Der Vater des Zeitreisenden
15.10.2013
Interview:
Anna Wollner
Seine Filmliste in der International Movie Data Base (IMDb) umfasst 118 Einträge. Bill Nighy, 63, ist zwar nicht der berühmteste, aber einer der meistbeschäftigten Schauspieler Englands. Der Charmebolzen aus Surrey ist immer wieder die erste Wahl für zweite Rollen; ein Charakterdarsteller und Komödiant, der jede Nebenrolle adelt. In Richard Curtis' feiner Romanze „Alles eine Frage der Zeit“ spielt Nighy jetzt den Vater des jungen Tim (Domhnall Gleeson), mit dem er, so will es die Story, eine sehr ungewöhnliche Fähigkeit teilt: Vater und Sohn sind fähig zu Zeitreisen in die Vergangenheit. Im FilmClicks-Interview erzählt Nighy, der 2007 für die TV-Produktion „Gideon's Daughter“ einen Golden Globe gewann, über das Brechen von Regeln, die Liebe zur Schauspielerei und warum er um ein Haar Astronaut geworden wäre.
FilmClicks: Mister Nighy, Sie spielen in „Alles eine Frage der Zeit“ einen zeitreisenden Vater. Sind Sie endgültig in dem Alter angekommen, in dem Sie nur noch die Vaterrollen spielen dürfen?
Bill Nighy: (lacht) Stimmt. Wobei es ja nicht mein erstes Mal ist. Aber ich bin zuvor noch nie im Kino gestorben. Insofern bin ich jetzt wohl in einer neuen Phase meiner Karriere. Ich erwarte regelrecht, demnächst öfter das Zeitliche zu segnen. Oder wenigstens sehr krank zu sein.
Haben Sie diesen „Karriereschritt“ ohne zu zögern angenommen?
Die Rolle war ein wenig abschreckend. Ich dachte am Anfang, ich sei so eine Art „Durchschnittsvater“. Zudem habe ich eine wichtige Regel meiner Karriere gebrochen.
Welche?
Ach, eine dumme Regel, die ich mir schon vor Jahren ausgedacht habe. Niemals eine Figur zu spielen, die keinen Namen hat. Einfach nur „Dad“ oder „Vater“. Das klingt viel zu wichtig. Da fehlt nur noch der Vorsatz „Super“- Vater. Aber das Drehbuch hier war von Richard Curtis, dem Regisseur von „Tatsächlich Liebe“. Da habe ich die Regel einfach außer Acht gelassen.
„Alles eine Frage der Zeit“ ist Ihre vierte Arbeit mit Richard Curtis. Es scheint fast, dass Sie alles stehen und liegen lassen, wenn er anruft.
Ja. Auch wenn ich meist so tue, als ob ich es mir noch einmal durch den Kopf gehen lasse. Ich sage nie sofort ja, aber am Ende läuft es immer darauf hinaus. Richard hat mich noch nie enttäuscht. Er ist einfach ein wunderbarer Mann. In jeder Hinsicht. Und er hat es geschafft, mich noch eine meiner Regeln brechen zu lassen.
Welche?
Ich schaue mir meine eigenen Filme nie an. Ich sehe immer nur mich als Bill Nighy, aber nie die Rolle, die ich spiele. Denn das fühlt sich an, als würde ich noch einmal zur Arbeit gehen. Weil aber alle sagen, wie toll „Alles eine Frage der Zeit“ geworden ist, bin ich tatsächlich versucht, mir den Film anzusehen. Obwohl ich selbst mitspiele.
Der Film gibt Ihnen die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu reisen. Wie wichtig ist Ihnen, über die eigene Vergangenheit nachzudenken?
Überhaupt nicht wichtig. Die Vergangenheit existiert für mich nicht mehr. Noch nicht mal in Form von Bedauern. Ich hatte schon immer sehr viel Glück. Deswegen denke ich nicht viel über die Vergangenheit nach. Zudem habe ich ein sehr schlechtes Erinnerungsvermögen. Das hilft auch dabei, die Vergangenheit zu vergessen. Ich bin nicht nostalgisch. Ich lebe im Jetzt. Das reicht mir.
Hatten Sie einen Plan zu Beginn ihrer Karriere?
Einen Plan? Ich hatte noch nicht mal Erwartungen. Damals wusste ich das zwar nicht, das habe ich erst später realisiert. Aber wenn man es so betrachtet, war meine ganze Karriere eine einzige Zugabe.
Es gab nie eine Rolle, die Sie unbedingt spielen wollten?
Doch. Die gab es: Den Trigorin in „Die Möwe“ von Anton Tschechow. Das war mir wichtig. An der Seite von Judi Dench stand ich auf der Bühne des National Theatre in London. Schauspielerisch war das für mich eine große Sache. Judi Dench und ich arbeiteten das erste Mal zusammen. Ihr Arbeitsniveau war unglaublich hoch. Sie hat mich gepushed.
Hatten Sie Lampenfieber?
Und wie. Vor jeder Aufführung stand ich hinter dem Vorhang, schaute ins Publikum und schwor mir selbst, dass das nie wieder vorkommen werde. Das ich nie wieder eine Bühne betreten werde. Weil ich so große Angst hatte. Ich sagte mir immer: du wirst noch nicht einmal gut bezahlt. Du könntest gerade genauso gut an einem Filmset stehen, jemand bringt dir einen Capucino und ich hätte sechs Versuche zu spielen und nicht nur einen.
Für einen Schauspieler nicht unbedingt die beste Vorraussetzung.
Schon auf der Schauspielschule konnte ich mit dem Theater nicht viel anfangen. Ich konnte noch nicht mal mit der Schauspielerei etwas anfangen. Ich hatte für die klassischen Werke überhaupt keine Begeisterung übrig. Shakespeare zum Beispiel hat mich nie interessiert. Ich schätze seine Leistung als Dichter, aber die Darstellung überlasse ich lieber anderen.
Warum sind Sie dann Schauspieler geworden?
Weil ich ein Mädchen beeindrucken wollte.
Das müssen Sie erklären!
Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden. Aber ich hatte zu große Angst davor. Ich wollte nicht arbeiten. Mein Schicksal war es eigentlich, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Er war KFZ-Mechaniker. Aber genau das wollte ich nicht tun. Ich war also gut darin zu wissen, was ich nicht machen wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, jeden Tag das Gleiche zu machen. Und ich wollte dieses Mädchen beeindrucken. Sie hat mir vorgeschlagen, Schauspieler zu werden. Sie hätte auch sagen können, ich solle Astronaut werden. Dann würden wir jetzt vermutlich über das Weltall reden. Unsere Beziehung hat noch nicht mal einen Monat gehalten.