar allen, die unter der Sklaverei litten oder heute noch leiden“
03.03.2014
Interview:
Matthias Greuling
„Ich widme diesen Oscar allen, die unter der Skalverei gelitten haben oder heute noch leiden“, rief Steve McQueen ins Mikrofon: Der dunkelhäutige Brite holte am 3. März gegen starke Konkurrenz den wichtigsten Filmpreis der Welt: Sein Drama „12 Years A Slave“ wurde bei den Academy Awards als bester Film des Jahres ausgezeichnet. Nicht nur das: Die Newcomerin Lupita Nyong'o holte den Oscar für die beste Nebendarstellerin, Autor John Ridley jenen für das beste adaptierte Drehbuch. FilmClicks traf den Regisseur McQueen, der auch in der bildenden Kunst Weltruf genießt, vor der Oscar-Gala gemeinsam mit Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch (er spielt einen Sklavenhalter) zum Interview in Berlin.
FilmClicks: Mr. McQueen, in letzter Zeit entstanden etliche Filme zum Thema Sklaverei, etwa Quentin Tarantinos „Django Unchained“ oder Steven Spielbergs „Lincoln“. Was ist der Grund dafür?
Steve McQueen: Das ist sicher Zufall. Denn es gab ja auch früher schon etliche Sklavenfilme: „Roots“ von 1977 zum Beispiel oder Steven Spielbergs „Amistad“ von 1993. Es scheint momentan viel Aufregung um das Thema zu herrschen, aber ich glaube nicht, dass Hollywood daraus ein eigenes Genre machen wird. Vielleicht hängt die Sensibilisierung für das Thema Sklaverei aber auch damit zusammen, dass es nun eine zweite Amtszeit mit Barack Obama gibt. Oder auch, dass der zeitliche Abstand zur Sklaverei groß genug ist.
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte. Wie sind Sie auf diese gestoßen?
McQueen: Ich wollte schon lange einen Film über Sklaverei drehen, aber mir fehlte eine konkrete Geschichte. Ich wollte von einem freien Mann erzählen, der versklavt wird, und als meine Frau das Buch „12 Years A Slave“ entdeckte, die Memoiren von Solomon Northup aus dem Jahr 1853, wusste ich: Das ist mein Stoff. Er passte perfekt zu meiner Idee. Das Buch war sehr inspirierend. Es war alles da. Die Feinfühligkeit, die Details, all das, was ich im Film erzählen wollte. Jede Seite des Buches hielt für mich Überraschungen parat, doch am meisten wunderte mich, dass das Buch niemand kannte. Dank des Films wurde es nun neu herausgebracht, und ich habe auch ein Vorwort dazu geschrieben. Es verkaufte sich 100.000 Mal in zwei Wochen und stand sogar auf der Bestsellerliste der
New York Times.
Mr. Cumberbatch, Sie spielen die Rolle des Master Ford. Dieser Sklavenhalter ist ein durchaus humaner Mensch, der seine Sklaven nicht misshandelt.
Benedict Cumberbatch: Das kommt auch sehr gut im Buch heraus: Master Ford wird dort als umgänglicher Mensch beschrieben, und Solomon Northup hat ihn offensichtlich wirklich gemocht. An einer Stelle schreibt er sogar: „Hätte man mich nicht zu dieser Arbeit verschleppt und gezwungen, ich hätte liebend gern für Master Ford gearbeitet.“ Von meinem Standpunkt aus ist dieser Master Ford aber genauso moralisch verdorben, korrupt und gemein wie Edwin Epps, jener Sklavenhalter, zu dem Solomon danach kommt und wo er schwer misshandelt wird. Auch Ford ist brutal und grausam. Aber immerhin hält er vor seinen Sklaven Messen ab, und predigt das Wort Gottes, das besagt, alle Menschen seien gleich. Er hat Gefühle und zeigt sie auch, doch das macht ihn noch nicht zum besseren Menschen. Er ist sich sehr stark bewusst, in welcher Situation und welcher Welt er steckt. Und dass diese Welt Unrecht tut.
Mr. McQueen, haben Sie einen persönlichen Bezug zur Sklaverei?
McQueen: Einige meiner Vorfahren waren Sklaven. Das Thema gehörte in unserer Familie immer dazu, deshalb musste ich diesen Film unbedingt drehen. Ich glaube, deshalb hat Brad Pitt auch sehr an mich und das Projekt geglaubt, als er als Produzent mit an Bord kam. Brad hatte meinen Film „Hunger“ gesehen, und er wollte seit damals schon einen Film mit mir machen. Dieser Stoff war schließlich ideal für ihn.
„12 Years A Slave“ ist Ihr erster historischer Stoff. Geht man mit einer Geschichte beim Dreh anders um als mit einem aktuellen Thema?
McQueen: Natürlich ist ein historischer Stoff etwas schwieriger zu drehen, weil man für alles länger braucht. Aber die Pferde sahen damals genauso aus wie heute
(lacht). Insgesamt drehten wir den Film in nur 35 Tagen mit nur einer Kamera.
Cumberbatch: Es ist etwas ganz anderes, ob du an einem aufgebauten Studio-Set drehst oder an Originalschauplätzen. Der ganze Film entstand auf echten, historischen Plantagen. Man gelangt so als Schauspieler sofort in eine ganz andere Wahrnehmung von Realität, man wird von der Umgebung emotional viel besser auf die Rolle und die damalige Zeit eingestimmt.
Welchen Eindruck haben Sie: Wie geht man heute mit der Sklaven-Vergangenheit um?
Cumberbatch: Während des Drehs kam einmal ein Mann auf mich zu, er war weiß. Er hatte gehört, dass wir einen Film über Sklaverei drehten und bat und: „Aber bitte seid nett zu uns. Lasst uns gut wegkommen“. Ich entgegnete: „Wir sind zu niemandem nett, wir erzählen eine Geschichte über wahre Ereignisse. Wir werden also in dieser Hinsicht zu Euch allen nett sein, indem wir die Wahrheit erzählen.“ Der Mann genierte sich. Als ich den Film abgedreht hatte, ging ich an einem Freitag Abend in London über den Soho Square. Viele Menschen waren unterwegs. Ich war etwas grüblerisch aufgelegt und stellte fest, dass an jedem einzelnen Ziegel jedes viktorianischen Hauses Blut kleben musste. Überhaupt ist alles, womit wir unseren Alltag verbringen, von doppelter Moral. Das Mobiltelefon in meiner Hand besteht zum Beispiel aus Materialien, für die man Kinder in die Minen schickt, in Ländern, die wir nicht einmal kennen und unter Bedingungen, die wir uns nicht im Entferntesten vorstellen können. Für mich ist es also keine Frage der Vergangenheit, ob wir uns für etwas schämen sollten, solange es auch heute noch solche Zusammenhänge gibt, die ständig und an vielen Orten dieser Welt geschehen.