„Die Nacktheit war ein gewisser Stress“
16.07.2015
Interview:
Matthias Greuling
Mathieu Amalric (berühmt geworden als Bond-Schurke in „Ein Quantum Trost“) und Stéphanie Cléau haben auf der Leinwand eine Affäre und sind im echten Leben ein Paar. Im erotischen Kammerspiel „Das blaue Zimmer“ lieben sie sich leidenschaftlich - bis ein Mord alles ändert. FilmClicks sprach mit Amalric (dem Schauspieler, der nebenbei zum zweiten Mal Regie führt) und Cléau (der Theater-Regisseurin, die zum ersten Mal eine Rolle spielt) über die Adaption dieses Georges Simenon-Krimis für die Kinoleinwand. Und auch darüber, wie es ist, als Paar gemeinsam vor der Kamera zu stehen.
FilmClicks: Wie muss man sich das vorstellen, wenn man mit seiner Lebenspartnerin auf der Leinwand eine heiße Affäre spielt?
Mathieu Amalric: Das geht eigentlich sehr gut. Stéphanie ist bei den Liebesszenen wirklich sehr entspannt gewesen
(lacht). Sie hatte zuvor niemals vor einer Kamera gestanden. Noch nie waren wir so intim, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich jedenfalls spiele meinen nächsten Film nur mehr komplett verhüllt. Denn die Nackheit war schon ein gewisser Stress für mich.
Stéphanie Cléau: Wir verfassten das Drehbuch für „Das blaue Zimmer“ gemeinsam, und ziemlich schnell stellte sich heraus, dass Mathieu die männliche Hauptrolle spielen musste. Meine Mitwirkung war nicht so sicher. Damals inszenierte ich ein Theaterstück und mein Hauptdarsteller fiel aus. Also fragte ich Mathieu, ob er nicht einspringen könnte. Wir machten sozusagen einen Tausch: Er hat für mich am Theater gespielt und ich für ihn in diesem Film.
Lässt sich Intimität glaubhafter darstellen, wenn man im echten Leben ein Paar ist?
Amalric: Das hat sicher damit zu tun, ja. Aber ich konnte nicht anders, als Stéphanie in dieser Rolle zu sehen, als ich die Vorlage von Georges Simenon las. Darin ist die Figur der Apothekerin so unnahbar und mysteriös, dass ich sofort an Stéphanie denken musste, denn auch sie hat etwas Unnahbares, das man nicht erklären kann. Ein Mysterium, das sie umgibt. Sie war perfekt für die Figur der Geliebten. Ich nannte das „die Bedrohung des Unbekannten“.
Monsieur Amalric, stimmt es eigentlich, dass Sie gar nicht Schauspieler werden wollten?
Amalric: Ja. Ich wollte immer Regisseur werden, das mit dem Schauspielern ist mir mehr zufällig passiert. Als Schauspieler sehe ich mich bloß als Werkzeug des Regisseurs. Darin besteht auch die Freude an dieser Arbeit: In die Fantasien des Autors und des Regisseurs einzutauchen und sich davon treiben zu lassen. Nicht selbst erschaffen, sondern die Schöpfung anderer mit Leben zu füllen. Dennoch: Meine Passion gehörte immer dem Inszenieren.
Sie haben „Das blaue Zimmer“ in sehr kurzer Zeit realisiert. Wieso?
Amalric: Ich war nicht gehetzt oder so. Es lag daran, dass mir Produzent Paulo Branco Mut machte, nicht monatelang an einer Adaption zu sitzen, sondern schnell zu handeln. Er sagte nur: „Mach‘ innerhalb von drei Wochen einen Film“. Voila, und schon suchte ich nach einer geeigneten Vorlage, die ich schließlich bei Simenon fand. Jeder von uns hat schon mal einen Krimi von ihm gelesen, vermutlich im Urlaub. Simenon selbst hat auch sehr schnell geschrieben. Ich wollte das bei diesem Film ebenfalls tun: Schnell sein.
„Das blaue Zimmer“ ist auf mehreren Ebenen fordernd: Es gibt viele falsche Fährten. Alles erinnert an ein Mosaik.
Cléau: Für mich war die Arbeit am Buch sehr ungewöhnlich, weil ich so etwas nie am Theater mache: Hier musste ich zuallererst sämtliche Dialogzeilen herausfiltern, um zu sehen, ob die Geschichte allein in Dialogen funktionierte. Das klappte wunderbar. Das Drehbuch wurde in zwei Spalten abgefasst. Links stand, was man im Bild sah, rechts alle Dialoge. Die Geschichte lässt Rätsel zu: Was man sieht, ist nicht unbedingt die Wahrheit. Wer hier wen getötet hat, ist auch nicht klar. Hinzu kommt die magische, aber wortlose Anziehungskraft der Körperlichkeit.
Amalric: Da wir den Film in zwei Teilen drehten - erst im Juli, dann im November 2014 - gab uns das die Möglichkeit, in der Pause dazwischen schon mit dem Filmschnitt zu beginnen. Von da ausgehend wurde schnell klar, ob wir den Stoff im Griff hatten oder ob wir korrigierend eingreifen mussten. Auch entstand so mehr Raum für unser Vorhaben, die einzelnen Ebenen des Films - vom Bild über den Ton bis hin zum Bildformat von 1,33:1 - gegeneinander auszuspielen. Das arbeitet der allgemeinen Verwirrung zu.
Wieso haben Sie dieses ungewöhnliche Bildformat – es entspricht den alten 4:3-Fernsehbildern - gewählt?
Weil es die Distanz zu den Figuren vergrößert. Und weil man sich mehr konzentrieren muss beim Zuschauen. Denn alles ist in einem nahezu quadratischen Format zu sehen. Man muss genauer hinschauen. Außerdem ist heute alles in Breitwand, das entsprach aber nicht der Spannung, die zwischen den Protagonisten in diesem Film herrschte. Im breiten Format wirkt alles zu sehr entspannt, finde ich.
Führt ein Schauspieler eigentlich auf eine andere Art Regie als jemand, der nicht Darsteller ist?
Cléau: Ich weiß nicht. Mathieu ist jedenfalls sehr introvertiert. Er stellt sich nicht vor die Crew und hält Vorträge über die psychologische Motivation seiner Figuren. Vielmehr behält er die Dinge für sich, und versucht, sie in die Figuren, die er spielt, einzubringen. Das ist ein sehr intimer Prozess.